ESG-Manager in Unternehmen: Pflicht oder Kür?

Die EU-Taxonomie verpflichtet Unternehmen, ihre Anstrengungen im Zuge der Nachhaltigkeitsziele zu berichten. Sweelin Heuss ist ESG-Managerin bei JLL und erklärt, was der Job genau beinhaltet – und was die größten Hebel für eine klimafreundlichere Immobilienwirtschaft sind.

Frau Heuss, Sie haben knapp 15 Jahre Erfahrung im Bereich der Nachhaltigkeitsberatung und haben zuvor bei Greenpeace gearbeitet – welches Zeugnis stellen Sie der Immobilienwirtschaft aus?

Sweelin Heuss: Innerhalb der Immobilienbranche sehen wir unterschiedliche Geschwindigkeiten und Reifegrade bei der Nachhaltigkeits-Performance. Unternehmen, die unter die Offenlegungsverpflichtungen fallen, haben sich sehr früh eigene Nachhaltigkeitsziele gesetzt, Dekarbonisierungsvorhaben verfolgt und robuste Strukturen geschaffen. Das Gleiche gilt für Fondsanbieter. Mittlere und kleinere, regional agierende Unternehmen sind eher daran interessiert, Auflagen zu erfüllen und nachhaltige Einzelprojekte umzusetzen. Das liegt oft auch an den komplexen und nicht immer eindeutigen regulatorischen Vorgaben.

... und insgesamt?
 
Insgesamt sind die Bestrebungen, die Nachhaltigkeits-Performance zu verbessern, in der Immobilienbranche analog zu anderen Wirtschaftssektoren in Deutschland abhängig vom politischen Willen. Eine Verschärfung der Nachhaltigkeitsvorgaben führt zu einem immensen Gegendruck nicht nur in der Immobilienbranche und das, obwohl der deutsche Kurs lediglich den europäischen Vorgaben folgt. Das lässt sich gut an der Entwicklung des sogenannten Heizungsgesetzes beobachten. Die Dekarbonisierung des Immobiliensektors ist aber keine Option, wie es von Teilen der Bundesregierung und der Opposition suggeriert wird, sondern eine Verpflichtung. Das sollte innerhalb in der Immobilienbranche Common Sense sein.  

Sweelin Heuss, JLL

Das Berufsbild der ESG-Manager ist verhältnismäßig jung. Können Sie einen Einblick geben, was die Hauptaufgaben sind? 

Je nach Größe des Unternehmens gibt es unterschiedliche Schwerpunktprojekte, die gemanagt werden. Dazu gehörten Reporting-Systeme, Energieeffizienzmaßnahmen und Dekarbonisierungsprojekte. Häufig werden ESG-Zusatzaufgaben auf unterschiedliche Abteilungen verteilt, da Nachhaltigkeit eine Querschnittsaufgabe ist und in funktionierenden Prozessen über die Wertschöpfungskette umgesetzt werden sollte. Größere Immobilienfirmen beschäftigen Teams mit mehreren Mitarbeitenden, um den Aufwand für wiederkehrende Aufgaben und für Schlüsselprojekte – wie die Verfolgung von Netto-Null-Zielen oder die Einführung und Steuerung von Datenmanagementsystemen – zu bewältigen.

Wann kommen Berater ins Spiel?

Trotz interner ESG-Expertise wird oft externe Unterstützung bei einzelnen übergeordneten Themen benötigt, da die Aufgabenbereiche auf strategischer sowie auf Asset-Ebene vielfältig sind und je nach Portfoliogröße von einer einzelnen Person oder einem vorhandenen Spezialisten-Team nicht abzudecken sind. Hier kommen dann Beratungen wie wir ins Spiel. Konkret beraten wir zum Beispiel entweder zu spezifischen Einzelprojekten wie ESG-Datenmanagement, Dekarbonisierung oder Reporting. Oder wir arbeiten als verlängerte Werkbank und übernehmen ganze Aufgabenbereiche aus dem ESG-Programm, wo wir nach innen und außen die Prozesse koordinieren und operativ mitarbeiten. 

Braucht jedes Unternehmen eine ESG-Managerin oder einen ESG-Manager?

Ja, denn für diesen Job sind einschlägige Vorkenntnisse und Ressourcen erforderlich. Hinzu kommt ein Verständnis für die Strukturen im Unternehmen und die Fähigkeit, die Querschnittsaufgabe intern umzusetzen und extern zu kommunizieren. 

Am "E" hat sich die Branche bereits abgearbeitet, um Standards für das Tracking und Einsparen von CO2-Emissionen zu entwickeln. Nun geht es ans "S" und ans "G". Wie ist der Stand der Dinge?

Governance-Aufgaben stehen nicht zur Wahl, sie sind bereits heute Pflicht. Mit ihnen wird sichergestellt, dass ein Unternehmen bei der Nachhaltigkeit alle gesetzlichen Verpflichtungen korrekt umsetzt und in der Managementebene verankert. Die Sozialtaxonomie wurde noch nicht von der EU-Kommission verabschiedet, daher gibt es auch aktuell kein finales Rahmenwerk. Unternehmen können sich aber schon an Entwürfen zur Sozialtaxonomie orientieren. Wie für die ökologische braucht es auch für soziale Nachhaltigkeit messbare Indikatoren, denn ohne sie bleiben Ziele vage und die Vergleichbarkeit fehlt.

Einige Immobilienunternehmen haben Sozialprojekte ins Leben gerufen, in denen zum Beispiel bezahlbares Wohnen oder flexible Nutzungskonzepte von Gebäuden als Teil der Quartiersentwicklung eine wichtige Rolle spielen. Das "S" wird eine immer bedeutendere Rolle in der ESG-Steuerung von Immobilien spielen.  

Wo sind die größten Hebel für eine nachhaltige Immobilienwirtschaft? Welche Rolle spielt der Bestand?

Die konsequente Reduzierung der Kohlenstoffemissionen im Gebäudebestand spielt weiterhin eine bedeutende Rolle. Denn der Energieverbrauch von Bestandsgebäuden muss bis 2050 weltweit um 39 Prozent sinken und 85 Prozent der bestehenden Gebäude praktisch kohlenstofffrei sein. Um das zu erreichen, ist eine sehr konsequente und investitionsintensive Dekarbonisierung quer durch alle Assetklassen notwendig.

Auch die in Gebäuden verbauten, sogenannten grauen Emissionen stehen im Fokus. Die bei Herstellung der Baustoffe entstandenen Emissionen müssen bilanziert und gesenkt werden. Dies gilt sowohl für den Neubau als auch für energetische Sanierungen.  
 
Auf sozialer Ebene spielt es eine große Rolle, wie der Immobiliensektor die demografische Entwicklung widerspiegelt. Quartiere für Menschen mit hohem und niedrigem Einkommen, mit unterschiedlichen Nationalitäten und Altersstufen bilden diese Entwicklung ab. Immobilien in Ballungsräumen auf dieses Zielbild auszurichten, wird die Aufgabe der kommenden Jahrzehnte sein.  

Wenn Sie einen Appell an die Branche oder die Politik richten könnten – welcher wäre es?

Die deutsche Immobilienwirtschaft braucht einen stabilen Rahmen mit klaren gesetzlichen Vorgaben, um handlungsfähig zu bleiben. Die Regierung sollte hier einheitlich auftreten und die Umsetzung der deutschen Klimaziele als effektiven Beitrag zu den europäischen Gesamtzielen im Blick behalten. Dies ist auch für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland insgesamt von hoher Bedeutung.

Veranstaltungstipp:

"Wie wird man eigentlich ESG-Manager:in?" Diese Frage beantwortet das gleichnamige Panel auf dem Career Day der Expo Real am 6.10.2023 um 11 Uhr in Halle A1, Stand 440.


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