Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Absenkung von steuerrechtlichen Beihilfen nach Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit EG-Recht verfassungsrechtlich zulässig

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Gesetzgeber verstößt regelmäßig nicht gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Rückwirkung belastender Gesetze, wenn er steuerrechtliche Beihilfen für Investitionen (hier Investitionszulagen) rückwirkend für bereits getätigte Investitionen absenkt, weil eine Entscheidung der Europäischen Kommission die Unvereinbarkeit der Beihilfenhöhe mit dem gemeinsamen Markt festgestellt und die Bundesrepublik aufgefordert hat, die Beihilfen in dem als unvereinbar festgestellten Umfang aufzuheben und schon gewährte Begünstigungen zurückzufordern.

2. Ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf die Gewährung der Beihilfen in der zunächst gesetzlich geregelten Höhe kann schon vor der Entscheidung der Kommission nicht mehr entstehen, sobald der BMF die Einleitung eines Hauptprüfverfahrens durch die Kommission wegen der Beihilfen mitgeteilt und deshalb angeordnet hat, die Beihilfen abweichend vom Gesetz nur noch in geringerer Höhe zu gewähren.

3. Offen bleibt, ob der Gesetzgeber bei der rückwirkenden Gesetzesänderung für vor der Mitteilung des BMF getätigte Investitionen eine Übergangsregelung treffen muss, die besonderen Einzelfällen gerecht wird, in denen ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf die Höhe der Beihilfen entstanden ist. Ein solches durch eine Übergangsregelung zu erfassendes verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen kann jedenfalls nicht in Fällen entstanden sein, in denen die rückwirkende Absenkung der Beihilfe nur verhältnismäßig geringe finanzielle Auswirkungen hat und deshalb nicht ersichtlich ist, dass die betreffenden Investitionen durch die erwartete höhere Beihilfe veranlasst worden sein könnten.

 

Normenkette

InvZulG 1991 § 3 S. 1 Nr. 1, § 5 Nr. 1, § 5 Abs. 1, § 11 Abs. 2; VerbrBinmG Art. 13; GG Art. 20 Abs. 3; EWGVtr Art. 92-93, 173

 

Verfahrensgang

FG Berlin (EFG 1995, 686; LEXinform-nr., 0127317)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 03.07.2001; Aktenzeichen 1 BvR 382/01)

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 03.07.2001; Aktenzeichen 1 BvR 382/01)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein Unternehmen, das den Handel und die Vermietung von … zum Gegenstand hat. Für im Laufe des Jahres 1992 (Streitjahr) angeschaffte Wirtschaftsgüter beantragte er am 23. Juli 1993 eine Investitionszulage und errechnete für die im 1. Halbjahr 1992 angeschafften Wirtschaftsgüter die Zulage auf der Grundlage eines Zulagensatzes in Höhe von 12 % sowie für die im 2. Halbjahr 1992 erworbenen Wirtschaftsgüter eine Zulage auf der Basis eines Zulagensatzes in Höhe von 8 %.

Nach §§ 3 Satz 1 Nr. 1, 5 Nr. 1 und 11 Abs. 2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 1991 vom 24. Juni 1991 (BGBl I 1991, 1322, 1333, BStBl I 1991, 665, 676) ―§§ 3 Satz 1 Nr. 1, 5 Nr. 1 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 a.F.― war für in Berlin-West getätigte Investitionen, die nach dem 30. Juni 1991 begonnen und bis zum 30. Juni 1992 abgeschlossen worden waren, eine Investitionszulage in Höhe von 12 % vorgesehen gewesen. Diese Regelung wurde durch Art. 13 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes ―VerbrBinmG― (BGBl I 1992, 2150, BStBl I 1993, 96) dahin gehend abgeändert, dass auch für im 1. Halbjahr 1992 in Berlin-West getätigte Investitionen eine Investitionszulage in Höhe von lediglich 8 % zu gewähren war (vgl. § 11 Abs. 2 InvZulG 1991 i.d.F. des VerbrBinmG ―§ 11 Abs. 2 InvZulG 1991 n.F.―, BGBl I 1992, 2150, 2207, BStBl I 1993, 96, 98 f.).

Der Gesetzesänderung vorausgegangen war eine Entscheidung der Europäischen Kommission (Kommission) vom 31. Juli 1992 im Hauptprüfverfahren nach Art. 93 Abs. 2 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ―EWGV― (BGBl II 1957, 766), jetzt Art. 88 Abs. 2 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG), in der diese u.a. die Unvereinbarkeit einer Investitionszulage für Investitionen in Berlin-West, die im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1992 getätigt worden waren, mit dem Gemeinsamen Markt feststellte, soweit der Zulagensatz mehr als 8 % betrug (vgl. auch BTDrucks 12/3432, S. 99 Tz. 11, Nr. 3 ―zu Art. 11, Änderung des InvZulG 1991―).

Die Kommission verpflichtete die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik), die als unvereinbar festgestellten und unter Verstoß gegen Art. 93 Abs. 2 EWGV in Kraft gesetzten Beihilfen aufzuheben und schon gewährte Begünstigungen zurückzufordern.

Die Bundesregierung war am 7. Januar 1992 durch eine Mitteilung der Kommission von der Einleitung des Hauptprüfverfahrens nach Art. 93 Abs. 3 EWGV unterrichtet worden (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. C 35 vom 13. Februar 1992, S. 27, 29). Der Bundesminister der Finanzen (BMF) hatte daraufhin in seinem Schreiben vom 10. Februar 1992 IV B 3 -S 2056- 3/92 (BStBl I 1992, 97, Heft Nr. 3 vom 17. Februar 1992; s. auch Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1992, 290, und Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ―EuZW― 1992, 195) mitgeteilt, dass aufgrund der Verfahrenseinleitung für im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1992 getätigte Investitionen eine Investitionszulage nur in Höhe von 8 % zu gewähren sei. Dieser Zulagensatz entsprach auch dem Ergebnis, das bereits politische Gespräche zwischen der Bundesrepublik und der Kommission in der Zeit von Oktober 1990 bis April 1991 ergeben hatten.

Mit Bescheid vom 9. August 1993 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Investitionszulage für das Jahr 1992 auf 48 558 DM fest. Es folgte damit dem Antrag des Klägers insoweit nicht, als dieser für im 1. Halbjahr 1992 angeschaffte Wirtschaftsgüter eine Investitionszulage in Höhe von 12 % beantragt hatte, sondern gewährte unter Verweis auf Art. 13 Nr. 3 VerbrBinmG, mit dem § 11 InvZulG 1991 a.F. geändert worden war, lediglich eine Investitionszulage in Höhe von 8 %.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 686 veröffentlichten Entscheidung die Ansicht, dem Kläger stände gemäß §§ 3 Satz 1, 5 Abs. 1 sowie 11 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a und b InvZulG 1991 n.F. eine Investitionszulage lediglich in Höhe des vom FA festgesetzten, durchgängig von einem Zulagensatz in Höhe von 8 % ausgehenden Betrages zu. Aus den Regelungen des InvZulG 1991 a.F., die in den §§ 3 Satz 1 und 5 eine Investitionszulage in Höhe von 12 % für im ersten Halbjahr 1992 angeschaffte Wirtschaftsgüter auch für Betriebe in Berlin-West vorsahen, könne der Kläger keinen Anspruch herleiten, denn das InvZulG sei durch das VerbrBinmG vom 21. Dezember 1992 vor Entstehung des Anspruchs auf Investitionszulage für das Jahr 1992 in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geändert worden. Durch die Änderung sei lediglich eine Rechtslage im nationalen Bereich kodifiziert worden, die aufgrund der unmittelbar geltenden Sperrwirkung des Art. 93 Abs. 3 Satz 3 EWGV schon vor der Änderung gegolten habe. Daher habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt aus den Regelungen des InvZulG 1991 a.F. einen über 8 % Zulage hinausgehenden Anspruch herleiten können.

Der Kläger könne sich gegenüber der unmittelbaren Wirkung des Art. 93 Abs. 3 Satz 3 EWGV nicht auf ein schützenswertes Vertrauen berufen. Ein Vertrauensschutz werde nach allgemeiner Meinung selbst für den Fall verneint, dass der Begünstigte eine Beihilfe unter Verstoß gegen Art. 93 Abs. 3 Satz 3 EWGV erhalten habe. Dies müsse erst recht gelten, wenn ihm noch keine Beihilfe gewährt worden sei. Im Übrigen habe der Kläger von dem Erfordernis der Durchführung eines Verfahrens nach Art. 93 Abs. 3 EWGV Kenntnis gehabt. Er könne sich insoweit allerdings nicht darauf berufen, dass vor dem Erlass des InvZulG 1991 bereits politische Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Kommission stattgefunden hätten und daher ein Verfahren nach Art. 93 Abs. 3 EWGV eine bloße Formalie gewesen wäre.

Die Änderung des InvZulG 1991 durch Art. 13 Nr. 3 VerbrBinmG verstoße auch nicht gegen nationales Verfassungsrecht, da die Gesetzesänderung eine zulässige unechte Rückwirkung darstelle. Der materiell-rechtliche Anspruch auf Gewährung einer Investitionszulage entstehe nach Ablauf eines Wirtschaftsjahres. Damit sei im Zeitpunkt der Entscheidung der Kommission am 31. Juli 1992 bzw. bei Verkündung des VerbrBinmG am 21. Dezember 1992 der materiell-rechtliche Anspruch auf Gewährung der Investitionszulage noch nicht verwirklicht gewesen. Der Anspruch sei auch nicht schon am 30. Juni 1992 entstanden, sondern erst mit Ablauf des beim Kläger mit dem Kalenderjahr übereinstimmenden Wirtschaftsjahres 1992, also mit Ablauf des 31. Dezember 1992. Da das Gesetz die zu gewährende Investitionszulage auf die Summe der im Wirtschaftsjahr abgeschlossenen begünstigten Investitionen begrenze, werde der Tatbestand, der nach der gesetzlichen Regelung Voraussetzung für die Gewährung der Investitionszulage sei, erst mit Ablauf des Wirtschaftsjahres verwirklicht. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergebe sich, dass die Gesetzesänderung eine zulässige unechte Rückwirkung darstelle. Auch die Tatsache, dass § 3 InvZulG 1991 a.F. zwei unterschiedliche Investitionszeiträume regele, ändere an diesem Ergebnis nichts. Damit seien lediglich für die Berechnung der Höhe der zu gewährenden Investitionszulage zwei unterschiedliche Zeiträume maßgeblich. Im Zeitpunkt der Verkündung des VerbrBinmG sei damit der materiell-rechtliche Anspruch noch nicht entstanden gewesen.

Ein anderes Ergebnis ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der in ihrer Akzentuierung etwas anders lautenden Entscheidungen des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Frage der Rückwirkung von Gesetzen. Denn die Rechtsfolge der mit dem VerbrBinmG eingefügten Änderung des InvZulG 1991 habe erst nach Verkündung des Gesetzes Wirkung gezeigt.

Die Entscheidung fiele schließlich ebenso aus, wenn man der Ansicht des Klägers folgte und die Änderung des InvZulG 1991 als echte Rückwirkung betrachtete. Der Kläger hätte nämlich aufgrund der ihm bekannten Tatsache, dass das Verfahren nach Art. 93 Abs. 3 EWGV nicht eingehalten wurde, schon in dem Zeitpunkt, auf den die neue Regelung zurückwirke, mit dieser rechnen müssen.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von Gemeinschafts- und Verfassungsrecht. Er meint, ihm stehe bereits aufgrund des Gemeinschaftsrechts ein Anspruch auf Gewährung einer Investitionszulage in Höhe von 12 % für die im 1. Halbjahr 1992 angeschafften Wirtschaftsgüter zu. Die in der ursprünglichen Fassung des InvZulG 1991 vorgesehene Investitionszulage hätte von der Kommission ohne Ermessensspielraum genehmigt werden müssen. Die gegensätzliche Kommissionsentscheidung beruhe auf einer Fehleinschätzung der durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile in Berlin-West und verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Sie sei deshalb fehlerhaft. Dies habe zur Folge, dass gemeinschaftsrechtlich kein Hinderungsgrund für die Anwendung des InvZulG 1991 bestanden habe. Vielmehr hätte der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes vom nationalen Gesetzgeber beachtet werden müssen; dieser wäre nicht verpflichtet gewesen, das nationale Recht an die Kommissionsentscheidung anzupassen.

Die Entscheidung der Kommission verstoße auch gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Mit Wissen und Billigung der Kommission sei für Investitionen in Berlin-West über Jahre hinweg eine Investitionszulage in Höhe von 15 % und mehr gewährt worden. Angesichts des bereits im InvZulG 1991 vorgesehenen langsamen Subventionsabbaus habe die Kommission deshalb nur eine Entscheidung treffen dürfen, welche das Vertrauen der in Berlin-West ansässigen Investoren hinreichend berücksichtigt hätte. Da die Kommissionsentscheidung den betroffenen Unternehmen für nur sechs Monate (Juli 1991 bis Dezember 1991) eine bereits von 15 auf 12 % reduzierte Investitionszulage gewährt habe, sei für die betroffenen Unternehmen vor dem Hintergrund der langjährigen Berlinförderung kein ausreichender zeitlicher Anpassungsspielraum eingeräumt worden. Die Kommissionsentscheidung stehe überdies im Widerspruch zu Kommissionsentscheidungen betreffend Beihilfen für Berlin-West aus den Jahren 1990 und 1992.

Zu Unrecht gehe das FG davon aus, dass aus der unmittelbaren Wirkung des Art. 93 Abs. 3 Satz 3 EWGV folge, der Einzelne könne sich nicht auf eine für ihn günstigere nationale Rechtslage berufen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sei die unmittelbare Wirkung des Gemeinschaftsrechts nur zugunsten des Betroffenen anzuwenden. Entgegen der Auffassung des FG bestehe auch keine Bindung deutscher Gerichte an eine aufgrund Art. 93 Abs. 3 EWGV ergangene Entscheidung der Kommission.

Das FG habe ferner verkannt, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Rechtskreis nicht uneingeschränkt gelte. Eine Einschränkung liege hier vor, da die Entscheidung der Kommission gegen das Rückwirkungsverbot verstoße, denn die Änderung des InvZulG 1991 durch das VerbrBinmG stelle eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung dar. Bereits mit dem Kauf des einzelnen, begünstigten Wirtschaftsguts habe der Steuerpflichtige den materiellen Tatbestand verwirklicht, an welchen das InvZulG 1991 seine Rechtsfolge, nämlich die Begünstigung durch Investitionszulage, knüpfe. Für die Frage der Rückwirkung sei allein auf die materielle Tatbestandsverwirklichung abzustellen, die hier nach der eindeutigen Systematik des InvZulG 1991 schon mit Vornahme der Investition gegeben sei. Die Berliner Wirtschaft habe auch angesichts der bisherigen Verfahrenspraxis der Kommission, Investitionszulagen für die Berliner Wirtschaft stets zu genehmigen, und mangels eines Hinweises auf einen EG-Vorbehalt im Rahmen des BMF-Anwendungsschreibens zur Gewährung von Investitionszulagen vom 28. August 1991 auf den Bestand der Rechtslage vertrauen dürfen. Dieses Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der vom deutschen Gesetzgeber erlassenen Gesetze erscheine ―jedenfalls für kleinere und mittlere Unternehmen― selbst bei einem Verstoß gegen die Notifizierungsverpflichtung gemäß Art. 93 Abs. 3 EWGV als schützenswert. Dieses Vertrauen könne allenfalls mit der Veröffentlichung des BMF-Schreibens in BStBl I 1992, 97, DStR 1992, 290, EuZW 1992, 195 am 17. Februar 1992 zerstört worden sein. Auch überragende Gründe des Gemeinwohls könnten eine echte Rückwirkung der gesetzlichen Änderungen nicht rechtfertigen, da die Notwendigkeit gemeinschaftstreuen Verhaltens bisher nicht vom BVerfG als dem Gemeinwohl dienender Grund anerkannt worden sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 13. Dezember 1993 aufzuheben und unter Abänderung des Investitionszulagenbescheides vom 9. August 1993 die Investitionszulage 1992 auf 54 617 DM festzusetzen, und hilfsweise, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Gewährung einer Investitionszulage in Höhe von 12 % für im 1. Halbjahr 1992 angeschaffte Wirtschaftsgüter nicht zu.

Ein solcher Anspruch besteht aufgrund der §§ 3 Satz 1 Nr. 1, 5 Nr. 1 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 a.F. nicht. Zwar war nach den genannten Vorschriften für in Berlin-West getätigte Investitionen auch dann, wenn sie nach dem 31. Dezember 1991 und vor dem 1. Juli 1992 abgeschlossen worden waren, eine Investitionszulage in Höhe von 12 % vorgesehen gewesen. Doch ist diese Regelung durch Art. 13 VerbrBinmG rückwirkend dahin gehend geändert worden, dass auch für solche Investitionen lediglich eine Investitionszulage in Höhe von 8 % zu gewähren ist (vgl. § 11 Abs. 2 InvZulG 1991 n.F.). Diese rückwirkende Änderung war grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Die Änderung der §§ 3, 5 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 a.F. durch das VerbrBinmG verstößt nicht gegen die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Rückwirkung von belastenden Gesetzen. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die Beurteilung rückwirkender Gesetze ist das aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) abgeleitete Rechtsstaatsprinzip (Herzog in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 20 VII, Rdnr. 65). Vor dem Rechtsstaatsprinzip bedarf es einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich ―rückwirkend― in für den Steuerpflichtigen belastender Weise ändert (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, Abschn. C. I. Nr. 1 a).

a) Eine Rechtsnorm entfaltet Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolgen bereits für einen bestimmten, vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten sollen und damit nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreifen (sog. "echte Rückwirkung" oder "Rückbewirkung von Rechtsfolgen"). Demgegenüber liegt lediglich eine "unechte Rückwirkung" (auch "tatbestandliche Rückanknüpfung" genannt) vor, wenn die Norm den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig macht und somit auf in der Vergangenheit begründete, auf Dauer angelegte und noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen einwirkt (BVerfG-Beschlüsse vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 241 f.; vom 11. Oktober 1988 1 BvR 743/86 und 1 BvL 80/86, BVerfGE 79, 29, 45 f., und in BVerfGE 97, 67, 78 f.).

Die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen Zeitraum vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm eintreten (echte Rückwirkung), ist vor dem Hintergrund der allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit grundsätzlich unzulässig. Die Rechtsprechung des BVerfG erkennt nur ausnahmsweise eine echte Rückwirkung als zulässig an (vgl. z.B. schon den BVerfG-Beschluss vom 24. Juli 1957 1 BvL 23/52, BVerfGE 7, 89, 94). Demgegenüber berühren Tatbestände, die den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig machen (unechte Rückwirkung, vorrangig die Grundrechte; sie unterliegen weniger strengen Beschränkungen als die echte Rückwirkung (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97, 67, Abschn. C. I. Nr. 1 a).

b) Im Streitfall liegt der Tatbestand, an den die Bemessung der dem Kläger gemäß den streitgegenständlichen Vorschriften zu gewährenden Investitionszulage anknüpft, in der Vergangenheit. § 2 InvZulG 1991 begünstigt die Anschaffung und die Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens. Dementsprechend verwirklicht der Anspruchsberechtigte den Tatbestand der §§ 1, 2 InvZulG 1991, sobald er das begünstigte Wirtschaftsgut angeschafft bzw. hergestellt hat. Dagegen entsteht der Anspruch auf Investitionszulage nicht schon mit Abschluss der Investition, sondern erst mit Ablauf des Kalenderjahres bzw. Wirtschaftsjahres (BFH-Urteil vom 20. September 1999 III R 33/97, BFHE 190, 266, BStBl II 2000, 208). Das spricht nach der früheren Rechtsprechung des BVerfG an sich dafür, dass es sich bei der rückwirkenden Änderung der §§ 3, 5 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 durch Art. 13 VerbrBinmG um eine unechte Rückwirkung handelt, weil die Änderung bereits vor Entstehen des Investitionszulageanspruchs erfolgt ist (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 72, 200, 253 ff.). In einer neueren Entscheidung (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97, 67, 80) hat es das BVerfG jedoch ernstlich in Betracht gezogen ―wenn auch letztlich offen gelassen―, ob die Rechtslage bei steuerlichen Verschonungssubventionen nicht anders beurteilt werden müsse. Biete nämlich ein Steuergesetz dem Steuerpflichtigen eine Verschonungssubvention an, so schaffe dieses Angebot für diese Disposition in ihrer zeitlichen Bindung eine Vertrauensgrundlage, auf die der Steuerpflichtige seine Entscheidung über das subventionsbegünstigte Verhalten stütze. Ähnlich lässt sich im Investitionszulagenrecht argumentieren, dass auch das Vertrauen des Investors in die Rechtslage zum Zeitpunkt der jeweiligen Investitionsentscheidung geschützt werden müsse (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 1979 III R 16/78, BFHE 127, 476, BStBl II 1979, 455).

c) Doch kann letztlich offen bleiben, ob in der rückwirkenden Änderung der §§ 3, 5, 11 Abs. 2 InvZulG 1991 durch Art. 13 VerbrBinmG ein nach den Grundsätzen der echten Rückwirkung oder lediglich nach den Grundsätzen einer unechten Rückwirkung zu beurteilender Sachverhalt liegt. Die Änderung der §§ 3, 5 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 ist auch nach den strengeren Maßstäben der echten Rückwirkung als zulässig anzusehen.

Wie schon ausgeführt worden ist, verbietet nach der Rechtsprechung des BVerfG das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG nicht jede Rückwirkung von Rechtsnormen, die nachträglich in einen in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Tatbestand eingreifen. Ausnahmsweise kann eine echte Rückwirkung erlaubt sein. Die ausnahmsweisen Rechtfertigungsgründe für die Zulässigkeit einer echten Rückwirkung hat das BVerfG bisher falltypisch entwickelt, dabei aber ausdrücklich betont, dass diese Falltypen nicht erschöpfend seien (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 72, 200, 257).

Einer dieser Falltypen, in denen eine echte Rückwirkung zulässig ist, wird geprägt durch den Gesichtspunkt, dass Grundelement der Rechtsstaatlichkeit nicht nur die Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit der Rechtsordnung für den Steuerpflichtigen, sondern auch die Rechtssicherheit und materielle Richtigkeit der den Rechtsstaat ausfüllenden Gesetze ist (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 7, 89, 92). So ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verwehrt, Verhältnisse, die durch eine verfassungsrechtlich unwirksame Rechtsnorm nur vermeintlich geregelt sind, nachträglich durch die Einfügung einer rechtlich einwandfreien Norm zu regeln (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 7, 89, 94; BVerfG-Urteil vom 19. Dezember 1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261, 272). Eine andere Fallgruppe für die Zulässigkeit einer echten Rückwirkung rechtfertigt sich dadurch, dass eine echte Rückwirkung auch erlaubt sein muss aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind (BVerfG-Urteil in BVerfGE 13, 261, 272; BVerfG-Beschluss in BVerfGE 72, 200, 260).

Die Rechtslage bei der rückwirkenden Änderung der §§ 3, 5 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 durch Art. 13 VerbrBinmG ist ähnlich wie bei der rückwirkenden Ersetzung einer ungültigen oder verfassungswidrigen Norm durch den Gesetzgeber. Der Änderung des InvZulG 1991 ging die Entscheidung der Kommission vom 31. Juli 1992 voraus, mit der diese u.a. festgestellt hat, dass die von der Bundesrepublik nach §§ 3 Satz 1 Nr. 1, 5 Nr. 1 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 a.F. gewährte Investitionszulage unter Verstoß gegen Art. 93 Abs. 3 EWGV in Kraft gesetzt wurde und primäres Gemeinschaftsrecht (hier: Art. 92 Abs. 1, 93 EWGV, jetzt Art. 87 Abs. 1, 88 EG) verletzt, soweit der Zulagensatz mehr als 8 % beträgt. Diese Entscheidung der Kommission ist bestandskräftig geworden, da weder die Bundesrepublik noch ein von der Entscheidung unmittelbar und individuell betroffener Steuerpflichtiger innerhalb der Klagefrist des Art. 173 Abs. 3 EWGV (jetzt Art. 230 Abs. 5 EG) Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EWGV (jetzt Art. 230 Abs. 4 EG) beim EuGH erhoben hat. Denn nach Ablauf der Klagefrist des Art. 173 Abs. 3 EWGV hat weder der Mitgliedstaat, an den eine gemäß Art. 93 Abs. 2 EWGV erlassene Entscheidung der Kommission gerichtet ist, noch das potentiell begünstigte Unternehmen die Möglichkeit, deren Gültigkeit in Frage zu stellen (EuGH-Urteil vom 9. März 1994 Rs. C-188/92 "Textilwerke Deggendorf GmbH", Slg. 1994, I-833). Somit war von der Kommission rechtsverbindlich entschieden, dass die nach dem InvZulG 1991 a.F. für das erste Halbjahr 1992 auch für Investitionen in Berlin-West vorgesehene Investitionszulage in Höhe von 12 % gemeinschaftsrechtswidrig war, soweit sie über einen Zulagensatz von 8 % hinaus ging.

Stehen nationale Beihilfevorschriften indes im Widerspruch zu unmittelbar in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geltenden Bestimmungen des EWGV, haben die primären Gemeinschaftsrechtsnormen Vorrang vor nationalem Recht (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22. Oktober 1986 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 375). Die 12 %ige Investitionszulage in Berlin-West im ersten Halbjahr 1992 durfte somit trotz der Regelung im InvZulG 1991 a.F. nicht gewährt werden. Für die Bundesrepublik bestand folglich das mitgliedstaatliche öffentliche Interesse an der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes durch rückwirkende Anpassung des InvZulG 1991 a.F. an das Gemeinschaftsrecht. Hinzu kam noch ein Interesse der Europäischen Gemeinschaft an der Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17. Februar 2000 2 BvR 1210/98, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 2000, 2015).

Der deutsche Gesetzgeber war deshalb verpflichtet, das InvZulG 1991 in dem von der Kommission festgestellten Umfang rückwirkend zu ändern. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gewährleistet im Beihilfenrecht u.a., dass es einem durch Wettbewerbsverzerrungen betroffenen Mitgliedstaat oder der Kommission ermöglicht wird, vor dem EuGH den gemeinschaftswidrig handelnden Staat gemäß Art. 93 Abs. 2 Unterabs. 2 bzw. Art. 169 EWGV wegen Vertragsverletzung zu verklagen. Wegen eines solchen drohenden Klageverfahrens bei Nichtbeachtung der Kommissionsentscheidung war die rückwirkende Änderung des InvZulG 1991 durch Art. 13 VerbrBinmG auch aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls geboten, sodass dieser Falltyp für eine zulässige echte Rückwirkung ebenfalls gegeben war.

2. Die mitgliedstaatliche Bindung der Bundesrepublik an die bestandskräftige Entscheidung der Kommission gilt auch für die deutschen Gerichte und damit für den erkennenden Senat. Der Senat kann daher nicht die Rechtmäßigkeit der Kommissionsentscheidung als solche formell- oder materiell-rechtlich in Frage stellen und etwaige Zweifel der Vereinbarkeit der Entscheidung mit primärem Gemeinschaftsrecht in einem Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH vorlegen. Anderenfalls würde die Bestandskraft der Entscheidung unterlaufen, weil rechtliche Einwendungen trotz Ablaufs der Klagefrist nach Art. 173 Abs. 3 EWGV über die nationalen Gerichte weiterhin an den EuGH heran gebracht werden könnten. Deshalb kann im Streitfall die als Hilfsantrag bezeichnete Anregung des Klägers, die Sache in einem Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH vorzulegen, keinen Erfolg haben.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass nicht immer eine rein rechtliche Abwägung der Erfolgsaussichten ausschlaggebend gewesen sein muss, wenn ein Mitgliedstaat von der Klagemöglichkeit gegen eine Entscheidung der Kommission innerhalb der Klagefrist des Art. 173 Abs. 3 EWGV keinen Gebrauch gemacht hat. So können für einen Klageverzicht erhebliche politische Gründe (wie z.B. Kompromisscharakter der Kommissionsentscheidung, schwebende Verhandlungen über andere Beihilfen oder Wahrung des Rechtsfriedens) eine Rolle gespielt haben, obwohl möglicherweise gewichtige Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Kommissionsentscheidung bestanden. Diese mögliche politische Seite eines Klageverzichts ist grundsätzlich gerichtlich nicht überprüfbar. Die politische Entscheidungsmöglichkeit würde aber ausgehöhlt, wenn die nationalen Gerichte eine Entscheidung der Kommission wegen der Frage ihrer Rechtmäßigkeit noch dem EuGH vorlegen könnten, obwohl sie bestandskräftig geworden ist.

Die Bindung des erkennenden Senats an die Bestandskraft der Entscheidung der Kommission gilt unabhängig davon, ob der Kläger im Streitfall selbst die Möglichkeit hatte, den EuGH in einem Klageverfahren nach Art. 173 Abs. 2 EWGV anzurufen. Ob eine solche Klagemöglichkeit des Klägers bestand, ist jedenfalls zweifelhaft, weil es beim InvZulG 1991 a.F. nicht um eine individuelle Beihilfe für den Kläger, sondern um ein Beihilfeprogramm ging. Insofern hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu Recht darauf hingewiesen, dass sich das Problem stellt, ob der Kläger von diesem Beihilfeprogramm bzw. seiner teilweisen Rücknahme durch den Gesetzgeber unmittelbar und individuell betroffen war, wie es Art. 173 Abs. 2 EWGV für ein Klagerecht fordert. Auch wenn der Kläger selbst aber die Bestandskraft der Kommissionsentscheidung durch eine Klage beim EuGH nicht verhindern konnte, kann er die Entscheidung als solche nunmehr nicht in dem vorliegenden Verfahren angreifen.

Im Streitfall geht es nämlich nicht um die Kommissionsentscheidung, sondern um die gesetzliche Regelung, die der deutsche Gesetzgeber aufgrund der Kommissionsentscheidung getroffen hat. Wie schon ausgeführt worden ist, musste die Bundesrepublik selbst dann nicht ohne weiteres mit einer Klage gegen die Kommissionsentscheidung vorgehen, wenn sie gemeinschaftsrechtliche Bedenken gegen die Entscheidung gehabt hätte. Hat sie wie im Falle des InvZulG 1991 a.F. nicht Klage erhoben, musste sie die Kommissionsentscheidung befolgen, aus den oben dargelegten Gründen auch dann, wenn rückwirkend ein Gesetz zu ändern war.

Dahin stehen kann, ob sich der Gesetzgeber für ein rückwirkendes Gesetz auch dann auf eine bestandskräftige Kommissionsentscheidung berufen könnte, wenn die Bundesregierung etwa gezielt mit der Kommission zusammengewirkt hätte, um durch die Kommissionsentscheidung politisch für falsch gehaltene Subventionen rückwirkend beseitigen zu können, oder wenn die Kommissionsentscheidung offensichtlich formell oder materiell gemeinschaftsrechtswidrig wäre. Für ersteren Sachverhalt gibt es im Streitpunkt keinerlei Anhaltspunkt. Die Kommissionsentscheidung betreffend das InvZulG 1991 a.F. ist auch nicht offensichtlich gemeinschaftsrechtswidrig. Nach dem den Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung vom Senat zugeleiteten Urteil des EuGH vom 19. September 2000 Rs. C-156/98 ist Art. 92 Abs. 3 Buchst. c EWGV (jetzt Art. 87 Abs. 2 Buchst. c EG) eng auszulegen. Danach sind durch die Teilung der Bundesrepublik verursachte wirtschaftliche Nachteile im Sinne dieser Bestimmung nur diejenigen wirtschaftlichen Nachteile, die durch die Isolierung aufgrund der Errichtung der physischen Grenze ―beispielsweise durch Unterbrechung der Verkehrswege oder den Verlust der Absatzgebiete aufgrund des Abbruchs der Handelsbeziehungen zwischen den beiden Teilen der Bundesrepublik― in bestimmten Gebieten entstanden sind. Dagegen erlaubt es die Bestimmung nicht, den wirtschaftlichen Rückstand der neuen Bundesländer (oder entsprechend noch etwaige weiterhin bestehende allgemeine wirtschaftliche Nachteile von Berlin-West) gegenüber den alten Bundesländern auszugleichen. Gerade auf solche nach wie vor gegenüber den alten Bundesländern bestehende allgemeine wirtschaftliche Nachteile von Berlin-West beruft sich aber der Kläger zur Stützung seiner Auffassung, dass die Entscheidung der Kommission über die Unzulässigkeit einer 12 %igen Investitionszulage in Berlin-West im ersten Halbjahr 1992 gemeinschaftsrechtswidrig sei.

3. Ein Betroffener ist nicht rechtsschutzlos, obwohl er die Bestandskraft der Kommissionsentscheidung hinnehmen muss, die zu der rückwirkenden Änderung des InvZulG 1991 durch Art. 13 VerbrBinmG geführt hat. Das Verbot der echten Rückwirkung, das der Kläger gegen diese rückwirkende Änderung des InvZulG 1991 geltend macht, findet seinen Grund und seine Grenze im Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (vgl. BVerfG-Urteil vom 23. November 1999 1 BvF 1/94, NJW 2000, 413). Deshalb ist das mitgliedstaatliche öffentliche Interesse an der Wiederherstellung eines mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbaren Zustands in Bezug auf das InvZulG 1991 a.F. zusammen mit dem öffentlichen Interesse der Europäischen Gemeinschaft an der Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung (s. oben unter 1. c) abzuwägen gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte, die möglicherweise im Fall des Klägers die Rücknahme der 12 %igen Investitionszulage auf 8 % verbieten (vgl. BVerfG-Beschluss in NJW 2000, 2015). Diese Abwägung unterliegt der gerichtlichen Überprüfung.

Im Streitfall greifen jedoch keine Vertrauensschutzgesichtspunkte zugunsten des Klägers gegenüber der nach obigen Ausführungen grundsätzlich zulässigen rückwirkenden Änderung des InvZulG 1991 durch.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG entfällt auch bei einer echten Rückwirkung das schutzwürdige Vertrauen in den Bestand der bisherigen gesetzlichen Regelung in der Regel schon im Zeitpunkt des endgültigen Gesetzesbeschlusses des Deutschen Bundestages über die Neuregelung. Danach müssen die Betroffenen mit dem Tag des Gesetzesbeschlusses mit der Verkündung und dem In-Kraft-Treten der Neuregelung rechnen; es ist ihnen von diesem Zeitpunkt an zuzumuten, ihr Verhalten auf die beschlossene Gesetzeslage einzurichten (u.a. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 72, 200, 261; 97, 67, 79). Die echte Rückwirkung beginnt also erst bei einem zeitlichen Anwendungsbereich des Gesetzes vor dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages.

Im Streitfall ist der Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages über die Änderung des InvZulG 1991 a.F. zwar erst nach dem ersten Halbjahr 1992 gefasst worden, in dem die 12 %ige Investitionszulage gewährt werden sollte. Die Kommission hatte aber bereits im Januar 1992 ein Hauptprüfverfahren gegen die gesetzliche Regelung eingeleitet. Es spricht einiges dafür, bei Einleitung eines Verfahrens nach § 93 Abs. 2 EWGV (jetzt Art. 88 Abs. 2 EG) gegen ein gesetzliches Beihilfeprogramm den Wegfall des schutzwürdigen Vertrauens in den Bestand der gesetzlichen Regelung regelmäßig bereits dann anzunehmen, wenn die Verfahrenseinleitung bekannt gegeben wird. Denn staatliche Beihilfen unterliegen gemäß Art. 93 EWGV der Beihilfenaufsicht der Gemeinschaft, die mögliche Wettbewerbsverzerrungen im Gemeinsamen Markt vermeiden bzw. unterbinden soll. Neue Beihilfen müssen nach Art. 93 Abs. 3 Satz 1 EWGV notifiziert werden und unterliegen der Prüfung durch die Kommission. Hält die Kommission eine Beihilferegelung für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, leitet sie gemäß Art. 93 Abs. 3 Satz 2 EWGV das förmliche Verfahren nach Art. 93 Abs. 2 EWGV ein. Während des Vorprüf- und Hauptprüfverfahrens nach Art. 93 Abs. 3 Satz 1 und 2 bzw. Art. 93 Abs. 2 EWGV unterliegt die Beihilfe einem unmittelbare Wirkung entfaltenden Durchführungsverbot (Art. 93 Abs. 3 Satz 3 EWGV), das auch gegenüber einer gesetzlich geregelten Beihilfe durchschlägt und von den nationalen Gerichten zu beachten ist (vgl. auch EuGH-Urteil vom 11. Dezember 1973 Rs. 120/73 -Lorenz/Deutschland- Slg. 1973, 1471, 1483). Mit der Bekanntgabe der Einleitung des Hauptprüfverfahrens müssen folglich die Betroffenen ―ähnlich wie bei einem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages― damit rechnen, dass die gesetzliche Beihilferegelung keinen Bestand haben wird. Es ist ihnen von diesem Zeitpunkt an zuzumuten, ihr Verhalten auf das bereits bestehende Durchführungsverbot der gesetzlichen Beihilferegelung einzurichten.

b) Selbst wenn man aber die echte Rückwirkung im Streitfall auch auf den Zeitraum zwischen der Bekanntgabe der Einleitung des Hauptprüfverfahrens und dem späteren Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages über die rückwirkende Änderung des InvZulG 1991 bezöge, bestand hinsichtlich der §§ 3, 5 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 a.F. jedenfalls kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen der Betroffenen mehr, als der BMF in seinem in BStBl I 1992, 97, Heft Nr. 3 vom 17. Februar 1992, veröffentlichten Schreiben vom 10. Februar 1992 mitgeteilt hatte, dass wegen des von der Kommission eingeleiteten Hauptprüfverfahrens entgegen der gesetzlichen Regelung nur noch eine Investitionszulage von 8 % gewährt werde. Mit diesem Schreiben hat der BMF die Folgerungen aus der Verfahrenseinleitung gezogen und deutlich gemacht, wie die §§ 3, 5 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 a.F. zumindest vorläufig weiter durchzuführen waren.

Das BVerfG hat angesichts der Ankündigung einer (auch echten) rückwirkenden Gesetzesänderung durch die Bundesregierung sogar dann keinen Vertrauensschutz für die Betroffenen mehr gewährt, wenn die Bundesregierung zunächst einen späteren Anfangszeitpunkt für die Rückwirkung beschlossen, der Gesetzgeber den Beginn der Rückwirkung aber auf den Beschluss der Bundesregierung verlegt hatte (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97, 67, 83). Ähnlich muss der Vertrauensschutz für die Betroffenen mit dem Zeitpunkt der Ankündigung des zuständigen Bundesministers entfallen, dass wegen der Einleitung eines Hauptprüfverfahrens durch die Kommission eine rückwirkende Gesetzesänderung geboten sein könne und daher das geltende Gesetz nur noch in der Fassung der möglicherweise gebotenen Änderung angewendet werden dürfe.

Folglich konnte nach der Veröffentlichung des Schreibens des BMF in BStBl I 1992, 97, Heft Nr. 3 für die weitaus meisten der Investitionen des Klägers im ersten Halbjahr 1992, für welche die erhöhte Zulage von 12 % beansprucht wird, nicht mehr ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf Gewährung dieser Zulage entstehen. Die Investitionen des Klägers im ersten Halbjahr 1992 nach dem 17. Februar 1992 machen 134 005,22 DM aus. Nur eine der Investitionen im ersten Halbjahr 1992 liegt laut Investitionszulageantrag vor dem 17. Februar 1992, und zwar eine Investition in Höhe von 17 467,15 DM am 10. Februar 1992.

c) Aber auch für diese Investition konnte kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen des Klägers begründet werden, dass ihm eine Investitionszulage von 12 % gewährt werde.

Zwar kann die erforderliche Abwägung des mitgliedstaatlichen öffentlichen Interesses an der Wiederherstellung eines mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbaren Zustands sowie des öffentlichen Interesses der Europäischen Gemeinschaft an der Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung einerseits gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte andererseits (s. oben einleitend unter 3.) ergeben, dass für Investitionen im Jahre 1992 vor dem 17. Februar 1992 im Einzelfall ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf die Gewährung einer 12 %igen Investitionszulage gegeben ist. Die Abwägung kann aber in der Regel nicht bedeuten, dass sie immer zugunsten der Investoren ausgehen muss und deshalb die rückwirkende Senkung der Investitionszulage auf 8 % schon als solche unzulässig ist. Dem steht bereits die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik entgegen, die gemeinschaftsrechtswidrige Beihilfe rückwirkend auf die zulässige Höhe zu senken. Anderenfalls könnte die Bundesrepublik bis zur Eröffnung des Prüfverfahrens nach Art. 93 Abs. 2 EWGV (jetzt Art. 88 Abs. 2 EG) durch eine gesetzliche Regelung gegen die gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsordnung verstoßen, ohne dass sie zur Beseitigung dieses Verstoßes gezwungen werden könnte. Es kann daher immer nur um einen Vertrauensschutz in besonderen Einzelfällen gehen (vgl. auch zum Gemeinschaftsrecht Bartosch, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis ―ZIP― 2000, 601, 607, und die dortigen Nachw.).

Die Gewährung des Vertrauensschutzes gegenüber der rückwirkenden Änderung des InvZulG 1991 durch § 13 VerbrBinmG in Härtefällen kann allerdings nicht durch Billigkeitsentscheidungen im Rahmen des § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) erfolgen, da diese Bestimmung im Anwendungsbereich des InvZulG 1991 nicht gilt (§ 7 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1991). Möglicherweise hätte der Gesetzgeber bei der rückwirkenden Änderung des InvZulG 1991 deshalb eine Übergangsregelung treffen müssen, die besonderen Einzelfällen gerecht wird, in denen für Investitionen vor dem 17. Februar 1992 ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf Gewährung der 12 %igen Zulage entstanden ist. Dies kann im vorliegenden Fall jedoch offen bleiben. Denn der Kläger kann sich jedenfalls auf das Fehlen einer Übergangsregelung nicht berufen, da im Streitfall kein Vertrauensschutz durch eine solche Übergangsregelung gewährt werden musste.

d) Das BVerfG hat den Vertrauensschutz gegenüber der Rückforderung einer bereits gewährten Beihilfe schon dann versagt, wenn es dem Beihilfebegünstigten möglich war, die formelle Gemeinschaftswidrigkeit der Beihilfe (wegen fehlender Notifizierung) zu erkennen (BVerfG-Beschluss in NJW 2000, 2015). Im Streitfall hat das FG dem Vortrag des Klägers entnommen, dass dieser von dem Erfordernis der Durchführung eines Notifizierungsverfahrens der Investitionszulage durchaus Kenntnis hatte. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob schon deswegen kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf Gewährung der 12 %igen Investitionszulage entstehen konnte.

Entscheidend ist vielmehr im Streitfall, dass die Rückwirkung für den Kläger, soweit sie über den 17. Februar 1992 hinaus zurückreicht, nur verhältnismäßig geringes Gewicht hatte. Wie dargelegt worden ist, geht es um eine Investition in Höhe von 17 467,15 DM, die der Kläger vor diesem Zeitpunkt im ersten Halbjahr 1992 vorgenommen hat. Für diese Investition hat der Kläger statt der ursprünglich vorgesehenen 12 %igen eine 8 %ige Investitionszulage erhalten. Der Unterschied macht 699 DM aus. Es wird nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger angesichts des Volumens der betreffenden Investition in Höhe von 17 467,15 DM, eines weiteren Investitionsvolumens im ersten Halbjahr in Höhe von 134 005,22 DM und eines begünstigten Investitionsvolumens im Jahre 1992 von insgesamt 606 972,37 DM, das zu einer Investitionszulage von insgesamt 48 558 DM geführt hat, gerade durch die Erwartung des zusätzlichen Betrages von 699 DM zu der Investition vom 10. Februar 1992 veranlasst worden sein sollte. Durch die Erwartung dieses zusätzlichen Betrages kann daher kein so besonders schutzwürdiges Vertrauen entstanden sein, dass demgegenüber das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung des gemeinschaftsrechtmäßigen Zustandes und der Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung zurücktreten musste.

e) Deshalb scheidet eine Vorlage der Sache an das BVerfG auch dann aus, wenn man annimmt, der Gesetzgeber hätte Art. 13 VerbrBinmG aus verfassungsrechtlichen Gründen mit einer Übergangsregelung verbinden müssen. Denn die Übergangsregelung hätte den Streitfall nicht einbeziehen müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 508651

BFH/NV 2001, 553

BStBl II 2001, 499

BFHE 193, 204

BFHE 2001, 204

BB 2001, 241

DB 2001, 178

DStR 2001, 79

DStRE 2001, 146

DStZ 2001, 174

HFR 2001, 351

StE 2001, 37

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