Rz. 35

Die Anwendung unlauterer Mittel ermöglicht die Rücknahme immer dann, wenn diese Mittel für den Erlass des Verwaltungsakts nach dem tatsächlichen Ablauf des Entscheidungsprozesses bestimmend waren. Die Anwendung des unlauteren Mittels muss also kausal für den Erlass des Verwaltungsakts gewesen sein. Der Rücknahmegrund liegt daher nicht vor, wenn die Behörde die gleiche Entscheidung getroffen hätte, wenn die unlauteren Mittel nicht angewandt worden wären. Ohne Bedeutung ist es aber, wenn der Verwaltungsakt auch durch rechtmäßige Mittel hätte erwirkt werden können.[1] Zu beachten ist aber, dass die Anwendung des unlauteren Mittels zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führen muss. Ist der Verwaltungsakt trotz Anwendung unlauterer Mittel rechtmäßig, kommt eine Rücknahme gem. § 130 Abs. 2 AO nicht in Betracht. Die Tatsache, dass der Verwaltungsakt auch ohne unlautere Mittel hätte erwirkt werden können, ist aber im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen. Bei Ermessensentscheidungen genügt es, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde von anderen Ermessenserwägungen ausgegangen wäre, wenn die unlauteren Mittel nicht angewandt worden wären.

 

Rz. 35a

Die unlauteren Mittel brauchen nicht vom Begünstigten angewandt worden zu sein; das ergibt sich aus dem Formulierungsunterschied im Vergleich zum Rücknahmegrund der Nr. 3 und zu § 48 Abs. 2 VwVfG. Diese von dem Rücknahmegrund der Nr. 3 abweichende Regelung ist gerechtfertigt, weil unter dem Gesichtspunkt des ordnungsmäßigen Verwaltungshandelns ein solcher Verwaltungsakt nicht aufrechterhalten werden kann. Die Rücknahme ist also nicht nur möglich, wenn der Begünstigte das unlautere Mittel selbst angewandt hat oder die Anwendung mit seinem Wissen und Wollen erfolgt ist, sondern auch, wenn es ohne oder gegen seinen Willen, auch von Personen, die nicht seine Vertreter sind, angewandt wurde. Im Rahmen der Ermessensentscheidung (vgl. Rz. 29) kann jedoch berücksichtigt werden, dass der Begünstigte nicht selbst das unlautere Mittel angewandt hat. Sofern ein Dritter die unlautere Handlung bewirkt, kann diese dem Stpfl. aber nicht ohne Weiteres zugerechnet werden. Eine Zurechnung kommt allerdings dann in Betracht, wenn der Stpfl. kraft überlegenen Wissens den gesamten Geschehensablauf beherrscht und somit eine Stellung hat, die einem mittelbaren Täter vergleichbar ist. Anders als für § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO ist nicht erforderlich, dass die unlautere Handlung vom Stpfl. selbst ausgeführt worden sein muss.[2]

 

Rz. 35b

Die unlauteren Mittel müssen vorsätzlich (d. h. auch bedingt vorsätzlich) angewandt worden sein.[3] Der Vorsatz braucht sich nur auf die Anwendung der Mittel, nicht auf den Kausalzusammenhang zu beziehen. Es ist also nicht erforderlich, dass der Täter wusste und wollte, dass die Behörde gerade (und nur) durch die unlauteren Mittel zum Handeln veranlasst werden wird.[4] Täter muss dabei nicht zwangsläufig der Stpfl. sein.

 

Rz. 36

Die Aufzählung der unlauteren Mittel in Nr. 2 ist nicht abschließend. Auch sonstige Fälle sind denkbar, die mit den im Gesetz als typischen Gestaltungen aufgezählten Mitteln arglistige Täuschung, Drohung und Bestechung aber vergleichbar sein müssen. Unlauter ist ein Mittel dann, wenn seine Anwendung zur Erreichung des angestrebten Ziels von der Rechtsordnung missbilligt wird. Das unlautere Mittel muss gegenüber der entscheidenden Behörde bzw. dem entscheidenden Beamten angewendet werden und geeignet sein, die Behörde zum Handeln zu veranlassen. Das ergibt sich aus dem Zweck des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO, die Willens- und Entschließungsfreiheit der Behörde zu schützen. Unrichtig daher FG des Saarlandes v. 24.8.1990, 1 K 187/90, EFG 1991, 226, wonach ein unlauteres Mittel schon dann vorliegt, wenn ein Antrag von einem Beamten (der unzulässige Steuerberatung betreibt) für den Stpfl. erarbeitet wird. Damit wird nicht unlauter auf die Entschließungsfreiheit des zuständigen Beamten Einfluss genommen; maßgebend ist die Stellung des Antrags, der die Behörde zum Handeln veranlasst, nicht die Ausarbeitung des Antrags. Daraus folgt, dass allgemein der Tatbestand nicht vorliegt, wenn der entscheidende Beamte selbst die unlauteren Mittel angewandt hat; seine Entscheidungsfreiheit ist dann nicht beeinträchtigt.[5]

 

Rz. 37

Hat der Täter einen Anspruch auf Erlass des durch das unlautere Mittel erwirkten Verwaltungsakts (also im Bereich der gebundenen Verwaltung), ist sein Verhalten zwar rechtswidrig, § 130 AO aber nicht anwendbar, weil der Verwaltungsakt trotz des unlauteren Mittels rechtmäßig ist. Zu beachten ist aber, dass dies nur gilt, wenn der Täter auch einen Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts zu diesem Zeitpunkt hatte. Der Verwaltungsakt ist dann nicht "durch" das unlautere Mittel erwirkt worden, da er auf jeden Fall zu dieser Zeit und in dieser Form ergangen wäre. Stand der Verwaltung dagegen ein Ermessensspielraum zu, kann der durch das unlautere Mittel erwirkte Verwaltungsakt auch dann rechtswidrig sein, wenn er sich in den Grenzen de...

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