Die Festsetzungsfrist beginnt nach der Grundregel des § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Hauptanwendungsfall ist die Antragsveranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG. Der Zeitpunkt der Entstehung der Steuern ergibt sich aus § 38 AO i. V. m. den einzelnen Steuergesetzen. Die Einkommensteuer entsteht gem. § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums.

Hiervon abweichend gibt es für die Besitz- und Verkehrssteuern, für die eine Steuererklärung (z. B. Einkommensteuer), Steueranmeldung, z. B. Lohnsteuer, oder Anzeige abzugeben ist, eine sog. Anlaufhemmung: Hier beginnt nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des 3. Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in welchem die Steuer entstanden ist. Es handelt sich um die Fälle der gesetzlichen[1] oder behördlichen Steuererklärungspflicht, also nach entsprechender Aufforderung durch das Finanzamt.[2] Eine Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung, mit der Folge der 3-jährigen Anlaufhemmung, liegt auch dann vor, wenn das Finanzamt den Steuerpflichtigen zur Abgabe der Steuererklärung auffordert, obwohl materiell-rechtlich nur ein Antragsfall gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG gegeben ist.[3]

 
Praxis-Beispiel

Beginn der Festsetzungsfrist bei Pflichtveranlagung

Grundfall: S gibt pflichtgemäß seine Einkommensteuererklärung für 00 im Januar 02 ab. Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 2 AO (Anlaufhemmung) mit Ablauf des Jahres 02 und endet 4 Jahre später mit Ablauf des Jahres 06.

Abwandlung 1: S gibt die Erklärung erst im Januar 04 ab. Wegen der auf 3 Jahre begrenzten Anlaufhemmung beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 03 und endet mit Ablauf des Jahres 07.

Abwandlung 2: Im Grundfall hat S Einkünfte aus der Vermietung einer Eigentumswohnung verschwiegen und insoweit Einkommensteuer hinterzogen. Die Festsetzungsfrist begann insoweit mit Ablauf des Jahres 02 und endete gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nach 10 Jahren mit Ablauf des Jahres 12.

 
Praxis-Beispiel

Pflichtwidrige Nichtabgabe der Steuererklärung

S hat pflichtwidrig keine Einkommensteuererklärung für die Jahre ab 00 abgegeben und somit die Einkommensteuern hinterzogen. Die Festsetzungsfrist für 00 begann gem. § 170 Abs. 2 AO mit Ablauf des Jahres 03 und endete gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nach 10 Jahren mit Ablauf des Jahres 13. Für die anderen Jahre gilt dies entsprechend um jeweils ein Jahr versetzt.

Wird die Einkommensteuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt eingereicht, endet die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO grundsätzlich erst dann, wenn die zuständige Behörde die Erklärung erhalten hat. Nur ausnahmsweise kann auch die Abgabe der Einkommensteuererklärung bei einem unzuständigen Finanzamt genügen, um die Anlaufhemmung zu beenden. Dies ist der Fall, wenn das unzuständige Finanzamt seine Fürsorgepflicht gem. § 89 AO verletzt, indem es die Erklärung lediglich zu den Akten nimmt, obwohl ihm seine eigene Unzuständigkeit ebenso bekannt ist wie die zuständige Behörde. Verletzt die Behörde ihre Fürsorgepflicht, ist der Steuerpflichtige im Rahmen des rechtlich Zulässigen so zu stellen, als wäre der Verstoß nicht passiert.[4]

Die eine Pflichtveranlagung begründende Steuererklärung entfaltet keine anlaufhemmende Wirkung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, wenn diese Steuererklärung erst nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist i. S. d. § 169 Abs. 2 AO abgegeben wird.[5]

Eine Nichtveranlagungsbescheinigung des FA, die beim Schuldner der Kapitalerträge vorgelegt werden muss, um den Abzug von Kapitalertragsteuer nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG zu verhindern, lässt eine gesetzliche Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung, z. B. bei Rentenbeziehern[6], nicht entfallen. Die Erteilung dieser sog. NV-Bescheinigung erlangt mithin keine Bedeutung für die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Insbesondere führt sie nicht zu deren Beendigung.[7]

 
Praxis-Beispiel

Beginn der Festsetzungsfrist bei Antragsveranlagung

Arbeitnehmer S hat für das Jahr 00 wegen hoher Werbungskosten eine Steuererstattung zu erwarten und will dies nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG beantragen. Dabei hat er zwar keine Antragsfrist, dafür aber die 4-jährige Festsetzungsfrist zu beachten. Diese beginnt in seinem Fall gem. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres 00 und dauert 4 Jahre. Er kann den entsprechenden Antrag – durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung – also nur bis zum 31.12.04 stellen. Die 3-jährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 AO, die die Antragsfrist im Ergebnis bis auf 7 Jahre verlängern könnte, greift nicht. So lautet die Auffassung der Finanzverwaltung[8], die durch den BFH bestätigt wurde.[9]

Falls der 31.12.04 ein Samstag oder Sonntag sein sollte, verlängert sich die Frist gem. § 108 Abs. 3 AO auf den nächsten Werktag.[10] Die rechtzeitige Antragstellung vor Ablauf der Festsetzungsfrist führt zugleich zur Ablaufhemmung ...

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