Entscheidungsstichwort (Thema)

Unternehmereigenschaft von Einrichtungen des öffentlichen Rechts

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach dem Urteil sind die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie verpflichtet, Einrichtungen des öffentlichen Rechts für die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegenden Tätigkeiten als Unternehmer zu behandeln, wenn diese Tätigkeiten im Wettbewerb mit Privaten ausgeübt werden und die Behandlung der öffentlichen Einrichtungen als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Die Mitgliedstaaten sind aber nicht verpflichtet, die Kriterien des Artikels 4 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie wörtlich in das innerstaatliche Recht zu übernehmen oder quantitative Grenzen für die Behandlung der öffentlichen Eirnichtungen als Nichtunternehmer festzulegen. Bei der Abgrenzung der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts läßt der EuGH den Mitgliedstaaten also einen weiten Spielraum. Das Urteil entspricht im wesentlichen dem Urteil vom 17.10.1989, 231/87 und 129/88 (Comune di Carpaneto Piacentino und Comune di Rivergaro).

 

Beteiligte

Comune di Carpaneto Piacentino und andere

Ufficio provinciale imposta sul valore aggiunto di Piacenza

 

Gründe

URTEIL DES GERICHTSHOFES

(Erste Kammer)

15. Mai 1990

In der Rechtssache C-4/89

betreffend ein dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag von der Commissione tributaria di primo grado Piacenza in dem bei dieser anhängigen Rechtsstreit

Comune di Carpaneto Piacentino und andere[1]

gegen

Ufficio provinciale imposta sul valore aggiunto Piacenza

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG; Abl. L145, S. 1)

erläßt

Der Gerichtshof (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Sir Gordon Slynn, der Richter R. Joliet und G. C. Rodrígez Iglesias,

Generalanwalt: J. Mischo

Kanzler: D. Loutermann, Hauptverwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

der Gemeinde Carpaneto Piacentino u. a., vertreten durch die Rechtsanwälte Francesco Tesauro und Michele Avantaggiati,

der Regierung der Italienischen Republik, vertreten durch den Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico im Außeministerium Luigi Ferrari Bravo als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato Franco Favara,

der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Enrico Traversa, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,

aufgrund des Sitzungsberichts und auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 1990,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. März 1990,

folgendes

Urteil

1 Die Commissione tributaria di primo grada Piacenza hat mit Beschluß vom 22. Dezember 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Januar 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 4 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG; Abl. L 145, S. 1; im weiteren: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gemeinde Carpaneto Piacentino, die von weiteren elf Gemeinden als Streithelferinnen unterstützt wird, und dem Ufficio provinciale imposta sul valore aggiunto Piacenza; dabei geht es um die Qualifizierung folgender Tätigkeiten der Gemeinden im Hinblick auf ihre Mehrwertsteuerpflicht: Vergabe von Grabstätten und Grabnischen, Lieferung von Zubehör und verschiedenen Gegenständen für Grabnischen, Veräußeruntg von Baugrundstücken für den sozialen Wohnungsbau und Einräumung von Bebauungsrechten an Baugrundstücken im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, Kostenbeitrag für den Bau einer Wasserleitung, Gebühreneinnahmen aus der Verpachtung der öffentlichen Waage, Verkauf gebrauchten Installationsmaterials, Verkauf von übriggebliebenem Straßenbaumaterial und Abgabe von Holz, das bei der Beschneidung von Alleebäumen angefallen ist.

3 Im Hinblick auf die Entscheidung dieses Rechtsstreits hat die Commissione tributaria di promo grado Piacenza das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„War der italienische Gesetzgeber – bei der Durchführung des Artikels 1 der Sechsten Richtlinie zwecks Anpassung seiner Mehrwertsteuerregelung an die Gemeinschaftsbestimmungen – verpflichtet,

  1. den in Artikel 4 Absatz 5 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie enthaltenen allgemeinen Grundsatz durch die Angabe der spezifischen Kriterien für die Definition der von den Gemeinden „im Rahmen der öffentlichen Gewalt” ausgeübten Tätigkeiten unter Bezugnahme auf den Begriff der „Verwaltungsaufgabe”, wie er für die verschiedenen kommunalen Tätigke...

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