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BFH Urteil vom 23.01.1985 - I R 30/81

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Leitsatz (amtlich)

Hat der Kläger in der Klageschrift und in der abschließenden mündlichen Verhandlung der Verwertung eines in einem vorangegangenen Prozeß erstatteten Sachverständigengutachten widersprochen und seine Bedenken gegen die Verwertung näher substantiiert, verstößt das FG gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn es dennoch das Gutachten seiner Entscheidung zugrunde legt.

 

Orientierungssatz

1. Ausführungen zu den in der gerichtlichen Praxis entwickelten Ausnahmen vom Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.

2. Der Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist Teil der tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der BFH im Rahmen des § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist (Lit.).

3. NV: Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist grundsätzlich nicht frei widerruflich (vgl. BFH-Urteil vom 4.4.1974 V R 161/72).

 

Normenkette

FGO § 81 Abs. 1 S. 1, § 90 Abs. 2, § 118 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit 1965 als selbständiger Entwurfsmodelleur für ..... und als Kollektionsberater tätig. Bis einschließlich 1970 wurde er vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) als Gewerbetreibender angesehen. Eine von ihm wegen des Gewerbesteuermeßbetrags 1970 erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig. Auch bei den Veranlagungen für die Streitjahre 1971 und 1972 vertrat der Kläger die Auffassung, er übe eine freiberufliche --künstlerische-- Tätigkeit aus. Das FA behandelte die aus dieser Tätigkeit bezogenen Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Es ergingen entsprechende Einkommensteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage mit dem Begehren, bei den Einkommensteuerveranlagungen den Freibetrag für freie Berufe zu gewähren und die Gewerbesteuermeßbescheide aufzuheben.

Das FG wies die Klage ab. Es sah die Tätigkeit des Klägers nicht als eine künstlerische Tätigkeit an. Es stützte sich auf das Gutachten des Professor X, das dieser seinerzeit in der Gewerbesteuermeßbetragssache des Klägers für den Erhebungszeitraum 1970 abgegeben hatte. Das FG vertrat die Auffassung, es könne das in einem Vorprozeß erstattete Gutachten trotz des Widerspruchs des Klägers verwenden. Das früher erstattete Gutachten des Professor X über die Tätigkeit des Klägers habe seine Überzeugungskraft durch das Klagevorbringen nicht verloren. Der vom Kläger gestellte Gegengutachter Y --ein freischaffender Maler-- komme zwar zu einem anderen Ergebnis. Dem Gutachten des Professor X sei aber der Vorzug zu geben, weil dieser Gutachter bessere Vergleichsmöglichkeiten habe und deshalb sachkundiger sei.

Gegen die Entscheidung des FG wendet sich der Kläger mit der Revision. Er rügt Verletzung formellen Rechts. Das FG habe gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen. Es habe sich auf das Gutachten des Professor X gestützt, das dieser in einem anderen Verfahren abgegeben habe. Der Kläger habe der Verwertung dieses Gutachtens in dem anhängigen Verfahren ausdrücklich widersprochen. Da das FG, wie es selbst ausgeführt habe, nicht in der Lage gewesen sei, die Tätigkeit des Klägers zutreffend zu beurteilen, hätte es, falls ihm die Begutachtung durch den Maler Y nicht ausgereicht hätte, einen anderen Gutachter heranziehen müssen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG hat gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, der sich aus § 81 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ergibt, verstoßen. Danach hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Das Gesetz steht auf dem Standpunkt, daß grundsätzlich nur eine möglichst unter dem persönlichen Eindruck des erkennenden Gerichts vorgenommene Beweisaufnahme eine einigermaßen gerechte Würdigung verbürgt (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 43.Aufl., § 355 Anm.1).

Das Gericht kann allerdings schon vor der mündlichen Verhandlung durch eines seiner Mitglieder als beauftragten Richter oder durch ein anderes Gericht die Beweise erheben lassen (§ 81 Abs.2 FGO). Weitere Ausnahmen von dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sind in der gerichtlichen Praxis entwickelt worden. Bei einem Richterwechsel nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung brauchen vorher erhobene Beweise nicht nochmals erhoben zu werden (vgl. die Rechtsprechungsnachweise im Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10.Januar 1978 VII R 106/76, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311, und bei Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11.Aufl., § 81 FGO, Tz.6 unter a). Beweisergebnisse anderer Gerichtsverfahren dürfen im Wege des Urkundenbeweises in den Prozeß eingeführt werden; das Gericht kann insbesondere beigezogene Akten insoweit berücksichtigen, als darin Beweiserhebungen beurkundet worden sind. Damit können z.B. Niederschriften über Zeugenvernehmungen in anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden. Voraussetzung für diese Verwertung ist aber, daß die Verfahrensbeteiligten damit einverstanden sind und nicht einer von ihnen beantragt, den Beweis vom Prozeßgericht zu erheben (vgl. die Rechtsprechungsangaben in der Entscheidung in BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311, und bei Tipke/Kruse, a.a.O., unter b). Das bloß mittelbare Beweismittel kann zulässigerweise verwendet werden, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint; gleiche Grundsätze gelten für die Übernahme von Feststellungen in einem Strafverfahren. So kann sich ein FG die Feststellungen aus einem in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteil zu eigen machen, falls nicht die Verfahrensbeteiligten substantiierte Einwendungen vortragen und entsprechende Beweisanträge stellen (BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311).

Im Streitfall hat das FG gegen den Widerspruch des Klägers ein in einem anderen Prozeß des Klägers erstattetes Sachverständigengutachten zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Wie sich aus der Darstellung des klägerischen Vorbringens im Tatbestand und in den Gründen des finanzgerichtlichen Urteils ergibt, hat der Kläger aus Bemerkungen in dem Gutachten über sein "Wohn- und Arbeitsumfeld" auf eine gewisse Voreingenommenheit des Gutachters Professor X geschlossen. Es kann dahinstehen, ob es vertretbar ist, ein schriftlich niedergelegtes Sachverständigengutachten nur bei besonderem Anlaß erneut einzufordern (so Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 76 Rdnr.2). Jedenfalls hat der Kläger seine Bedenken gegen die Verwendung des im Vorprozeß erstatteten Sachverständigengutachtens näher substantiiert und durch Beibringung eines auf seine Veranlassung hin erstellten Gutachtens des Maler Y die Wertungen des früheren Gutachters Professor X zu entkräften versucht.

Der Kläger hat nicht nur in der Klageschrift, sondern --als offenbar zu erkennen war, daß das FG auf das Gutachten des Professor X aus dem Vorprozeß zurückgreifen wolle-- noch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG der Verwertung dieses Gutachtens widersprochen. Die Äußerungen des Klägers hierzu sind in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung festgehalten. Der Inhalt der Niederschrift ist Teil der tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der BFH im Rahmen des § 118 Abs.2 FGO gebunden ist (Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung, § 137 Anm.VII 2). Damit steht auch fest, daß der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Einhaltung einer Verfahrensvorschrift --hier auf die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gemäß § 81 Abs.1 FGO-- nicht verzichtet hat (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozeßordnung --ZPO--).

Die angefochtene Entscheidung konnte keinen Bestand haben, weil das FG sich nicht in einer unmittelbaren Beweiserhebung die Grundlagen für seine Überzeugungsbildung verschafft hat. Zur materiell-rechtlichen Streitfrage --ob die Tätigkeit des Klägers als eine künstlerische einzustufen ist-- kann sich der erkennende Senat nach dem jetzigen Stand des Verfahrens nicht äußern. Welche Kriterien maßgebend sind, um einer Tätigkeit das Merkmal des Künstlerischen beilegen zu können, ist insbesondere in den Entscheidungen des BFH vom 14.Dezember 1976 VIII R 76/75 (BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474) und vom 2.Dezember 1980 VIII R 32/75 (BFHE 132, 77, BStBl II 1981, 170) näher ausgeführt. In der erstgenannten Entscheidung sind an deren Ende Ausführungen darüber enthalten, von welcher Fragestellung, insbesondere von welchem Begriff der künstlerischen Tätigkeit, der Sachverständige auszugehen hat, damit er dem Gericht die Bildung einer sicheren Überzeugung ermöglicht.

++/ Der Senat entscheidet gemäß § 121 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Urteil. Beide Verfahrensbeteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. In dem Schriftsatz vom 23. Dezember 1982 hat der Kläger zwar seinen Verzicht widerrufen. Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist grundsätzlich nicht frei widerruflich (BFH-Urteil vom 4. April 1974 V R 161/72, BFHE 112, 316, BStBl II 1974, 532 mit Rechtsprechungsnachweisen). /++

 

Fundstellen

Haufe-Index 60816

BStBl II 1985, 305

BFHE 143, 117

BFHE 1985, 117

BB 1985, 1118-1118 (L)

DB 1985, 1168-1168 (LT)

HFR 1985, 323-324 (ST)

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