Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitszeitkonto. Tarifvertrag. Entgeltfortzahlung. tarifliche Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung

 

Orientierungssatz

1. Ist ein Arbeitnehmer in Zeiträumen arbeitsunfähig erkrankt, in denen durch Betriebsvereinbarung die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit gemäß § 3 Ziff. 2 BMTV über die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden hinaus verlängert wird, entsteht gemäß § 3 Ziff. 5 BMTV in dieser Zeit kein Arbeitszeitguthaben. Vielmehr wird für Tage ohne tatsächliche Arbeitsleistung nur die tarifliche Arbeitszeit gutgeschrieben.

2. Mit einer solchen tariflichen Regelung wird lediglich die Bemessungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung bestimmt. Sie hält sich im Rahmen der gesetzlichen Öffnungsklausel des § 4 Abs. 4 EFZG und verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

 

Normenkette

EFZG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, 4, § 12; GG Art. 3 Abs. 1; Bundesmanteltarifvertrag für die Süßwarenindustrie vom 14. Mai 2007 (BMTV) §§ 3, 10

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 10.12.2012; Aktenzeichen 10 Sa 230/12)

ArbG Lüneburg (Urteil vom 26.01.2012; Aktenzeichen 4 Ca 509/11)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 10. Dezember 2012 – 10 Sa 230/12 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers für Zeiten seiner Arbeitsunfähigkeit.

Der Kläger ist als Mechaniker bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesmanteltarifvertrag für die Süßwarenindustrie vom 14. Mai 2007 (BMTV) kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Dieser bestimmt ua.:

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Arbeitszeit

1.

Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen 38 Stunden an in der Regel 5 Werktagen in der Woche.

2.

Zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber werden in Betriebsvereinbarungen die regelmäßigen wöchentlichen betrieblichen Arbeitszeiten festgelegt. Dabei kann eine betriebliche Arbeitszeit von bis zu 48 Stunden in der Woche ohne Mehrarbeitszuschläge vereinbart werden. Näheres dazu regeln die Ziff. 3 bis 11.

3.

  1. Wird von der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden abgewichen, so ist die sich daraus ergebende Zeitdifferenz einem für jeden Arbeitnehmer zu führenden Arbeitszeitkonto zu belasten bzw. mehrarbeitszuschlagsfrei, aber zuzüglich des Belastungsausgleiches gemäß § 3 Ziff. 4 gutzuschreiben.
  2. Minusstunden/Arbeitszeitdefizite sind auf 114 Stunden begrenzt.
  3. Beim Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb verfallen Arbeitszeitdefizite zu Lasten des Arbeitgebers, soweit die Entstehung dieser Zeitdefizite nicht durch den Arbeitnehmer verursacht wurde und ein nicht erfolgter Zeitausgleich nicht vom Arbeitnehmer zu vertreten ist.

4.

… [Belastungsausgleich]

5.

Arbeitszeitguthaben, die sich aus der Differenz zwischen der tariflichen und der betrieblich vereinbarten Arbeitszeit ergeben, entstehen an Tagen mit tatsächlicher Arbeitsleistung, d. h. nicht bei Urlaub, Krankheit und sonstigen arbeitsfreien Tagen mit oder ohne Entgeltfortzahlung.

10.

Unabhängig von der jeweiligen betrieblichen Wochenarbeitszeit wird in jedem Monat das tarifliche bzw. einzelvertraglich vereinbarte Monatsentgelt gleichbleibend gezahlt.”

§ 10 Ziff. 1 BMTV regelt darüber hinaus, dass bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes gelten.

Im Betrieb findet eine Betriebsvereinbarung über die Variable Arbeitszeit Anwendung. Auf dieser Grundlage war der Kläger in der Zeit vom 23. Mai bis zum 28. Mai 2011 dienstplanmäßig für 45,6 Stunden zur Arbeit eingeteilt. Vom 26. Mai bis zum 29. Mai 2011 war er arbeitsunfähig erkrankt. Für den 28. Mai 2011, einem Samstag, an dem der Kläger 7,6 Stunden hätte arbeiten sollen, schrieb die Beklagte seinem Arbeitszeitkonto keine Arbeitszeit gut.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf eine Gutschrift auch derjenigen geplanten Arbeitszeit, die die tarifliche Arbeitszeit übersteigt. Nach dem Entgeltausfallprinzip seien die Arbeitnehmer im Krankheitsfall so zu stellen, als hätten sie gearbeitet. § 3 Ziff. 5 BMTV überschreite den Regelungsrahmen des § 4 Abs. 4 EFZG, da ganze Zeiträume und nicht nur die Berechnungsgrundlage der Entgeltfortzahlung abweichend vom Gesetz geregelt würden. Die Norm verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer, die zu einer von der tariflichen Regelarbeitszeit abweichenden Arbeitszeit eingeteilt wurden, würden gegenüber solchen, die diese Arbeitszeit tatsächlich erbrachten, ohne sachlichen Grund ungleichbehandelt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm für den 28. Mai 2011 7,6 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Tarifnorm sei wirksam.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.

I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Antrag nach der gebotenen Auslegung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwischen den Parteien besteht keine Unklarheit, wie die Gutschrift erfolgen soll (vgl. zu dieser Anforderung: BAG 21. März 2012 – 5 AZR 676/11 – Rn. 16 mwN, BAGE 141, 88).

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Gutschrift von 7,6 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto für den 28. Mai 2011.

1. Aus § 3 Ziff. 3 Buchst. a BMTV ergibt sich ein solcher Anspruch nicht.

a) Zwar galt im streitgegenständlichen Zeitraum betrieblich eine längere als die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden. Einer Gutschrift der begehrten 7,6 Stunden steht jedoch § 3 Ziff. 5 BMTV entgegen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm und der Systematik der tariflichen Regelung kann ein Zeitguthaben aus der Differenz zwischen der tariflichen und einer höheren betrieblichen Arbeitszeit nur an Tagen mit tatsächlicher Arbeitsleistung entstehen, nicht hingegen bei Krankheit oder anderen arbeitsfreien Tagen. An dem Tag, für den der Kläger die Zeitgutschrift begehrt, war er arbeitsunfähig erkrankt.

b) Für die vom Kläger in den Vorinstanzen vertretene Auffassung, § 3 Ziff. 5 BMTV erfasse nur Fälle, in denen eine Überschreitung der täglichen Arbeitszeit vorliege, gibt es im Tarifvertrag keine Anhaltspunkte. Entgegen der Auffassung der Revision folgt auch aus § 10 BMTV, nach dessen Ziff. 1 bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes gelten, kein anderes Ergebnis, da nach § 4 Abs. 4 EFZG durch Tarifvertrag eine von den Absätzen 1, 1a und 3 des § 4 EFZG abweichende Bemessungsgrundlage festgelegt werden kann. Von dieser Möglichkeit haben die Tarifvertragsparteien in § 3 Ziff. 5 BMTV Gebrauch gemacht.

2. § 3 Ziff. 5 BMTV hält sich im Rahmen der gesetzlichen Öffnungsklausel des § 4 Abs. 4 EFZG.

a) Gemäß § 4 Abs. 1 EFZG ist dem Arbeitnehmer für den in § 3 Abs. 1 EFZG bezeichneten Zeitraum das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Der Entgeltfortzahlung liegt damit ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zugrunde. Für die Entgeltfortzahlung ist maßgeblich, welche Arbeitszeit aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ausgefallen ist (BAG 24. März 2004 – 5 AZR 346/03 – zu II 1 a der Gründe, BAGE 110, 90). Da Gutschriften auf einem Arbeitszeitkonto nur eine andere Form von Entgelt sind, das lediglich nicht (sofort) ausgezahlt, sondern verrechnet wird, sind im Krankheitsfall grundsätzlich auch Zeitgutschriften zu gewähren, unabhängig davon, ob das Arbeitsentgelt verstetigt ausgezahlt wird (BAG 28. Januar 2004 – 5 AZR 58/03 – zu II 3 der Gründe; 13. Februar 2002 – 5 AZR 470/00 – zu I 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 256).

b) Durch Tarifvertrag kann allerdings nach § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG eine von den Absätzen 1, 1a und 3 des § 4 EFZG abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden. „Bemessungsgrundlage” im Sinne dieser Vorschrift ist die Grundlage für die Bestimmung der Höhe der Entgeltfortzahlung. Hierzu gehören sowohl die Berechnungsmethode (Ausfall- oder Referenzprinzip) als auch die Berechnungsgrundlage. Die Berechnungsgrundlage setzt sich aus Geld- und Zeitfaktor zusammen. Sie betrifft Umfang und Bestandteile des der Entgeltfortzahlung zugrunde zu legenden Arbeitsentgelts sowie die Arbeitszeit des Arbeitnehmers (BAG 18. November 2009 – 5 AZR 975/08 – Rn. 16; 24. März 2004 – 5 AZR 346/03 – zu II 3 der Gründe mwN, BAGE 110, 90; vgl. auch BT-Drs. 12/5798 S. 26). Arbeitszeit iSd. § 4 Abs. 4 EFZG meint dabei diejenige Arbeitszeit, für die der Arbeitnehmer in dem Zeitraum nach § 3 Abs. 1 EFZG Arbeitsentgelt bekommen hätte, wenn er nicht an der Arbeitsleistung verhindert gewesen wäre, sondern gearbeitet hätte (BAG 26. September 2001 – 5 AZR 539/00 – zu I 3 a bb der Gründe, BAGE 99, 112).

c) In diesem Rahmen sind Abweichungen auch zulasten des Arbeitnehmers zulässig. Bei der Gestaltung der Bemessungsgrundlage müssen die Tarifvertragsparteien aber darauf achten, dass sie weder unmittelbar noch mittelbar gegen die anderen, nach § 12 EFZG zwingenden und nicht tarifdispositiven Bestimmungen des EFZG verstoßen. Die Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien findet dort ihre Grenze, wo der Anspruch auf Entgeltfortzahlung in seiner Substanz angetastet wird (BAG 24. März 2004 – 5 AZR 346/03 – zu II 3 b der Gründe, BAGE 110, 90). Insbesondere sind die Tarifvertragsparteien an den Grundsatz der vollen Entgeltfortzahlung (100 %) im Krankheitsfall gebunden (BAG 24. März 2004 – 5 AZR 346/03 – aaO).

d) Hinsichtlich des Zeitfaktors erlaubt es § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG danach zwar nicht, die zu berücksichtigende Arbeitszeit lediglich anteilig in die Bemessung der Entgeltfortzahlung einfließen zu lassen. Für die Ermittlung der ausgefallenen Arbeitszeit muss aber nicht die individuelle Arbeitszeit maßgeblich sein, es kann vielmehr auch auf die betriebsübliche oder die regelmäßig tarifliche Arbeitszeit abgestellt werden (BAG 19. Januar 2010 – 9 AZR 426/09 – Rn. 57; 18. November 2009 – 5 AZR 975/08 – Rn. 16; 24. März 2004 – 5 AZR 346/03 – zu II 3 a bb der Gründe, BAGE 110, 90).

e) Dies ist durch § 3 Ziff. 5 BMTV erfolgt. Diese Bestimmung bewirkt im konkreten Fall – verglichen mit der Lage nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz selbst – eine Reduzierung des Entgeltfortzahlungsanspruchs um 7,6 Stunden, da sich der tarifliche Zeitfaktor für die Berechnung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts nach der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bemisst und nicht nach der individuellen Arbeitszeit des Klägers oder der in diesem Zeitraum vereinbarten betrieblichen Arbeitszeit. Diese Orientierung des Zeitfaktors an der tariflichen Arbeitszeit ist jedoch nach den obigen Grundsätzen zulässig; ein Eingriff in die Substanz des Entgeltfortzahlungsanspruchs liegt nicht vor.

3. § 3 Nr. 5 BMTV verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Bezugnahme auf die tarifliche Arbeitszeit ist sachlich begründet (BAG 18. November 2009 – 5 AZR 975/08 – Rn. 18; 24. März 2004 – 5 AZR 346/03 – zu II 4 der Gründe, BAGE 110, 90).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Linck, Brune, W. Reinfelder, Thiel, R. Bicknase

 

Fundstellen

Haufe-Index 7220064

BB 2014, 2292

DB 2014, 2176

NJW 2014, 8

FA 2014, 344

NZA 2015, 499

ZTR 2014, 609

EzA-SD 2014, 5

EzA 2014

AUR 2014, 387

ArbRB 2014, 328

AP-Newsletter 2014, 230

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