Rz. 86

Überstunden i. S. d. § 4 Abs. 1a EFZG liegen vor, wenn die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers überschritten wird; sie werden i. d. R. wegen bestimmter besonderer Umstände vorübergehend zusätzlich geleistet.[1]

 

Rz. 87

Bis zum Inkrafttreten des bereits oben (Rz. 4, 5) dargestellten "Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" zum 1.1.1999 konnten Überstunden Teil der für einen Arbeitnehmer maßgeblichen regelmäßigen Arbeitszeit sein. Dementsprechend war das für diese Überstunden zu zahlende Arbeitsentgelt, einschließlich darauf entfallender Überstundenzuschläge grundsätzlich Teil der im Krankheitsfall fortzuzahlenden Vergütung. Voraussetzung war lediglich, dass die Überstunden regelmäßig geleistet wurden.[2] Nach der Rechtsprechung war dies dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer vor seiner Erkrankung in einem Zeitraum von mindestens 3 Monaten regelmäßig Überstunden geleistet hatte. Zur Regelmäßigkeit war es nicht notwendig, dass sie an den einzelnen Tagen, Wochen und Monaten der der Krankheit vorausgegangenen Lohnabrechnungszeiträume stets in gleicher Zahl geleistet wurden.[3]

 

Rz. 88

War somit bis zum 31.12.1998 die Berücksichtigung von Überstunden bzw. Überstundenvergütungen erlaubt, so sind sie nach neuem Recht grundsätzlich weder im Zeitfaktor (d. h. bei der Zahl der infolge Arbeitsunfähigkeit ausfallenden Arbeitsstunden, vgl. oben Rz. 9 ff., Rz. 16) noch im Geldfaktor (d. h. bei dem pro Stunde jeweils geschuldeten Arbeitsentgelt, vgl. oben Rz. 41 ff.) zu berücksichtigen.[4]

 
Hinweis

§ 4 Abs. 1a S. 1 EFZG nimmt sowohl die für Überstunden gezahlte Grundvergütung als auch die Zuschläge für Überstunden aus der Entgeltfortzahlung heraus.[5]

 

Rz. 89

Begrifflich sind Überstunden nur die Arbeitszeit, die ein Arbeitnehmer über die für sein Arbeitsverhältnis maßgebliche individuelle Arbeitszeit hinaus erbringt. Die maßgebliche regelmäßige individuelle Arbeitszeit folgt in erster Linie aus dem Arbeitsvertrag, kann aber durch eine anderweitig "gelebte Praxis" abgeändert worden sein. Wird regelmäßig eine bestimmte, erhöhte Arbeitszeit abgerufen und geleistet, ist dies Ausdruck der vertraglich geschuldeten Leistung[6]; eine wirksame Vereinbarung über die Arbeitszeit ist nicht erforderlich.[7] Leistet der Arbeitnehmer also ständig eine bestimmte Arbeitszeit, die mit der betriebsüblichen oder tariflichen Arbeitszeit nicht übereinstimmt, so kann von Überstunden nicht gesprochen werden.[8]

 

Rz. 90

Auf die allgemein im Betrieb geltende Arbeitszeit kommt es nicht entscheidend an. Bei Schwankungen der Arbeitszeit ist auf die durchschnittliche Dauer in den letzten 12 Monaten abzustellen.[9]

 

Rz. 91

Nur wenn ein Arbeitnehmer wegen bestimmter besonderer Umstände vorübergehend zusätzlich über diese seine individuelle regelmäßige Arbeitszeit hinaus Stunden ableistet, handelt es sich um Überstunden i. S. d. § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG.[10]

 
Praxis-Beispiel

(vereinfacht nach BAG, Urteil v. 26.6.2002, 5 AZR 153/01[11]):

Arbeitnehmer A war seit dem 1.7.1993 bei seinem Arbeitgeber, einer Spedition, als Kraftfahrer beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag findet sich folgende Formulierung:

"Der Monatslohn beträgt inklusive Überstunden -Berechnungsgrundlage: 33 Überstunden– 1.800 EUR brutto. Mit dem vereinbarten Monatslohn ist die geleistete Arbeitszeit – einschließlich etwaiger Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge – abgegolten."

In einem Schreiben teilte der Arbeitgeber A im April 1999 mit, dass er nicht mehr gewillt sei, im Krankheitsfall den vollen Lohn zu zahlen; in Zukunft werde er die eingerechneten Überstunden nicht mehr vergüten. A erkrankt arbeitsunfähig und wendet sich mit seiner Klage gegen die Berechnung der Entgeltfortzahlung, die – wie angekündigt – ohne die 33 Überstunden erfolgt ist.

Vorliegend verdeutlicht die arbeitsvertragliche Vereinbarung der Parteien, dass die individuelle Arbeitszeit von A regelmäßig um 33 Stunden monatlich verlängert sein sollte. Die maßgebliche individuelle regelmäßige Arbeitszeit von A umfasste demnach die vereinbarten 33 Überstunden pro Monat. Damit war auch diese verlängerte Arbeitszeit der Berechnung der Entgeltfortzahlung zugrunde zu legen; A war deshalb mit seiner Klage erfolgreich. Lediglich hinsichtlich der – vertraglich nicht näher bezeichneten – Mehrarbeitszuschläge besteht nach § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG kein Entgeltfortzahlungsanspruch.

 

Rz. 92

Das Abstellen auf die individuelle regelmäßige Arbeitszeit ist von besonderer Bedeutung, wenn es um die Entgeltfortzahlung von Teilzeitkräften geht.

 
Praxis-Beispiel

Arbeitnehmer A arbeitet wöchentlich 25 Stunden; die betriebsübliche Arbeitszeit beträgt 35 Wochenstunden. Arbeitet A hier wegen erhöhten Arbeitsanfalls einige Wochen lang zwischen 26 und 30 Stunden wöchentlich und erkrankt er anschließend arbeitsunfähig, so könnte man geneigt sein, diese – im Rahmen der betriebsüblichen Arbeitszeit liegende – zusätzliche Arbeitszeit ebenfalls der Entgeltfortzahlung zugrunde zu legen. Es ist jedoch auch hier ...

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