1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 179 regelt die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens. Die Wiederaufnahme des Verfahrens bezweckt die Fortsetzung des abgeschlossenen Verfahrens (BSG, Beschluss v. 23.4.2014, B 14 AS 368/13 B). Der Wiederaufnahmeantrag ist kein Rechtsmittel, sondern es handelt sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf. Er zielt auf die Beseitigung der Rechtskraftwirkung von Entscheidungen durch ein prozessuales Gestaltungsurteil (BSG, Beschluss v. 2.3.2004, B 9 V 7/04 B). Das Wiederaufnahmeverfahren ist darauf gerichtet, die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung zu beseitigen und die fehlerhafte Entscheidung durch eine neue, fehlerfreie Entscheidung zu ersetzen. Es hat keinen Devolutiv- oder Suspensiveffekt (BFH, Beschluss v. 11.2.2003, VII B 330/02).

 

Rz. 2

§ 179 Abs. 1 ordnet die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Vierten Buches der ZPO  über die Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 578 ZPO ff.) an. § 179 Abs. 2 und §§ 180 bis 182 enthalten Sonderregelungen, die den Vorschriften der ZPO vorgehen.

2 Rechtspraxis

2.1 Verfahren

 

Rz. 3

Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann nach § 179 Abs. 1 nur unter den engen Voraussetzungen der Vorschriften des Vierten Buches der ZPO, welche die Wiederaufnahme des Verfahrens abschließend regeln (§§ 578ff. ZPO), wieder aufgenommen werden.

Das Wiederaufnahmeverfahren nach § 179 SGG i.V.m §§ 579, 580 ZPO gliedert sich in 3 Abschnitte:

  • die Prüfung der Zulässigkeit der Klage (Zulässigkeitsprüfung)

    Bei Unzulässigkeit ist die Wiederaufnahmeklage als unzulässig zu verwerfen. Der Tenor kann wie folgt lauten:

    Die Wiederaufnahmeklage gegen das Urteil des Sozialgerichts … vom …, Aktenzeichen …, wird verworfen.

  • die Prüfung von Amts wegen, ob der behauptete Anfechtungsgrund (§§ 579, 580 ZPO, § 179 Abs. 2) vorliegt (aufhebendes Verfahren)

    Ist der Wiederaufnahmegrund nicht erwiesen, wird die Wiederaufnahmeklage als unbegründet zurückgewiesen. Der Tenor kann wie folgt lauten:

    Die Wiederaufnahmeklage gegen das Urteil des Sozialgerichts … vom …, Aktenzeichen …, wird abgewiesen.

  • die neue Verhandlung und Entscheidung des früheren Rechtsstreits (ersetzendes Verfahren, § 590 ZPO).

    Bei Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes wird die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Hauptsache neu verhandelt. Der Tenor kann wie folgt lauten:

    Auf die Wiederaufnahmeklage wird das Urteil des Sozialgerichts … vom …, Aktenzeichen …, aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom … in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … verurteilt, dem Kläger … zu gewähren.

    Das Gericht darf den jeweils folgenden Abschnitt erst prüfen, wenn die Anforderungen des vorhergehenden Abschnitts erfüllt sind (BSG, Urteil v. 10.9.1997, 9 RV 2/96; BSG, Beschluss v. 23.4.2014, B 14 AS 368/13 B).Das LSG kann eine unzulässige Wiederaufnahmeklage gegen eine Berufungsentscheidung entsprechend § 158 durch Beschluss als unzulässig verwerfen (BSG, Beschlüsse v. 23.4.2014, B 14 AS 368/13 B, und v. 30.9.2020, B 6 KA 8/20 B).

2.2 Wiederaufnahmegründe

 

Rz. 4

Die Wiederaufnahmeklage ist als außerordentlicher Rechtsbehelf darauf gerichtet, die Rechtskraft eines Urteils oder einer gleichzusetzenden Entscheidung zu beseitigen, wenn schwerwiegende Umstände eine erneute richterliche Beurteilung erforderlich machen. Nicht jeder tatsächliche oder rechtliche Irrtum und nicht jedes fehlerhafte Verfahren rechtfertigen die Durchbrechung der Rechtskraft. Bei dem Wiederaufnahmeverfahren handelt es sich um ein strenges förmliches Verfahren.

Die Wiederaufnahmegründe sind abschließend in §§ 579, 580 ZPO und § 179 Abs. 2 geregelt. Die Bestimmungen über die Wiederaufnahmegründe sind eng auszulegen (LSG Hessen, Urteil v. 19.10.2000, L 5 V 915/96). Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, den Widerstreit zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und der Forderung nach materieller Gerechtigkeit, die beide aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgen, zu entscheiden (BVerfG, Beschluss v. 8.11.1967, 1 BvR 60/66). Die Gerichte sind nicht befugt, die in §§ 579, 580 ZPO abschließend geregelten Tatbestände im Wege der Analogie zu erweitern (BVerwG, Beschluss v. 2.8.2005, 2 B 34/05). Andere Tatsachen, die von den Wiederaufnahmegründen nicht erfasst werden, wie z. B. die Erklärung einer Norm als verfassungswidrig durch das Bundesverfassungsgericht, kann ein Beteiligter im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X geltend machen. Die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung steht einer Entscheidung des Verwaltungsträgers nach § 44 SGB X nicht entgegen.

Die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen eines Wiederaufnahmegrundes trägt der Wiederaufnahmekläger (BGH, Urteil v. 22.9.1982, IVb ZR 576/80).

2.2.1 Nichtigkeitsklage, § 579 ZPO

 

Rz. 5

Die Nichtigkeitsklage ermöglicht die Wiederaufnahme eines Verfahrens, wenn der Prozess mit besonders schweren prozessualen Fehlern behaftet ist. . Ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Nichtigkeitsgrund und der rechtskräftigen Entscheidung ist nicht erforderlich, die Gesetzesverletzung wird vermutet. Die Nichtigkeitsgründe sind in § 579 Abs. 1 ZPO abschließend aufgezählt (BV...

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