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BSG Beschluss vom 16.06.2020 - B 8 SO 69/19 B

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Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 28.02.2018; Aktenzeichen S 48 SO 222/17)

Bayerisches LSG (Urteil vom 19.09.2019; Aktenzeichen L 8 SO 74/18)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. September 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 7500 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige des Beklagten nach § 93 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

Die Beigeladene ist die Mutter der Klägerin, wohnt zur Miete in einer Wohnung der Klägerin und schenkte dieser im Oktober 2014 für den Kauf eines Kfz 7500 Euro. Vom Beklagten erhielt die Beigeladene ab dem 10.2.2015 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (Bescheide vom 30.4.2015 und vom 8.7.2015). Nach Anhörung der Klägerin leitete der Beklagte einen Schenkungsrückforderungsanspruch der Beigeladenen gegen die Klägerin auf sich über (Bescheid vom 11.1.2016; Widerspruchsbescheid vom 5.4.2017).

Während das Sozialgericht (SG) München der Klage wegen Ermessensfehlern des Beklagten stattgegeben und den Bescheid aufgehoben hat (Urteil vom 28.2.2018), hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.9.2019). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Überleitungsanzeige sei rechtmäßig, insbesondere seien Ermessensfehler nicht zu erkennen. Die vom SG angenommene Unverhältnismäßigkeit liege angesichts erbrachter Leistungen bis April 2017 in Höhe von rund 7000 Euro nicht vor. Die vom SG angenommene Möglichkeit eines unmittelbaren Vorgehens der Beigeladenen gegen die Klägerin (Aufrechnung des etwaigen Schenkungsrückforderungsanspruchs mit fälligen Mietzahlungen) sei nicht geeignet gewesen, dem Beklagten den Nachranggrundsatz entgegenzuhalten. Einfachere Möglichkeiten als die Überleitung hätten dem Beklagten nicht zur Verfügung gestanden.

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Divergenz und Verfahrensmängel geltend. Der Rechtsstreit werfe die Fragen auf, ob eine Überleitungsanzeige voraussetze, dass die Erbringung von Sozialhilfeleistungen an den Leistungsempfänger rechtmäßig erfolgt sei und ob hier ggf eine Ausnahme zu machen sei, wenn die Rechtmäßigkeit der Sozialhilfebewilligung vom Bestehen oder Nichtbestehen des übergeleiteten Anspruchs abhänge. Außerdem stelle sich die Frage, ob mit der Anfechtungsklage angefochtene und damit nicht bestandskräftige anfänglich rechtmäßige Überleitungsbescheide von den Sozialgerichten aufgehoben werden könnten, wenn diese erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids rechtswidrig geworden seien. Das LSG habe den Rechtssatz aufgestellt, wonach bei der Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei; dies stehe im Widerspruch zu einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Vertragsarztrecht, die möglicherweise auf den vorliegenden Fall übertragen werden könne, weshalb auch eine Divergenz geltend gemacht werde. Schließlich sei die Kostenentscheidung des LSG rechtlich fehlerhaft und für die Klägerin überraschend unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör ergangen, was einen Verfahrensfehler bedeute. Sie sei mit der Geltendmachung dieses Verfahrensfehlers nicht ausgeschlossen, weil sie ihre Beschwerde nicht auf die Kostenentscheidung beschränke.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) noch der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG), noch ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) in der gebotenen Weise bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Zwar wirft die Klägerin mehrere Rechtsfragen auf. Es fehlt aber an einer hinreichenden, den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen anderer oberster Bundesgerichte oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl nur BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7; BSG vom 30.7.2019 - B 2 U 239/18 B - juris RdNr 4). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und ggf anderer oberster Bundesgerichte zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung nicht beantwortet werden kann.

Hieran fehlt es. Die Klägerin setzt sich nämlich nicht mit der umfangreichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 90 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), der Vorgängervorschrift des § 93 SGB XII, auseinander. Danach ist grundsätzlich die Überleitung nicht davon abhängig, dass Sozialhilfe zu Recht geleistet worden ist (BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 57/88 - NJW 1992, 3313; BVerwG vom 17.5.1973 - V C 108/72 - BVerwGE 42, 198 = Buchholz 436.0 § 90 BSHG Nr 9, juris RdNr 17); es sind aber differenzierte Betrachtungen möglich, abhängig davon, ob die Sozialhilfe im Wesentlichen von den gleichen Voraussetzungen abhängt wie der übergeleitete Anspruch (dann keine Rechtmäßigkeitsprüfung der Sozialhilfeleistung) oder ob es sich um höchstpersönliche Rechte handelt, die übergeleitet werden oder sich die Voraussetzungen der Hilfegewährung wesentlich von denjenigen des übergeleiteten Anspruchs unterscheiden oder Belange des Dritten in unzulässiger Weise verkürzt werden (vgl BVerwG vom 18.12.1975 - V C 2.75 - BVerwGE 50, 64 = Buchholz 436.0 § 91 BSHG Nr 6; BVerwG vom 27.10.1977 - V C 9.77 - BVerwGE 55, 23 = FamRZ 1978, 275). Die Klägerin rekurriert allein auf die vom LSG herangezogene Entscheidung des BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 57/88 - und behauptet hierzu lediglich, dass das Urteil "unbehilflich" sei, weil es die Rechtslage nach dem BSHG betreffe und die Argumentation des BVerwG wegen des geänderten Wortlauts nicht übertragbar sei. Angesichts der Gesetzesbegründung zu § 93 SGB XII, wonach die Vorschrift "im Wesentlichen inhaltsgleich den bisherigen § 90 des Bundessozialhilfegesetzes" überträgt (BT-Drucks 15/1514 S 67), ist dieser Vortrag aber unschlüssig und rechtfertigt die unterlassene Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerwG nicht. Ist die Rechtsfrage höchstrichterlich bereits geklärt, kann die Klärungsbedürftigkeit ausnahmsweise bejaht werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringem Umfang widersprochen wird und gegen sie Einwendungen vorgebracht werden, die nicht als abwegig anzusehen sind (BSG vom 20.12.2018 - B 8 SO 76/17 B - juris RdNr 12; BSG vom 19.7.2011 - B 8 SO 19/11 B - juris RdNr 7; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19). Eine solche Ausnahme hat die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht dargetan. Insbesondere genügt es dafür nicht, nur den allgemeinen Streitstand in der Literatur aufzuzeigen.

Auch die konkrete Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen ist nicht hinreichend bezeichnet. Die Klägerin behauptet zwar, dass der Schenkungsrückforderungsanspruch verwertbares Vermögen sei, es fehlt aber eine Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung des BSG, wonach die Vorschriften über den Nachrang der Sozialhilfe regelmäßig keine eigenständigen Ausschlussnormen darstellen, sondern lediglich im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden Vorschriften des BSHG bzw SGB XII die Bedürftigkeit verneinen lassen und deshalb einem Schenkungsrückforderungsanspruch der sog Nachranggrundsatz ohne ihn ergänzende oder konkretisierende Vorschriften nicht entgegengehalten werden kann (BSG vom 2.2.2010 - B 8 SO 21/08 R - juris RdNr 13 mwN). Eine solche Auseinandersetzung wäre vorliegend auch deshalb erforderlich gewesen, weil die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag nicht bereit war, die Forderung zu erfüllen, sondern die Verjährung eingewandt hat.

Auch die abstrakte Klärungsbedürftigkeit der weiter aufgeworfenen Rechtsfrage, ob ein mit der Anfechtungsklage angefochtener, nicht bestandskräftiger Überleitungsbescheid von den Gerichten aufgehoben werden könne, wenn er erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids rechtswidrig geworden sei, ist nicht ausreichend dargelegt. Die Frage kann sich im Übrigen nur stellen, wenn die erste Frage im Sinne der Klägerin beantwortet wird. Wird aber die Klärungsfähigkeit der ersten Frage nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entsprechend dargelegt, schlägt dies auf die zweite hiervon abhängige Frage durch. Daneben fehlt es auch an einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG, wonach dem geltenden Recht gerade kein "allgemeiner Grundsatz" zu entnehmen ist, der für die Beurteilung von Anfechtungsklagen (zwingend) die zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung geltende Rechtslage bestimmt, sondern das einschlägige materielle Recht entscheidend ist (vgl BSG vom 22.10.2014 - B 6 KA 3/14 R - BSGE 117, 149 = SozR 4-2500 § 106 Nr 48, RdNr 41 mwN; vgl auch BSG vom 20.12.2018 - B 8 SO 76/17 B - juris). Damit ist auch die von der Klägerin in Verkennung der dargelegten BSG-Rechtsprechung behauptete Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht hinreichend bezeichnet, zumal die Klägerin - was erforderlich gewesen wäre - nicht einmal vorträgt, dass das LSG bewusst einen von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (sog Subsumtionsfehler; BSG vom 4.3.2020 - B 8 SO 61/19 B - juris, RdNr 7).

Ein Verfahrensmangel wird ebenfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend bezeichnet. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §§ 109 SGG und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14, vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24 und vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36). Die Klägerin rügt als Verfahrensmangel die fehlerhafte Kostenentscheidung und eine dadurch bedingte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Sie legt aber nicht dar, dass die Entscheidung des LSG hierauf beruht. Soweit sie vorträgt, dass die Kostenentscheidung ohne den angeblichen Verfahrensmangel anders - nämlich richtig - ausgefallen wäre, enthalten ihre Ausführungen einen bloßen Zirkelschluss. Sie verkennt dabei auch, dass sich das "Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensmangel" iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht auf die Kostenentscheidung, sondern auf die Entscheidung in der Sache, also die Rechtmäßigkeit der Überleitungsverfügung beziehen muss (vgl nur BVerwG vom 16.11.1992 - 11 B 65/92 - juris RdNr 3). Wollte man der Rechtsauffassung der Klägerin folgen, würde jede falsche Kostenentscheidung, die keinen Einfluss auf die Hauptsacheentscheidung hat, zur Zulassung der Revision im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führen, wenn auch die Hauptsacheentscheidung im anschließenden Revisionsverfahren angegriffen werden soll.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und § 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 40, 47 Abs 3, § 52 Abs 1, § 63 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13976020

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