LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 4.12.2017, 1 Sa 4/17

Einschlägige Berufserfahrungszeiten von weniger als einem Jahr, die bei einem anderen Arbeitgeber erworben wurden, können bei der Einstellung bei Anwendung des § 16 Abs. 2 TV-L auf die Stufenlaufzeit der Stufe 1 angerechnet werden, wenn die Unterbrechung weniger als 6 Monate beträgt.

Sachverhalt

Der Kläger wurde am 12.9.2014 als Lehrkraft beim Land Baden-Württemberg in EG 13 Stufe 1 eingestellt. Ab dem 1.3.2015 wurde er der Stufe 2 zugeordnet.

Der Kläger begehrt Entgelt für den Zeitraum ab Einstellung bis Ende Februar 2015 nach der Stufe 2. Im Streit steht die Anrechnung von 3 Vorzeiten wie folgt:

  • Tätigkeit vom 8.9.2011 bis 31.1.2012 als Lehrkraft im Saarland in der EG 13
  • Referendariat als Beamter vom 1.2.2012 bis 31.1.2014 in Rheinland-Pfalz
  • Tätigkeit als Lehrkraft vom 1.2.2014 bis 7.9.2014 im Saarland in der EG 13 Stufe 1, ab 1.8. in Stufe 2.

Die Beklagte hat von den Vorzeiten lediglich die Zeit des Referendariats im Umfang von 6 Monaten angerechnet.

Die Entscheidung

Die Klage hatte Erfolg.

Die 1. Vorzeit wurde nicht angerechnet. Zwar handelt es sich nach Auffassung des LAG um eine einschlägige Berufserfahrung. Aber der nach der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L zulässige Unterbrechungszeitraum von 6 Monaten war überschritten. Nach der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L besteht ein vorheriges Arbeitsverhältnis i. S. d. Satzes 2, wenn zwischen dem Ende des vorherigen und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von längstens 6 Monaten liegt. Diese Regelung bezieht sich zwar nach ihrem Wortlaut ausschließlich auf eine Vorbeschäftigung beim selben Arbeitgeber. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 3.7.2014 – 6 AZR 1088/12) liegt insoweit jedoch eine planwidrige Regelungslücke vor. Ausgehend von Sinn und Zweck der Vorschrift ist eine analoge Anwendung der Protokollerklärung Nr. 3 von § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L erfassten Sachverhalte geboten. Denn es macht für die in früheren Arbeitsverhältnissen erworbene Berufserfahrung keinen Unterschied, ob die Erfahrung beim selben Arbeitgeber oder einem anderen Arbeitgeber erworben wurde. Entscheidend ist, ob die Berufserfahrung aus früheren Arbeitsverhältnissen auch nach einer zeitlich erheblichen Unterbrechung bei einer typisierenden Betrachtung dem späteren Arbeitnehmer noch unmittelbar zugutekommt, dieser Arbeitgeber den Beschäftigten also ohne eine nennenswerte Einarbeitungszeit einsetzen kann. Dieser Rechtsprechung des BAG schließt sich das LAG an.

Angesichts einer Unterbrechungszeit von mehr als 2 ½ Jahren liege daher eine schädliche Unterbrechung i. S. d. Protokollerklärung Nr. 3 vor.

Bei der Zeit des Referendariats handelt es ich um eine Ausbildung. Ausbildungszeiten können das Erfordernis der einschlägigen Berufserfahrung nicht erfüllen.

Eine Ausnahme hiervon regelt die Protokollerklärung Nr. 2 zu § 16 Abs. 2 TV-L, wonach ein Berufspraktikum nach dem TV-Prakt-L grundsätzlich als Erwerb einschlägiger Berufserfahrung gilt. Eine weitere Ausnahme besteht bei Lehrkräften an allgemeinbildenden und an berufsbildenden Schulen nach dem damals noch anwendbaren § 44 Nr. 2a TV-L (seit 1.8.2015: § 6 TV EntgeltO Lehrer). Danach wird im Rahmen des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV-L die Zeit des Referendariats im Umfang von 6 Monaten angerechnet.

Des Weiteren ist die Zeit vom 1.2.2014 bis 7.9.2014 voll anzurechnen. Es handele sich um eine einschlägige Berufserfahrung. Auch liege keine schädliche Unterbrechungszeit vor. Die Anrechnung scheitere auch nicht daran, dass der Kläger im Rahmen des 2. Arbeitsverhältnisses im Saarland keine Berufserfahrung von mindestens einem Jahr erworben hat. Zwar besagt § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L, dass die Einstellung in die Stufe 2 erst dann erfolgt, wenn eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben wurde. Dies bedeute jedoch nicht, dass eine einschlägige Berufserfahrung, die kürzer als ein Jahr gedauert hat, vollständig unberücksichtigt bleibt, mit der Folge, dass im vorliegenden Fall die Stufenlaufzeit in der Stufe 1 wieder von Neuem beginnen würde. Denn auch eine einschlägige Berufserfahrung, die in Arbeitsverhältnissen erworben wurde, die kürzer als ein Jahr gedauert haben, erspare dem Arbeitgeber Einarbeitungszeit und lasse ein höheres Leistungsvermögen des Arbeitgebers erwarten. Sie ist deshalb nach dem Zweck des § 16 Abs. 2 TV-L finanziell zu honorieren (BAG v. 3.7.2014, 6 AZR 1088/12 – Rn 17; BAG v. 27.3.2014, 6 AZR 571/12 – Rn 24; BAG 21.2.2013, 6 AZR 524/11 – Rn. 35). Lediglich bei sehr kurzen Arbeitsverhältnissen könne insoweit eine andere Betrachtung angezeigt sein.

Dabei ist es nach Auffassung des LAG unerheblich, ob die einschlägige Berufserfahrung bei einem anderen Arbeitgeber erworben wurde. Ein sachlicher Grund, bei der Anrechnung von kürzeren Berufserfahrungszeiten zwischen der Vorbeschäftigung beim selben Arbeitgeber und derjenigen bei anderen Arbeitgebern zu unterscheiden, ...

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