Leitsatz (amtlich)
1. Tz. 2.5.2 des Schreibens des BMF vom 26. November 1981 IV B 6 - S 2352 - 31/81 (BStBl I 1981, 744) betr. die Berücksichtigung einer sog. Opfergrenze beim Unterhaltsverpflichteten im Rahmen des § 33 a Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 EStG ist von den Steuergerichten nicht zu beachten, da die Regelung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren und in sich widerspruchsvoll ist.
2. Eine solche Opfergrenze kann nicht dadurch geschaffen werden, daß als Mindestbetrag, der nicht mehr für Unterhaltsleistungen aufgewandt zu werden braucht, je 6 600 DM für den Steuerpflichtigen, seine Ehefrau und jeden in seinem Haushalt lebenden Angehörigen angesetzt werden.
2. Eine Opfergrenze wird aber jedenfalls dann überschritten, wenn im Hinblick auf die Höhe der Unterhaltsleistungen dem Steuerpflichtigen, seiner Ehefrau und seinen minderjährigen unverheirateten Kindern so wenig Mittel zum Lebensunterhalt verbleiben würden, daß sie vom verbleibenden Betrag her gesehen Ansprüche auf die Regelsätze in der Sozialhilfe (§§ 11, 22 BSHG) hätten.
Normenkette
EStG 1975 § 33a Abs. 1, § 33 Abs. 2; BGB § 1603
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) lebt als spanischer Staatsangehöriger mit seiner Ehefrau und seinen drei minderjährigen Kindern in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Beide Ehegatten sind hier als Arbeitnehmer tätig. Sie machten im Lohnsteuer-Jahresausgleich 1975 Unterhaltszahlungen an ihre Eltern in Spanien in Höhe von 7 950 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte nur einen Betrag von 3 272 DM. Im Hinblick darauf, daß das FA auf der Lohnsteuerkarte 1975 einen Freibetrag von 8 000 DM für den Unterhalt der Eltern und Schwiegereltern eingetragen hatte, führte der Lohnsteuer-Jahresausgleich 1975 nicht zu einer Erstattung von Lohnsteuerbeträgen. Das FA setzte daher im Ausgleichsbescheid vom 19. März 1976 den Erstattungsbetrag auf 0 DM fest und forderte zu wenig entrichtete Lohnsteuer von 654 DM durch Bescheid vom 30. April 1976 vom Kläger nach.
Den Einspruch des Klägers gegen den Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid 1975 wies das FA als unbegründet zurück. Den Lohnsteuernachforderungsbetrag setzte es unter Abänderung des Bescheids vom 30. April 1976 auf 642 DM herab. Es vertrat die Auffassung, entsprechend den Ausführungen des Finanzgerichts (FG) Berlin im Urteil vom 28. Juni 1974 III 52/74 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1974, 577) seien Unterhaltsaufwendungen an Angehörige nur insoweit als zumutbar und zwangsläufig anzusehen, als sie beim Steuerpflichtigen eine sog. "Opfergrenze" nicht überstiegen. Die Grenze, bis zu der Unterhaltsaufwendungen für den Steuerpflichtigen zumutbar seien, liege bei 25 v. H. seines Nettoeinkommens und vermindere sich um 5 v. H. für jedes Kind. Entsprechend der nachstehenden Berechnung sei daher nur ein Freibetrag von 3 309 DM für den Unterhalt der Eltern und Schwiegereltern zu berücksichtigen:
Arbeitslohn Kläger: 25 555 DM
Arbeitslohn Ehefrau: 18 509 DM
Arbeitnehmer-Sparzulage 500 DM
Kindergeld 2 880 DM
Steuererstattung 376 DM
Summe der Einnahmen 47 820 DM
davon ab: Lohnsteuer 4 966 DM
Vermögensbildung 1 248 DM
tatsächliche Werbungskosten 1 380 DM
tatsächliche Vorsorgeaufwendungen 6 966 DM
tatsächliche andere Sonderausgaben 172 DM
Summe der Ausgaben 14 732 DM
Nettoeinkommen 33 088 DM
Opfergrenze (25 v. H. - 15 v. H.
für drei Kinder = 10 v. H.): 3 309 DM
Das FG gab der Klage statt. Es führte u. a. aus:
Unterhaltsaufwendungen eines Gastarbeiters an Angehörige im Heimatland könnten nur insoweit nach § 33 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG) zum Abzug zugelassen werden, als sie notwendig und angemessen seien. Bei Prüfung der Frage, was als "angemessen" anzusehen sei, sei auch auf die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten abzustellen. Die Leistungsfähigkeit richte sich nach dem Einkommen und Vermögen, das diesem zur Verfügung stehe. Dabei könne aber nicht schematisch von Prozentsätzen des Nettoeinkommens ausgegangen werden. Denn entscheidend dafür, ob durch Aufwendungen für den Unterhalt von Angehörigen der eigene Unterhalt gefährdet werde, sei der absolute Betrag, der dem Steuerpflichtigen nach Abzug der Unterhaltszahlungen für seinen eigenen Lebensbedarf verbleibe. Als Anhaltspunkt für einen solchen Mindestbetrag sei auf die Regelung in § 33 a Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG zurückzugreifen. Hiernach sei eine im Inland lebende Person unterhaltsbedürftig, wenn sie weniger als 6 600 DM jährlich für den Lebensunterhalt behalte. Dementsprechend könne von einem Steuerpflichtigen nicht verlangt werden, daß er durch Unterhaltsleistungen an nicht in seinem Haushalt lebende Personen so viel verausgabe, daß ihm für den Lebensunterhalt für sich und seine im Haushalt lebenden nächsten Angehörigen (Ehefrau und Kinder) nicht 6 600 DM pro Person jährlich verblieben. Die Klage sei begründet, da dem Kläger und seiner Ehefrau im Streitjahr gemäß nachstehender Berechnung ein Betrag von 9 681 DM für Unterhaltszahlungen zur Verfügung gestanden habe, während sie an Unterhalt für die Eltern nur 7 950 DM aufgewandt hätten:
Bruttoeinnahmen
It. Einspruchsentscheidung: 47 820 DM
./. einbehaltene Lohnsteuer
und Kirchenlohnsteuer 5 139 DM
Nettoeinkommen 42 681 DM
./. Lebensunterhalt für den Kläger,
Ehefrau und drei Kinder
(5 x 6 600 DM) 33 000 DM
zumutbare Unterhaltszahlungen an Dritte 9 681 DM
Es könne dahingestellt bleiben, ob bei dieser Berechnung ein gewisser Abschlag bei den Lebensunterhaltskosten für den Kläger und seine Familie gerechtfertigt sei, weil bei den Unterhaltskosten einer mehrköpfigen Familie ein Verbilligungseffekt eintrete. Diese Frage sei hier nicht entscheidungserheblich, da sich dadurch der Betrag der zumutbaren Zahlung nur erhöhen würde. Der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1975 in Gestalt der Einspruchsentscheidung sei deshalb dahin zu ändern, daß die Jahreslohnsteuer auf 4 592 DM herabzusetzen sei. Der Bescheid über die nachzuentrichtende Lohnsteuer vom 30. April 1976 in Gestalt der Einspruchsentscheidung sei ersatzlos aufzuheben.
Gegen dieses Urteil legte das FA Revision ein. Es ist der Ansicht, das FG habe § 33 a Abs. 1 EStG unzutreffend angewandt. Es hält an seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Ansicht fest.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist auf Aufforderung des Senats dem Verfahren beigetreten. Er verweist auf Tz. 2.5.2 seines Schreibens vom 26. November 1981 IV B 6 - S 2352 - 31/81 (BStBl I 1981, 744). Dort heißt es:
"Wenn die Notwendigkeit und Angemessenheit - bezogen auf den Empfänger - festgestellt worden ist, ist darüber hinaus zu prüfen, inwieweit der Steuerpflichtige zur Unterhaltsleistung unter Berücksichtigung seiner Verhältnisse rechtlich, tatsächlich oder sittlich verpflichtet ist. Dies ist nur der Fall, soweit die Leistungen in einem vernünftigen Verhältnis zu seinen Einkünften stehen und ihm nach Abzug der Unterhaltsleistungen genügend Mittel zur Bestreitung des eigenen Lebensbedarfs verbleiben (vgl. Urteil des FG Berlin vom 28. 6. 1974 - EFG S. 577). In Anlehnung an diese Grundsätze sind Unterhaltsleistungen - soweit sie nicht für die Kinder erbracht werden, für die Unterhaltsleistungen nach § 33 a Abs. 1 EStG abzugsfähig sind - im allgemeinen höchstens insoweit als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, als sie den Betrag von 30 v. H. des Nettoeinkommens des Steuerpflichtigen nicht übersteigen. Bei Nettoeinkommen über 30 000 DM kann eine angemessene Erhöhung des Vomhundertsatzes in Betracht kommen. Der Vomhundertsatz vermindert sich um je 5 v. H. des Nettoeinkommens für die Ehefrau und jedes Kind, insgesamt höchstens um 25 v. H. Bei der Ermittlung des Nettoeinkommens sind alle steuerpflichtigen und steuerfreien Einnahmen (z. B. Kindergeld und vergleichbare Leistungen, Leistungen nach dem AFG, Berlin-Zulagen nach § 28 BerlinFG, Arbeitnehmer-Sparzulagen nach § 12 3. VermBG) sowie etwaige Steuererstattungen anzusetzen. Davon abzuziehen sind die gesetzlichen Lohnabzüge (Lohn- und Kirchensteuern, Sozialabgaben) und Werbungskosten (einschl. etwaiger steuerlich anzuerkennender Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung)."
Der BMF vertritt die Auffassung, die Opfergrenze sei aus dem Grundgedanken des § 1603 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) abgeleitet worden, wonach dem Unterhaltspflichtigen der angemessene eigene Lebensunterhalt verbleiben müsse. Wer hohe Einkünfte habe, habe eine gehobenere Lebensstellung; der für ihn angemessene eigene Lebensunterhalt (die Opfergrenze) liege daher höher als bei einem Steuerpflichtigen mit niedrigerem Einkommen. Diesen Gedanken trage der Ansatz fester Beträge als Opfergrenze keine Rechnung. Lege man für jedes Familienmitglied entsprechend der Regelung in § 33 a Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG 1982 pro Jahr 7 800 DM netto als Mindestunterhalt zugrunde, so könne ein verheirateter Steuerpflichtiger mit zwei Kindern und mit einem Nettoeinkommen von 30 000 DM tatsächlich geleistete Unterhaltsaufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen absetzen, da das Nettoeinkommen unter der Opfergrenze von (4 x 7 800 DM =) 31 200 DM läge. Familienväter mit mehreren Kindern und einem Jahreseinkommen um 30 000 DM oder weniger wären damit von vornherein vom Steuervorteil des § 33 a Abs. 1 EStG ausgeschlossen. Das könne nicht Rechtens sein. Bei der Bemessung der Opfergrenze in Vomhundertsätzen des Nettoeinkommens würden diese Auswirkungen vermieden. - Es sei sachgerecht, für die steuerliche Abziehbarkeit von Unterhaltsleistungen nicht die zivilrechtliche Rechtsprechung und Praxis zu § 1603 Abs. 1 BGB zu übernehmen, da sich ein einheitliches und allgemein anerkanntes Verfahren zur Ermittlung des angemessenen Unterhalts des Leistungsverpflichteten bisher nicht habe durchsetzen können. Die von den Zivilgerichten in Tabellen festgesetzten Beträge orientierten sich u. a. nach der Regelunterhalts-Verordnung, die in gewissen Zeitabständen fortgeschrieben werde. Für die Finanzbehörden wäre die Anwendung derartiger, sich laufend ändernder Daten zu kompliziert. Im übrigen seien die zivilrechtlichen Werte an dem Unterhaltsbegriff des BGB ausgerichtet, der sich mit dem in § 33 a EStG zugrunde gelegten Begriff des Unterhalts nicht decke.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig (§ 33 Abs. 2 EStG) Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung von Personen, für die im Veranlagungszeitraum weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) oder auf andere Leistungen nach diesem Gesetz für Kinder hat (§ 8 Abs. 1 BKGG), so wird nach § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, daß die Aufwendungen, höchstens jedoch ein Betrag von 3 000 DM im Kalenderjahr, für jede unterhaltene Person vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, wenn die unterhaltene Person kein oder nur geringes Vermögen besitzt. Hat der Unterhaltsempfänger andere Einkünfte oder Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind, so vermindert sich nach § 33 a Abs. 1 Satz 3 EStG der Betrag von 3 000 DM um den Betrag, um den diese Einkünfte und Bezüge den Betrag von 3 600 DM übersteigen. Unterhaltsaufwendungen erwachsen nach § 33 Abs. 2 EStG einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
Die Frage, ob und inwieweit bei einem Unterhaltsverpflichteten bei Anwendung des § 33 a Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 EStG eine sog. Opfergrenze zu berücksichtigen ist, wurde von der Rechtsprechung und vom BMF zu Recht bei Prüfung der Unterhaltspflicht dem Grunde nach gestellt, also bei Untersuchung der Frage, ob der Steuerpflichtige sich aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen den Unterhaltsleistungen nicht entziehen konnte.
Aus rechtlichen Gründen kann ein Steuerpflichtiger sich Unterhaltsleistungen "nicht entziehen", wenn er kraft Gesetzes hierzu verpflichtet ist. Nach den Vorschriften des BGB bestehen Unterhaltspflichten gegenüber Verwandten in gerader Linie (§ 1601 BGB) und gegenüber den Ehegatten (§§ 1360 ff. BGB). Voraussetzung für das Bestehen von Unterhaltspflichten gegenüber Verwandten in gerader Linie, also insbesondere gegenüber Kindern, Enkelkindern, Eltern und Großeltern, ist grundsätzlich, daß der Unterhaltsberechtigte außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 BGB) und daß der Unterhaltsverpflichtete bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen imstande ist, diese Leistungen ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu erbringen (§ 1603 Abs. 1 BGB), wobei die letztgenannte Einschränkung allerdings in der Regel nicht gegenüber unverheirateten minderjährigen Kindern besteht (§ 1603 Abs. 2 BGB). Die Grundsätze des § 1602 und § 1603 Abs. 1 BGB sind im Rahmen des § 33 a Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 EStG erst recht zu beachten, wenn jemand nur aus tatsächlichen oder sittlichen Gründen zum Unterhalt verpflichtet ist.
Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für Unterhaltsleistungen von in der Bundesrepublik lebenden ausländischen Arbeitnehmern an ihre Angehörigen im Heimatland. Wenngleich sich bei ihnen das Bestehen von Unterhaltspflichten nach dem Recht des Heimatlandes des in Anspruch genommenen bzw. nach seinen vom Heimatland geprägten Wertvorstellungen richtet, so können diese Personen jedoch im Streitjahr 1975 nach den Ausführungen in dem Urteil vom 17. Januar 1984 VI R 244/80 (BFHE 140, 250, BStBl II 1984, 527) steuerlich nicht bessergestellt werden als inländische Steuerpflichtige mit Unterhaltspflichten nach inländischem Recht bzw. inländischen Wertvorstellungen. Die Frage, wann eine Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts i. S. des § 1603 Abs. 1 BGB vorliegt, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Die Finanzverwaltung ist grundsätzlich berechtigt, zur Wahrung einer einheitlichen Besteuerung allgemeine Richtlinien aufzustellen, nach denen jeweils zu prüfen ist, ab wann eine Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts des Leistenden i. S. des § 1603 Abs. 1 BGB vorliegt. Von dieser Möglichkeit hat der BMF in Tz. 2.5.2 seines erwähnten Schreibens vom 26. November 1981 durch Einführung der sog. Opfergrenze, gestaffelt nach bestimmten Vomhundertsätzen des Nettoeinkommens, Gebrauch gemacht.
Diese Bemessung der Opfergrenze ist jedoch bei den FG teilweise auf Ablehnung gestoßen. So stellte z. B. der VIII. Senat des FG München im Urteil vom 28. März 1980 VIII 141/76 L (EFG 1981, 131) auf das Verhältnis der Unterhaltsaufwendungen zu den verbleibenden Mitteln pro Person ab und zieht zum Vergleich die Regelsätze in der Sozialhilfe heran. Der V. Senat des FG München legte im Urteil vom 19. Juni 1980 V (X) 78/77 L (EFG 1980, 550) für den eigenen Lebensunterhalt pro Person den in § 33 a Abs. 1 EStG genannten Betrag von 6 600 DM zugrunde, so daß sich bei einem Steuerpflichtigen mit Frau und drei Kindern ein Gesamtbetrag von 33 000 DM errechnete. Er erkannte jedoch bei einem Nettoeinkommen von 39 271 DM Unterhaltszahlungen von 8 000 DM in vollem Umfang an, weil durch die Größe der Familie ein gewisser Verbilligungseffekt der eigenen Unterhaltskosten eintrete. Auch das FG Nürnberg hat in einem vom BMF mitgeteilten Urteil vom 20. November 1980 VI 237/77 für 1976 als Mindestbedarf pro Person 6 600 DM zugrunde gelegt. Das Niedersächsische FG hat sich in zwei gleichfalls vom BMF mitgeteilten Urteilen vom 23. Januar 1981 V 39/80 und vom 11. November 1981 V 36/80 gegen einen Vomhundertsatz vom Nettoeinkommen gewandt, "weil diese Methode zu in der Höhe unterschiedlichen Beträgen je nach der Höhe des Verdienstes des Unterhaltsverpflichteten führt". Daher könnten, wie das Gericht meinte, nur die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sein.
Nach Ansicht des Senats handelt es sich bei der in Tz. 2.5.2 des vorgenannten Schreibens des BMF vom 26. November 1981 angeordneten "Opfergrenze" um eine norminterpretierende Verwaltungsregelung (vgl. zur Unterscheidung der verschiedenen Arten von Verwaltungsanweisungen insbesondere Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 250 ff.). Solche Anweisungen verpflichten die Steuergerichte nicht, da die Gerichte nur an Gesetz und Recht gebunden sind (vgl. zur mangelnden Bindungswirkung von norminterpretierenden Verwaltungsregelungen z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Juli 1976 VI R 228/74, BFHE 119, 561, BStBl II 1976, 795). Die Gerichte folgen ihnen nur dann, wenn sie eine zutreffende Auslegung des Gesetzes beinhalten, in sich verständlich sind und dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) entsprechen.
Der Senat kann die Regelung in Tz. 2.5.2 des vorgenannten Schreibens des BMF vom 26. November 1981 nicht beachten, da sie diesen Anforderungen nicht genügt.
Diese Verwaltungsanweisung verstößt gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie enthält eine nach Vomhundertsätzen gestaffelte Regelung zur Ermittlung der Opfergrenze nur für Steuerpflichtige mit einem Nettoeinkommen bis zu 30 000 DM. Für die nicht unbedeutende Zahl von Steuerpflichtigen mit einem höheren Nettoeinkommen sieht das Schreiben des BMF keine festen Vomhundertsätze des Einkommens, sondern lediglich eine "angemessene Erhöhung" der vorgenannten Vomhundertsätze vor. Da das Schreiben des BMF nicht näher erläutert, was unter einer "angemessenen Erhöhung des Vomhundertsatzes" zu verstehen ist, steht es letztlich im Ermessen eines jeden Sachbearbeiters bzw. Sachgebietsleiters des FA, welchen Vomhundertsatz er je nach Höhe eines Nettoeinkommens über 30 000 DM anwenden will. Eine solche Regelung, die Steuerpflichtige je nach der Höhe des Nettoeinkommens zwei verschiedenen Kategorien zuweist, von denen die eine zur Versagung einer Steuervergünstigung unter Anwendung bestimmter Richtlinien führt und die andere dieselbe Vergünstigung versagt, soweit der Sachbearbeiter bzw. Sachgebietsleiter nach seinem Gutdünken die Grenze höher oder niedriger zieht, läßt sich mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbaren.
Die Anweisungen in Tz. 2.5.2 des Schreibens des BMF vom 26. November 1981 sind im übrigen auch deshalb nicht von den Steuergerichten zu beachten, weil sie zumindest bezüglich der bei der Berechnung der Opfergrenze zu berücksichtigenden oder auszuscheidenden Kinder in sich nicht verständlich sind. Geht man davon aus, daß nach Tz. 2.5.2 Satz 5 des Schreibens der Satz von 30 v. H. des Nettoeinkommens bis zu 30 000 DM um je 5 v. H. des Nettoeinkommens für die Ehefrau "und jedes Kind" zu mindern ist, so kann dies nur bedeuten, daß bei Unterhaltsleistungen an die Ehefrau und an alle Kinder nicht zu prüfen ist, ob sie unter die Opfergrenze fallen. Die Grenze gilt nach dieser Anweisung mithin nur für Unterhaltsleistungen an andere Personen, denen gegenüber der Steuerpflichtige sich aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht hat entziehen können. Damit in Widerspruch steht jedoch Satz 3 derselben Tz. 2.5.2 dieses BMF-Schreibens, wonach Unterhaltsaufwendungen "- soweit sie nicht für Kinder erbracht werden, für die die Unterhaltsleistungen nach § 33 a Abs. 1 EStG abzugsfähig sind - im allgemeinen höchstens insoweit als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen (sind), als sie den Betrag von 30 v. H. des Nettoeinkommens des Steuerpflichtigen nicht übersteigen". Der eingeschobene Satz "soweit ... abzugsfähig sind" läßt nur den Schluß zu, daß Unterhaltszahlungen insoweit außerhalb der "Opfergrenze" stehen, als sie für Kinder erbracht werden, für die solche Leistungen nach § 33 a Abs. 1 EStG abziehbar sind, d. h. für solche Kinder, für die kein Anspruch auf Kindergeld oder auf sonstige Leistungen nach dem BKGG (§ 8 Abs. 1 BKGG) besteht. Geht man also von diesem Satz 3 der Tz. 2.5.2 des Schreibens des BMF aus, so gilt für solche Kinder nicht die Minderung des Vomhundertsatzes um je 5 v. H. des Nettoeinkommens je Kind, obwohl die Minderung nach Satz 5 dieser Textziffer für "jedes Kind" Anwendung finden soll.
Eine solche Differenzierung von Kindern je nachdem, ob für sie Anspruch auf Kindergeld oder sonstige Leistungen nach dem BKGG besteht, wäre zudem nicht mit den Grundsätzen des § 1603 BGB vereinbar. Denn bei einer Gegenüberstellung des Abs. 1 und des Abs. 2 dieser Vorschrift ließe sich bezüglich der "Opfergrenze" allenfalls eine Unterscheidung danach treffen, ob Kinder minderjährig und unverheiratet sind, da für sie nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich keine Opfergrenze besteht.
Der Senat kann jedoch auch nicht der Ansicht der Vorinstanz beitreten, eine aus § 1603 Abs. 1 BGB abzuleitende "Opfergrenze" könne nur mit den sich aus § 33 a Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG ergebenden festen Beträgen von 3 000 DM zuzüglich 3 600 DM, insgesamt also mit 6 600 DM für jeden im Haushalt des Steuerpflichtigen lebenden Familienangehörigen (Ehefrau und Kinder) bemessen werden. Denn einerseits läßt sich für den Ausschluß von Familienangehörigen, die im Haushalt des Steuerpflichtigen leben, von der sog. Opfergrenze keine Rechtsgrundlage aus § 33 a Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 EStG und § 1603 BGB ableiten. Zum anderen würde eine solche Typisierung nach den insoweit zutreffenden Ausführungen des BMF dazu führen, daß gerade kinderreiche Familien mit mittleren und kleineren Einkommen von der Begünstigung des § 33 a Abs. 1 EStG - und wohl auch von der des § 33 a Abs. 2 EStG - generell ausgeschlossen würden, eine Auswirkung, die mit dem vom GG in Art. 6 Abs. 1 geforderten besonderen Schutz von Ehe und Familie nicht zu vereinbaren wäre.
Der Senat läßt es dahingestellt, ob sich eine dem Sinn und Zweck des § 33 a Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 EStG entsprechende und sich an den Grundsätzen des § 1603 Abs. 1 und 2 BGB orientierende Opfergrenze im Wege eines Verwaltungserlasses aufstellen läßt, die einerseits hinreichend differenziert und andererseits praktikabel ist. Hierüber ist im Streitfall nicht zu befinden. Das Gericht kann sich mangels zur Zeit bestehender anderer Anhaltspunkte nur an der obersten Grenze der Opferbereitschaft des Unterhaltsleistenden orientieren. Abgesehen von Unterhaltsleistungen an Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder, denen gegenüber der Steuerpflichtige grundsätzlich verpflichtet ist, alle verfügbaren Mittel mit ihnen zu teilen (vgl. §§ 1360 ff., § 1603 Abs. 2 BGB), können Aufwendungen für den Unterhalt an Angehörige aus rechtlichen, tatsächlichen und sittlichen Gründen jedenfalls dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn dem Steuerpflichtigen, seiner Ehefrau und den minderjährigen unverheirateten Kindern entsprechend der vom BMF angeordneten Berechnung des Nettoeinkommens nur so wenig für den eigenen Unterhalt verbleibt, daß ihnen - vom verbleibenden Betrag her gesehen - Ansprüche auf die Regelsätze in der Sozialhilfe (§§ 11, 22 des Bundessozialhilfegesetzes) zuständen. Bei einem solchen der Lebenserfahrung widersprechenden Mißverhältnis zwischen den Unterhaltsleistungen und den für den Lebensunterhalt noch verbleibenden Mitteln des Steuerpflichtigen würde die steuerliche Berücksichtigung derartiger Leistungen in der Regel zu einer offensichtlich nicht mehr zutreffenden Besteuerung führen. Es würde sich in einem solchen Fall u. a. die Frage stellen, ob die entsprechend dem Schreiben des BMF vom 26. November 1981 zu berücksichtigenden Einnahmen wirklich vollständig erfaßt und die geltend gemachten Aufwendungen tatsächlich getätigt worden sind.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG von anderen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, damit es gemäß den vorstehenden Ausführungen prüft, ob der Kläger und seine Ehefrau sich durch die Unterhaltsleistungen an ihre Eltern so stark verausgabt haben, daß ihnen für den Unterhalt für sich und ihre drei minderjährigen und anscheinend unverheirateten Kinder so wenig Mittel für den eigenen Unterhalt zur Verfügung stehen würden, daß sie - vom verbleibenden Betrag her gesehen - Ansprüche auf die Regelsätze in der Sozialhilfe hätten.
Die Vorentscheidung ist auch noch aus einem weiteren Grunde fehlerhaft. Denn das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Unterhaltsaufwendungen i. S. des § 33 a Abs. 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 EStG nach den Verhältnissen der Unterhaltsempfänger der Höhe nach notwendig waren und einen angemessenen Betrag nicht überstiegen. Bei Unterhaltsleistungen von in der Bundesrepublik lebenden Gastarbeitern an ihre Angehörigen im Heimatland richtet sich die Beantwortung dieser Frage nach den dortigen Lebensverhältnissen (vgl. das bereits erwähnte Urteil des Senats vom 17. Januar 1984 VI R 244/80 und die dort angegebene Rechtsprechung). Wie der Senat in dieser Entscheidung hervorgehoben hat, können Unterhaltsleistungen an Angehörige im Heimatland in den Jahren 1975 und 1976 nur in dem Verhältnis als notwendig und angemessen i. S. des § 33 a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 2 EStG berücksichtigt werden, in dem sie bei Leistungen von 3 000 DM an Angehörige im Inland deren notwendigen Lebensbedarf hätten decken können. Das FG hat zu dieser Frage keine Feststellungen getroffen. Es handelt sich insoweit um einen von Amts wegen zu beachtenden materiellen Mangel des Urteils, da die Entscheidung insoweit nicht von tatsächlichen Feststellungen getragen wird.
Der Senat weist darauf hin, daß nach seinem Urteil vom 30. Juli 1982 VI R 257/80 (BFHE 136, 399, BStBl II 1982, 779) die im Schreiben des BMF vom 26. Oktober 1979 IV B 6 - S 2365 - 85/79 (BStBl I 1979, 622) getroffene Regelung, nach der notwendige angemessene Unterhaltsleistungen an Empfänger im Ausland teilweise nur mit 1/3 oder 2/3 der in § 33 a Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG genannten Höchstbeträge (bei in Spanien lebenden Unterhaltsempfängern in Höhe von 2/3 dieser Höchstbeträge) zu berücksichtigen sind, aus Gründen der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen auch von den Steuergerichten zu beachten sind, soweit dies im Einzelfall offensichtlich nicht zu einem falschen Ergebnis führt. Der Senat hat dort ferner hervorgehoben, daß es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn das FG diese grundsätzlich erst ab dem Veranlagungszeitraum 1979 anzuwendende Verwaltungsregelung der Schätzung des notwendigen und angemessenen Unterhaltsbedarfs von Empfängern im Ausland auch für frühere Jahre zugrunde legt, soweit der Steuerpflichtige hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorbringt.
Das FG wird ferner untersuchen müssen, ob die Eltern des Klägers wirklich ohne Einkünfte waren, wie das FG es angenommen hat. Denn nach der Bescheinigung des Bürgermeisters der Heimatgemeinde bezogen die Eltern des Klägers im Jahre 1975 eine monatliche Rente von 11 100 Peseten. Das FG wird im Hinblick auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom 20. Januar 1978 VI R 170/76 (BFHE 124, 505, BStBl II 1978, 342) prüfen müssen, inwieweit diese Rente nach § 33 a Abs. 1 Satz 3 EStG ggf. den Freibetrag für die Unterhaltsgewährung mindert.
Fundstellen
Haufe-Index 75012 |
BStBl II 1984, 522 |
BFHE 1984, 261 |