BAG, Urteil vom 5.12.2023, 9 AZR 364/22

Leitsatz (amtlich)

Erkrankt der Arbeitnehmer in einem Zeitraum, für den – wirksam – Kurzarbeit "null" eingeführt worden ist, sind die ausgefallenen Arbeitstage bei der Berechnung des Urlaubsumfangs nicht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen.

Sachverhalt

Der Kläger war bis zum 31.1.2021 bei der Beklagten als Mitarbeiter in der Betriebsschlosserei beschäftigt. Sein Jahresurlaub betrug 29 Arbeitstage in einer Fünftagewoche. Der Kläger war in der Zeit vom 20.3. bis zum 27.3.2020 arbeitsunfähig krank. Aus Anlass eines durch die Corona-Pandemie bedingten Arbeitsausfalls trafen die Parteien unter dem 23.3.2020 als Ergänzung zum bestehenden Arbeitsvertrag eine Vereinbarung über Kurzarbeit. Die Beklagte führte dann auch mit Wirkung vom 1.4.2020 bis zum Ende des Jahres in ihrem Betrieb Kurzarbeit ein. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach Maßgabe einer Folgebescheinigung vom 26.3.2020 weiterhin zunächst bis zum 12.4.2020 und sodann durchgehend bis zum 31.12.2020 arbeitsunfähig krank.

Mit seiner Klage hat der Kläger nun die Abgeltung von 15 Arbeitstagen gesetzlichen Mindesturlaubs für den Zeitraum 1.4. bis 31.12.2020 verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, für diesen Zeitraum gesetzliche Urlaubsansprüche in ungeminderter Höhe erworben zu haben. Ungeachtet der im Betrieb praktizierten Kurzarbeit seien die Zeiten seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bei der Berechnung des Urlaubs wie solche mit tatsächlicher Arbeitsleistung zu behandeln.

Die Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Das Gericht entschied, dass dem Kläger für das Kalenderjahr 2020 kein weiterer gesetzlicher Urlaubsanspruch zusteht, der abgegolten werden musste; denn der Umfang des Urlaubsanspruchs war unter Berücksichtigung der kurzarbeitsbedingten Aufhebung der Arbeitspflicht zu berechnen. Dies folge aus §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG, wonach die Zahl der Urlaubstage ausgehend vom Erholungszweck des gesetzlichen Mindesturlaubs in Abhängigkeit von der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht berechnet werde (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht: 312 Werktage; BAG, Urteil v. 30.11.2021, 9 AZR 225/21).

Bei einer eintretenden Änderung der Arbeitstage mit Arbeitspflicht sei somit der gesetzliche Urlaubsanspruch unter Berücksichtigung der einzelnen Zeiträume der Beschäftigung und der auf sie entfallenden Wochentage mit Arbeitspflicht neu zu berechnen. Dies gelte auch dann, wenn die Arbeitspflicht infolge einer wirksam eingeführten Kurzarbeit an ganzen Arbeitstagen entfällt (BAG, Urteil v. 30.11.2021, 9 AZR 225/21).

Erkrankt nun ein Arbeitnehmer in einem Zeitraum, für den – wirksam – Kurzarbeit eingeführt worden ist, ändere sich an der durch die Kurzarbeit geänderten Verteilung der Arbeitszeit jedoch nichts. Die für die Berechnung der Urlaubsdauer maßgebliche arbeitsvertragliche Grundlage bleibe durch die Erkrankung unberührt. Der Urlaubsanspruch eines während der Kurzarbeit arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers müsse, so das Gericht, auch unter Berücksichtigung der Vorgaben aus Art. 31 Abs. 2 GRC und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG nicht nach Maßgabe der außerhalb der Kurzarbeit gültigen Arbeitszeit berechnet werden.

Das BAG führte hierzu aus, dass der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG sowie der durch Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG unionsrechtlich gewährleistete Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es dem Arbeitnehmer ermöglichen solle, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Erholung, Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dieser vorgesehene Zweck beruhe jedoch auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Deshalb seien die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeitszeiträume zu berechnen (EuGH, Urteil v. 12.10.2023, C-57/22; 25.6.2020 – C-762/18 und C-37/19). Fielen jedoch ganze Urlaubstage aufgrund von Kurzarbeit aus, verringere sich die durch die Erbringung der Arbeitsleistung bedingte Belastung. In diesem Fall stehe es im Einklang mit dem Urlaubszweck, den Urlaubsumfang bei der Umrechnung von Werktagen in Arbeitstage an die herabgesetzte Arbeitspflicht des Arbeitnehmers anzupassen (BAG, Urteil v. 30.11.2021, 9 AZR 225/21).

Für den Fall der Erkrankung sei zwar zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf den bezahlten Jahresurlaub in bestimmten Fällen, in denen ein Arbeitnehmer nicht in der Lage sei, seine Aufgaben zu erfüllen, nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht werden dürfe, dass der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, was insbesondere für Arbeitnehmer gelte, die während des Bezugszeitraums krankgeschrieben sind. Der unionsrechtlich gewährleistete Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Mindestjahresurlaub könne nicht dadurch eingeschränkt werden, dass der Arbeitnehmer seiner Arbeitspflicht wegen einer Erkrankung im Bezugszeit...

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