Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arbeitgeber mit Sitz in Großbritannien, der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland für bestimmte Projekte englische Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, ist zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer jedenfalls dann verpflichtet, wenn er im Inland eine Betriebstätte unterhält, die ihm die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer ermöglicht.

2. Wird der Lohn den englischen Arbeitskräften im Inland ausgezahlt, darf im Falle der Überweisung der erhaltenen Bezüge nach Großbritannien - z. B. zum Unterhalt der Angehörigen der englischen Arbeitskräfte - ein Lohnsteuerabzug nur unterbleiben, wenn die betreffenden Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine finanzamtliche Bescheinigung des Inhalts vorgelegt haben, daß der Empfänger der Einkünfte der Lohnsteuer nicht unterliegt.

 

Normenkette

EStG §§ 38, 41; StAnpG § 16; DBA-Großbritannien Art. II Abs. 1 Buchst. 1; DBA-Großbritannien Art. II Abs. 2; DBA-Großbritannien Art. XI Abs. 2; DBA-Großbritannien Art. XI Abs. 3; LStDV § 30 Abs. 5, §§ 43, 46

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft englischen Rechts mit Sitz in Großbritannien. Sie hatte sich gegenüber Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland zur Erstellung festumrissener Projekte verpflichtet. Soweit die Arbeiten in den Betrieben der deutschen Auftraggeber ausgeführt werden mußten, stellte die Klägerin eigene, festangestellte Arbeitskräfte den deutschen Firmen zur Verfügung. In der Bundesrepublik wurden die englischen Arbeitskräfte von einem deutschen Angestellten der Klägerin betreut, der in H einen Büroraum besaß. Dieser Angestellte war für die Erledigung aller Formalitäten hinsichtlich der englischen Arbeitskräfte verantwortlich. Er hatte auch die in Großbritannien ausgerechneten und in die Bundesrepublik überwiesenen Löhne an die englischen Arbeitnehmer auszuzahlen und ihnen die in Großbritannien ausgefertigten Lohnzettel auszuhändigen.

Aufgrund einer Lohnsteuerprüfung kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) zu dem Ergebnis, daß die Klägerin für die in der Bundesrepublik beschäftigten englischen Arbeitnehmer in der Zeit vom 25. Februar bis zum 24. November 1972 ...DM Lohnsteuer und ...DM Ergänzungsabgabe hätte einbehalten und abführen müssen. Das FA nahm die Klägerin mit Haftungsbescheid, der ihrem inländischen Zustellungsbevollmächtigten zugestellt wurde, für die genannten Steuerbeträge in Anspruch. In ihrer Sprungklage bestritt die Klägerin, im Inland eine Betriebstätte unterhalten zu haben und machte weiterhin vornehmlich geltend, nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964 i. d. F. des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 - DBA-Großbritannien - (BGBl II 1971, 46, BStBl I 1971, 140) sei nur ein Teil der Arbeitnehmer, deren Lohnsteuer nacherhoben werde, im Inland steuerpflichtig gewesen.

Das FG wies die Klage ab.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das angefochtene Urteil sei in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.

1. Das FG sei davon ausgegangen, daß sie die Arbeitgeberin der in der Bundesrepublik eingesetzten englischen Arbeitskräfte gewesen sei. Sie habe den Auftraggebern in der Bundesrepublik Arbeitskräfte in der Weise überlassen, daß diese deren Weisungsbefugnis für die Dauer ihrer Tätigkeit unterstanden hätten und in deren Betrieb eingegliedert gewesen seien. Nach der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung seien bei Arbeitnehmer-Überlassungsverträgen die Entleiher und nicht die Verleiher der Arbeitskräfte als Arbeitgeber anzusehen. Das müsse auch für das Steuerrecht gelten. Arbeitgeber seien daher die deutschen Unternehmer gewesen. Es sei hierbei ohne Bedeutung, daß sie als die Verleiherin die Löhne berechnet und ausgezahlt habe.

2. Entgegen der Auffassung des FG habe sie in der Bundesrepublik keine Betriebstätte unterhalten, selbst wenn dieser Begriff nach § 16 StAnpG und nicht nach Art. II Abs. 1 Buchst. 1 DBA-Großbritannien zu bestimmen sei. Ein deutlicher Bezug zum Inland liege nicht schon darin, daß ihr inländischer Angestellter ein eigenes Büro in H gehabt habe. Dieser sei nicht ihr inländischer Vertreter gewesen, sondern habe lediglich einige festumrissene Aufgaben sozialer Art erfüllt. Sie wisse auch nicht, wie sie den Lohnsteuerabzug hätte praktisch vornehmen können. Sie sei nicht über den Familienstand und die Anzahl der Kinder der Arbeitskräfte sowie über weitere, die Steuer beeinflussende Merkmale unterrichtet gewesen. Das FG verlange von ihr eine unmögliche Leistung.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Haftungsbescheid des FA aufzuheben.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin nach den §§ 38, 41 EStG und den §§ 30, 40, 41 LStDV verpflichtet war, von dem Arbeitslohn ihrer in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. Gleiches gilt für die Ergänzungsabgabe (§§ 1, 6 des Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer i. d. F. des Steueränderungsgesetzes 1971 - BGBl I 1970, 1856, BStBl I 1971, 8 -).

1. Der nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG vorzunehmende Lohnsteuerabzug obliegt dem Arbeitgeber (§ 30 Abs. 1 LStDV). In ihrer Revision bestreitet die Klägerin erstmalig ihre Arbeitgebereigenschaft im Hinblick darauf, daß sie ihre Arbeitskräfte den inländischen Auftraggebern überlassen habe. Die Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 11. Mai 1962 VI 55/61 U, BFHE 75, 112, BStBl III 1962, 310; vom 29. November 1966 I 216/64, BFHE 88, 370, BStBl III 1967, 392; vom 29. September 1967 VI 158/65, BFHE 90, 289, BStBl II 1968, 84; vom 10. April 1970 VI R 303/66, BFHE 99, 462, BStBl II 1970, 716, und vom 31. Mai 1972 I R 94/69, BFHE 106, 75, BStBl II 1972, 697) geht davon aus, daß bei Überlassung von Arbeitnehmern aufgrund von Arbeitnehmergestellungsvereinbarungen steuerlich in der Regel kein Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zum "Entleiher" der Arbeitskräfte begründet wird, wenn vertragliche Beziehungen nur zwischen "Verleiher" und "Entleiher" hergestellt werden und die tatsächlichen Beziehungen zwischen dem Verleiher und den Arbeitnehmern sich nicht ändern. Es ist ohne Bedeutung, daß der Leiharbeitnehmer in gewissem Umfang in den Betrieb des "Entleihers" eingegliedert ist, solange er dem weiterreichenden geschäftlichen Willen des "Verleihers" untergeordnet bleibt. Die arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Rechtsprechung, auf die die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung zur Stützung ihrer Auffassung Bezug nimmt, ist für die nach den Steuergesetzen zu bestimmenden Begriffe des "Arbeitgebers" und "Arbeitnehmers" nicht ausschlaggebend.

Nach den im FG-Urteil angeführten Verträgen verpflichtete sich die Klägerin in einem mit "Allgemeiner Werkvertrag" überschriebenen Vertragstext, im Rahmen des zu erstellenden Projekts qualifiziertes Fachpersonal einzusetzen. Diese Arbeitnehmer sollten, auch wenn sie im Betrieb des Auftraggebers arbeiteten, in keiner Hinsicht Bedienstete des Auftraggebers sein. Das Direktionsrecht stand nur der Klägerin zu. Der Auftraggeber war nicht berechtigt, sich mit Weisungen oder Beanstandungen irgendwelcher Art unmittelbar an die Mitarbeiter der Klägerin zu wenden, es sei denn zur Vermeidung von Schäden oder Gefahren. Die Klägerin war berechtigt, das eingesetzte Personal nach Abstimmung mit dem Auftraggeber auszuwechseln. Aus dieser Vertragsgestaltung ergibt sich, daß die Klägerin Arbeitgeberin der an inländische Auftraggeber "verliehenen" Arbeitskräfte geblieben ist.

2. Das FG ist nach einer umfangreichen Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, daß die Klägerin in dem Büro ihres Angestellten in H eine inländische Betriebstätte i. S. des § 16 StAnpG unterhalten hatte. Nach den Feststellungen des FG hat dieser Angestellte den Büroraum ausschließlich für seine Tätigkeit bei der Klägerin genutzt. Die Klägerin hat die Miete für diesen Raum und ferner einen Teil der Kosten für die von ihr mitbenutzten Fernschreib- und Fernsprechanschlüsse getragen. Von diesem Büro aus wurde ein wichtiger Teil der gewerblichen Betätigung der Klägerin im Inland - der Überlassung ausländischer Arbeitnehmer an inländische Unternehmen - gesteuert. Es wurden von hier aus die objektiven Voraussetzungen für eine kontinuierliche Tätigkeit ihrer ausländischen Arbeitnehmer im Inland geschaffen.

Die rechtliche Schlußfolgerung des FG, daß das Büro in H eine Betriebstätte der Klägerin war, ist nach alledem nicht zu beanstanden. Betriebstätte i. S. der Steuergesetze ist jede feste örtliche Anlage oder Einrichtung, die der Ausübung eines stehenden Gewerbes dient (§ 16 Abs. 1 StAnpG). Als Betriebstätte gelten nach § 16 Abs. 2 StAnpG insbesondere auch die der Ausübung des Gewerbes dienenden Kontore oder sonstige Geschäftseinrichtungen. Nicht erforderlich ist, daß die Anlage, Einrichtung usw. dem Unternehmer gehört. Es genügt, daß sie für Zwecke des Unternehmens zur Verfügung steht (BFH-Urteil vom 30. Januar 1974 I R 87/72, BFHE 111, 397, BStBl II 1974, 327).

Ohne Bedeutung ist im vorliegenden Fall, daß das DBA-Großbritannien in Art. II Abs. 1 Buchst. 1 einen eigenen Begriff der Betriebstätte kennt, der von dem des § 16 StAnpG abweicht. Der Betriebstättenbegriff des DBA gilt jedoch nur "für die Zwecke dieses Abkommens". In dem DBA-Großbritannien sind Vereinbarungen über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer durch einen ausländischen Arbeitgeber nicht enthalten. Der für die Lohnsteuerabzugspflicht in Betracht kommende Betriebstättenbegriff kann daher dem DBA nicht entnommen werden (BFH-Urteil vom 22. November 1974 VI R 24/73, BFHE 114, 350).

Es kommt hier auch nicht auf den lohnsteuerlichen Betriebstättenbegriff des § 43 LStDV an. Dessen Begriffsbestimmung ist nach der genannten Entscheidung VI R 24/73 im Zusammenhang mit den Vorschriften zu sehen, die die örtliche Zuständigkeit des FA hinsichtlich der lohnsteuerlichen Angelegenheiten solcher Arbeitgeber regeln, die im Inland mehrere Betriebe oder Betriebsteile haben.

Die Klägerin hat somit im Inland eine Betriebstätte unterhalten, die sie instand gesetzt hätte, die Lohnsteuer ihrer im Inland beschäftigten Arbeitnehmer einzubehalten und abzuführen. Die hier noch für 1972 anzuwendende Fassung des § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG setzte für den Lohnsteuerabzug nicht einmal voraus, daß der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt, Geschäftsleitung, Sitz, Betriebstätte oder ständigem Vertreter im Inland (inländischem Arbeitgeber) gezahlt wird. Eine diesbezügliche Neufassung ist erst durch das Einkommensteuerreformgesetz vom 5. August 1974 (BGBl I, 1769, BStBl I, 530) mit Wirkung vom 1. Januar 1975 eingeführt worden. Der erkennende Senat hat es in dem Urteil vom 30. Oktober 1973 I R 50/71 (BFHE 110, 536, BStBl II 1974, 107) für die Abzugspflicht eines Arbeitgebers nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG a. F. genügen lassen, daß dieser im Inland - sei es auch nur vorübergehend - eine Einrichtung unterhält, die ihm den Lohnsteuerabzug hinsichtlich seiner im Inland beschäftigten Arbeitnehmer ermöglicht.

3. Die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer der Klägerin haben mit ihren inländischen Arbeitseinkünften nach innerstaatlichem Recht der Steuerpflicht unterlegen, gleich, ob sie unbeschränkt oder beschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sind (§§ 1, 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Nach Art. XI Abs. 2 DBA-Großbritannien steht der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich ein Besteuerungsrecht zu, wenn die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit aus einer Tätigkeit in der Bundesrepublik fließen. Das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik ist nach Abs. 3 dieser Vorschrift dann nicht gegeben, wenn die englischen Arbeitskräfte sich während des Steuerjahres 1972 nicht länger als 183 Tage in der Bundesrepublik aufgehalten haben und noch weitere dort näher bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Hinsichtlich welcher Arbeitnehmer das zutrifft, hat das FG nicht hinreichend aufklären können. Wie das FA in der Revisionsentgegnung zutreffend ausgeführt hat, ist die in Art. XI Abs. 3 DBA-Großbritannien angeordnete Steuerbefreiung durch Art. II Abs. 2 dieses DBA eingeschränkt. Eine Steuerbefreiung in der Bundesrepublik kommt nur insoweit in Betracht, als die Vergütungen nach Großbritannien überwiesen oder dort entgegengenommen worden sind. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt sind die Löhne der in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer von der Klägerin in Großbritannien ausgerechnet und in die Bundesrepublik Deutschland überwiesen worden, wo sie ihr Angestellter in H den Arbeitnehmern ausgezahlt hat. Inwieweit die englischen Arbeitnehmer die ihnen in der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlten Löhne nach Großbritannien - etwa zum Unterhalt ihrer Angehörigen - transferiert haben, ist im Urteil des FG nicht festgestellt. Jedoch hätte im Falle von Überweisungen nach Großbritannien seitens der englischen Arbeitnehmer ein Lohnsteuerabzug nur unterbleiben dürfen, wenn die betreffenden Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber gemäß § 30 Abs. 5 LStDV eine finanzamtliche Bescheinigung des Inhalts vorgelegt hätten, daß der Empfänger der Einkünfte der Lohnsteuer nicht unterliegt.

Das FG hat weiterhin festgestellt, daß keine Anzeichen vorliegen, daß die englischen Arbeitnehmer im Inland zur Einkommensteuer veranlagt worden sind.

Von der Klägerin wird mit der Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug nichts Unmögliches verlangt. Die Klägerin hätte durch ihren inländischen Angestellten darauf drängen können, daß sich ihre englischen Arbeitnehmer die erforderlichen Unterlagen, wie Lohnsteuerkarten, Freistellungsbescheinigungen und dergleichen besorgen. Nach den aus diesen Unterlagen hervorgehenden Merkmalen hätte der Lohnsteuerabzug vorgenommen werden können. Irgendwelche Zweifel hätten sich durch eine Anrufungsauskunft des FA klären lassen (§ 56 LStDV). Die Feststellungen des FG lassen auch nicht erkennen, daß das FA durch irgendwelche der Klägerin erteilte Auskünfte in der Hinsicht gebunden gewesen wäre, daß ein Lohnsteuerabzug im Inland hätte unterbleiben können.

4. Da die Klägerin ihrer Verpflichtung, die Lohnsteuer - gleiches gilt von der Ergänzungsabgabe - einzubehalten und abzuführen, nicht nachgekommen ist, war das FA nach § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG i. V. m. § 46 LStDV zum Erlaß eines Haftungsbescheids berechtigt. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, daß die Inanspruchnahme durch das FA ermessenswidrig ist (§ 2 Abs. 2 StAnpG). Fehler bei der Berechnung der nachgeforderten Steuerbeträge sind nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72670

BStBl II 1978, 205

BFHE 1978, 29

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