Gilt der Tarifvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kraft beiderseitiger Tarifbindung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) oder Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 TVG), entfaltet sein Inhalt zwischen den Arbeitsvertragsparteien unmittelbare und zwingende Wirkung. Ein Verzicht oder eine Verwirkung von tariflichen Rechten ist weitgehend ausgeschlossen. Einschränkungen bestehen nur dann, wenn der Tarifvertrag Öffnungs- oder Bestimmungsklauseln enthält. Nach Beendigung des Tarifvertrags gilt sein Inhalt kraft Nachwirkung weiter, kann aber durch eine andere Abmachung geändert werden.

3.1 Unmittelbare Wirkung

Die Besonderheit der in § 4 Abs. 1 TVG festgelegten unmittelbaren Wirkung von Tarifnormen besteht darin, dass der Inhalt des normativen Teils des Tarifvertrags wie eine staatliche Rechtsnorm ohne Rücksicht auf die Kenntnis der Arbeitsvertragsparteien von ihrem Bestehen und Inhalt auf den Arbeitsvertrag einwirkt. Aus bestehenden tariflichen Regelungen erlangt der Arbeitnehmer einen Anspruch, den er grundsätzlich auch für den Zeitraum durchsetzen kann, in dem er von dem Bestehen oder der Anwendung des Tarifvertrags auf sein Vertragsverhältnis keine Kenntnis hatte. Allerdings kommt der Untergang von in der Vergangenheit liegenden tariflichen Ansprüchen aufgrund einer Ausschlussfrist (Verfallklausel) im Tarifvertrag oder Verjährung (§§ 194 ff. BGB) in Betracht.

Vereinbarungen im Arbeitsvertrag, die dem Tarifinhalt widersprechen, werden jedenfalls für die Laufzeit des Tarifvertrags nicht angewendet, wenn der Tarifvertrag kraft Tarifbindung oder Allgemeinverbindlichkeit gilt. Im Arbeitsvertrag enthaltene günstigere Festlegungen werden durch den Tarifinhalt nicht berührt, hier gilt die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung, sog. Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG).

 
Hinweis

Beiderseitige Tarifbindung zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses

Die unmittelbare Wirkung der Tarifnormen besteht nur dann, wenn beide Parteien des Arbeitsvertrags tarifgebunden sind. Wird ein Tarifvertrag mit Rückwirkung abgeschlossen, besteht aber zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrags keine beiderseitige Tarifbindung mehr, kommt dem Tarifvertrag auch dann keine unmittelbare Wirkung zu, wenn die Tarifbindung zu dem Zeitpunkt, auf den der Tarifvertrag zurückwirken soll, noch bestand.[1]

3.2 Zwingende Wirkung

Nach § 4 Abs. 1 TVG gelten Tarifnormen zwischen den Arbeitsvertragsparteien zwingend, wenn der Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) oder Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 TVG) Anwendung findet. Die zwingende Wirkung des Tarifvertrags entfällt, wenn der Tarifvertrag nur kraft einzelvertraglicher Bezugnahme oder Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) anwendbar ist. Aus der zwingenden Wirkung folgt, dass die tariflichen Ansprüche allen zum Nachteil des Arbeitnehmers abweichenden Vereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht zugänglich sind, worunter auch sog. Klagerücknahme- oder Verzichtsversprechen fallen.[1] Abweichende Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers sind stets möglich, dies ergibt sich aus dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG.

Der Tarifvertrag schreibt wie ein einseitig zwingendes Gesetz einen Mindestschutz für den Arbeitnehmer fest. Er kann mit Beginn der Tarifwirkungen die Rechte aus dem Tarifvertrag unabhängig von früheren und späteren Absprachen in Anspruch nehmen. Ein Arbeitnehmer verstößt im Regelfall nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, wenn er es ablehnt, eine tarifwidrige Anordnung oder eine ebensolche Vereinbarung zu befolgen.[2] Ein Arbeitnehmerverhalten, das sich innerhalb der tariflichen Ordnungsnormen hält, kann daher vom Arbeitgeber regelmäßig nicht zum Anlass für eine Kündigung genommen werden.[3] Eine Ausnahme von der zwingenden Wirkung können Tariföffnungsklauseln oder Bestimmungsklauseln enthalten.

3.3 Tariföffnungsklauseln

Eine Ausnahme von der zwingenden Wirkung besteht, wenn die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag selbst eine Abweichung gestatten (sog. Tariföffnungsklausel). Die Zulässigkeit der Tariföffnungsklauseln ergibt sich aus der Tarifautonomie selbst. Die Tarifpartner können selbst bestimmen, welchen Regelungen sie normativen Charakter verleihen und welche sie dispositiv, d. h. abänderbar ausgestalten.

Tariföffnungsklauseln werden nur dann notwendig, wenn die Abweichung vom Tarifinhalt zulasten der Arbeitnehmer ermöglicht werden soll. Günstigere Regelungen sind nach § 4 Abs. 3 TVG stets möglich. Die Möglichkeit, durch eine andere Vereinbarung vom Inhalt des Tarifvertrags abzuweichen, muss eindeutig im Tarifwortlaut enthalten sein. Denkbar ist aber auch die konkludente Vereinbarung einer Tariföffnungsklausel. Allerdings muss sich bei der Auslegung des Tarifvertrags eindeutig ergeben, dass eine Abweichung von seinen Vorgaben zulässig sein soll. Im Zweifel wird das Vorliegen einer zwingenden Tar...

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