Kündigungsschutz besteht, wenn bei Zugang der Kündigung

  • die Schwerbehinderteneigenschaft offenkundig ist[1] oder
  • die Schwerbehinderteneigenschaft bzw. deren Gleichstellung nachgewiesen (§ 173 Abs. 3 SGB IX) ist oder
  • die Schwerbehinderteneigenschaft zwar zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht nachgewiesen ist, jedoch

    • ihre Feststellung spätestens 3 Wochen vor Zugang der Kündigung beantragt und
    • später rückwirkend festgestellt wird (§ 173 Abs. 3 SGB IX) und
    • der Arbeitnehmer dem Versorgungsamt gegenüber seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist und

      • der Arbeitnehmer den Arbeitgeber von der angenommenen Schwerbehinderung innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung unterrichtet.

Bei der ersten Alternative handelt es sich um offenkundige Fälle wie z. B. Blindheit, Querschnittslähmung, Verlust von Armen oder Beinen, Kleinwüchsigkeit mit eingeschränkter Beweglichkeit.

Bei der zweiten Alternative erfolgt ein Nachweis durch Bescheid des Versorgungsamts (§ 152 SGB IX), Feststellung der Behinderung und ihres Grads in einem Rentenbescheid oder in einer Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung (§ 152 Abs. 2 SGB IX). Ausreichend ist, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung der Nachweis objektiv vorliegt. Nicht erforderlich ist zu diesem Zeitpunkt der Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber.

Der Inhalt der dritten Alternative – die auch bei einem Gleichstellungsverfahren entsprechend zur Anwendung kommt[2] – erschließt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, da dieser völlig verunglückt ist. Das Erfordernis der Antragsfrist ergibt sich mittelbar aus den in Bezug genommenen Fristen für die Entscheidung des Versorgungsamts. Das Versorgungsamt oder die sonst zuständige Behörde hat die Behinderung, wenn ein Gutachten für die Feststellung nicht erforderlich ist, binnen drei Wochen nach Antragseingang festzustellen (entsprechend § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Ist ein Gutachten erforderlich, ist unverzüglich – i. d. R. binnen 3 Wochen – ein geeigneter Sachverständiger zu beauftragen. Das Gutachten ist innerhalb von 2 Wochen nach Auftragserteilung zu erstellen. Innerhalb zweier weiterer Wochen nach Vorliegen des Gutachtens ist die Feststellung der Behinderung zu treffen (entsprechend § 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX). Wird diese Frist wegen fehlender Mitwirkung nicht gewahrt, entfällt der besondere Kündigungsschutz (§ 173 Abs. 3 SGB IX). Mit dieser Regelung soll ausgeschlossen werden, dass ein besonderer Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gilt, in dem ein aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wird. Unabhängig davon, ob ein Gutachten erforderlich ist, muss der Arbeitnehmer den Antrag also mindestens 3 Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt haben.[3] Ist diese Frist nicht gewahrt, unterfällt er nicht dem besonderen Kündigungsschutz, auch wenn zu einem späteren Zeitpunkt nach Zugang der Kündigung sein Antrag Erfolg haben sollte. Für den Fall, dass der Antrag des Arbeitnehmers auf Anerkennung weniger als 3 Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt wurde und die Anerkennung nicht schon vor dem Zugang der Kündigung erfolgt ist, kann sich der Arbeitgeber sonach sicher wähnen, dass eine nachträgliche Anerkennung ohne Bedeutung für die Kündigung ist.

Wurde allerdings der Antrag fristgerecht gestellt und wird dem Antrag später stattgegeben, erlangt der Arbeitnehmer rückwirkend den besonderen Kündigungsschutz. Bei dieser Alternative ist allerdings zusätzlich erforderlich, dass der Arbeitnehmer seinen Mitwirkungspflichten so nachgekommen ist, dass dem Versorgungsamt eine Entscheidung innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen möglich gewesen wäre. Die Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers ergeben sich gemäß § 173 Abs. 3 SGB IX aus der entsprechenden Anwendung des § 60 Abs. 1 SGB I. So hat er z. B. alle für die Feststellung der Schwerbehinderung erforderlichen Tatsachen anzugeben, Beweismittel vorzulegen, erforderlichen Auskünften Dritter zuzustimmen.

Nach Auffassung des BAG besteht der besondere Kündigungsschutz selbst in dem Fall, dass bei Ausspruch der Kündigung das Versorgungsamt das Bestehen einer Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung abgelehnt hat, dieser Bescheid aber im weiteren gerichtlichen Verfahren aufgehoben und rückwirkend die Schwerbehinderung zuerkannt wird.[4] An dieser Rechtslage würde sich auch nichts ändern, wenn in einem derartigen Fall das Integrationsamt bei einem vorsorglich gestellten Antrag auf Zustimmung zur Kündigung ein Negativattest erteilt.[5]

Diese Rechtslage führt beim Arbeitgeber zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Beruft sich ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung binnen 3 Wochen darauf, er sei schwerbehindert oder einem Schwerbehinderten gleichgestellt, jedoch noch nicht anerkannt, so hängt die Frage, ob bei nachträglicher Anerkennung die Kündigung unwirksam wird, also vom Zeitpunkt seiner Antragstellung und der Mitwirkung bei den notwendigen Ermittlungen des Versorgungsamts ab. Von beiden Umständen hat der Arbeitgeber aber keine Kenntnis. In dieser Situation wird dem Arbeitgeber ...

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