Neue Arbeitszeitmodelle in Steuerkanzleien

In der Kanzlei von Erich Erichsen hat die 25-Stunden-Woche die klassische 40-Stunden-Woche abgelöst. Warum er sich zu diesem Schritt entschieden hat und was die neue Arbeitswoche für sein Team bedeutet, erklärt der Kanzleiinhaber im Interview.  

Herr Erichsen, in ihrer Kanzlei hat die 25-Stunden-Woche die klassische 40-Stunden-Woche ersetzt. Kommen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen mit der Arbeit denn noch hinterher?

Das ist eine Frage, die mir oft gestellt wird, und die ich immer mit Ja beantworten kann. Wir schaffen unsere Arbeit in den fünf Stunden, weil wir fokussierter arbeiten und weil wir Zeitfresser eliminiert haben.

Sie haben sich als Kanzleiinhaber für diesen Schritt entschieden, nachdem Sie gesehen haben, dass eine Ihrer Mitarbeiterinnen, die in Teilzeit gewechselt hatte, trotzdem noch ihr Arbeitspensum von der Vollzeitwoche bewältigen konnte. Bestimmt brauchte es aber noch mehr als diesen Aha-Moment, um so ein Projekt in die Realität umzusetzen?

Das war ein Prozess, der stark in mir drin stattgefunden hat. Ich habe immer wieder daran gedacht, dass diese Mitarbeiterin trotz der reduzierten Stundenanzahl ihre bisherigen Arbeiten erledigen kann, weil sie fokussierter arbeitet. Eigentlich war mir damals schon klar, dass auch ich während meiner Arbeitszeit Zeitfresser habe, die ich eliminieren könnte.

Erich Erichsen

Dann bin ich beim Zeitunglesen auf einen Artikel über Lasse Rheingans gestoßen. Er schreibt in seinem Buch „Die 5-Stunden-Revolution“ über seine Erfahrungen als Geschäftsführer einer Werbeagentur, in der er 2017 die 25-Stunden-Woche etabliert hat. Das Buch habe ich an einem Samstag im Strandkorb als Hörbuch durchgehört. Anschließend habe ich zu meiner Frau gesagt: „Das machen wir auch.“ Am darauffolgenden Montag habe ich die Idee meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorgestellt. Das war Ende August 2019.


Ohne einen Plan funktioniert die 25-Stunden-Woche nicht.


Wie haben Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese Idee reagiert?

Die fanden die Idee cool und wollten erst einmal wissen, ob sie denn trotz reduzierter Arbeitszeit das gleiche Gehalt bekommen. Als ich das bejaht habe, wollten sie das ganze sofort in die Tat umsetzen. Aber mir war wichtig, dass wir zuerst ein Konzept erarbeiten. Denn ohne einen Plan, in unserem Fall einen Kanzleileitfaden, funktioniert die 25-Stunden-Woche nicht.

Mir war es außerdem wichtig, dass wir alle das theoretische Konzept hinter der 25-Stunden-Woche verstehen. Deswegen habe ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern alles zu lesen gegeben, was auch ich zu dem Thema gelesen hatte. Immer freitags haben wir uns zu dem Thema ausgetauscht. Dann haben wir damit begonnen, unsere Zeitfresser zu definieren.

Welche Zeitfresser haben Sie gefunden?

Das waren zum einen die unstrukturierten Treffen in der Teeküche und private Gespräche. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: In einem Acht-Stunden-Tag sind solche Gespräche völlig in Ordnung, bei einem Fünf-Stunden-Tag eben nicht. Ein weiterer Zeitfresser war das unfokussierte Arbeiten, beziehungsweise das Ausdehnen der eigenen Arbeit. Dann hatte jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter noch ganz persönliche Zeitfresser, wie etwa der regelmäßige Blick auf Online-Nachrichtenseiten oder private Probleme, die während der Arbeitszeit geregelt werden mussten.

Wie sieht im Gegensatz dazu jetzt ein klassischer Tag in ihrer Kanzlei aus?

Unser Tag beginnt gegen acht Uhr und nach einer kurzen Zeit des Ankommens besprechen wir in unserem Daily Stand-up, woran jede und jeder gerade arbeitet. Dann beginnt der Arbeitstag, für den die Mitarbeiter einen strukturierten Arbeitsplan haben. Die letzte halbe Stunde des Tages räumen wir unseren digitalen Schreibtisch auf, schauen zum Beispiel, welche Mails noch dringend abgearbeitet oder weitergeleitet werden müssen und gegen 13 Uhr beziehungsweise 13:30 Uhr verlassen wir das Büro.

Kommt das Zwischenmenschliche, das Sie als Zeitfresser definiert haben, dabei nicht zu kurz?

Natürlich führen wir immer noch kleine Gespräche miteinander, aber eben nicht mehr so lange. Während des Lockdowns, als wir alle im Homeoffice gearbeitet haben, haben wir das Büro renovieren lassen. Jetzt haben wir eine richtig große moderne Küche, in der immer mittwochs gemeinsam gekocht werden soll. Früher sind wir zu dieser Zeit gemeinsam essen gegangen. Diese Treffen sind in meinen Augen sehr viel wertvoller als die täglichen Teeküchengespräche.


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Was sagen Ihre Mandantinnen und Mandanten zu Ihrer Arbeitsweise?

Ich habe unsere Mandantinnen und Mandanten natürlich über unsere neue Arbeitsweise informiert und viele Telefongespräche geführt. Die meisten hatten damit kein Problem, so lange ihre Arbeit davon nicht beeinflusst wird.


Wir haben durch unsere Umstellung keine Mandate verloren, sondern neue dazugewonnen.


Sind Sie noch gut für die Mandantinnen und Mandanten erreichbar?

Wir sind bis 13 Uhr für die Mandanten erreichbar. In den ersten paar Monaten der 25-Stunden-Woche hatten wir für die Zeit danach eine Rufumleitung auf ein Mobiltelefon eingerichtet, das von mir oder den anderen Kanzleimitarbeitern für jeweils eine Woche mit nach Hause genommen wurde. Im März 2020 haben wir das Vorgehen nochmal geändert. Jetzt hören die Mandanten, die nach 13 Uhr anrufen, eine Bandansage, die unsere Bürozeiten und die Notfallnummer für dringende Fälle angibt. Das funktioniert sehr gut. In manchen Monaten hatten wir keinen einzigen Anruf am Nachmittag. Allerdings läuft bei uns sowieso der Großteil der Kommunikation über E-Mail und digital ab.

Das klingt fast zu harmonisch, um wahr zu sein.

Ja, es gibt Kolleginnen und Kollegen, die das kaum glauben können. Die sagen, dass sie für ihre Mandanten bis mindestens 17 Uhr erreichbar sein müssen. Diese Argumentation kann ich nicht verstehen. Ich kann mir von meinen Mandanten doch nicht vorgeben lassen, wann ich erreichbar sein muss. Was machen diese Kollegen dann, wenn der Mandant eine 24-Stunden-Erreichbarkeit einfordert? Nein, das geht nicht und ist nicht notwendig. Wir haben durch unsere Umstellung keine Mandate verloren, sondern neue dazugewonnen.

Welche Reaktionen erhalten Sie von Ihren Kolleginnen und Kollegen noch, wenn die von der 25-Stunden-Woche hören?

Teilweise höre ich kritische Äußerungen. Sätze wie „Wenn deine Mitarbeiter in fünf Stunden so viel schaffen, könnten sie in acht Stunden ja noch viel mehr erledigen“ oder „Ach, deine 25-Stunden-Woche habe ich schon an einem Dienstag erreicht“. Viele zollen mir aber auch Respekt für das, was ich gemacht habe und finden es mutig. Andere rege ich zum Nachdenken an. Auf jeden Fall bin ich unter den Beratern in Deutschland jetzt sehr bekannt.


Ich möchte meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Lebenszeit geben.


Was entgegnen Sie Kritikerinnen und Kritiker?

Kollegen, die damit prahlen, dass ihre Mitarbeiter zusätzlich zu den 40 Stunden unbezahlte Überstunden machen, frage ich provokativ, ob ihre Mitarbeiter noch nichts vom Fachkräftemangel mitbekommen haben und deshalb bei einem Arbeitgeber bleiben, der ihnen nichts zu bieten hat.

Ich möchte meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Lebenszeit geben. Unser Beruf ist so anspruchsvoll und so stressbelastet. Das merken wir, nachdem wir die fünf Stunden volle Power durchgearbeitet haben. Deshalb ist die zusätzliche freie Zeit so wichtig. Und wer die Chance bekommt, mehr Zeit zu haben für die eigenen Bedürfnisse oder die Familie, der kommt am nächsten Tag auch motivierter zur Arbeit und kann in fünf Stunden konzentriert arbeiten. Leute, die mir erzählen, sie arbeiten täglich acht Stunden oder zehn Stunden hochfokussiert, kann ich nicht ernst nehmen. Die haben sich noch nie hinterfragt und keine Selbstwahrnehmung.

Ihre Kanzlei besteht aus fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wäre so eine Arbeitszeitreduzierung auch in einer größeren Kanzlei denkbar?

Ich denke schon. Denn jede einzelne Mitarbeiterin und jeder einzelne Mitarbeiter, egal in welcher Organisation, hat ähnliche Zeitfresse, wie wir sie im kleinen Team haben und kann daran arbeiten. Es müssen aber alle aus der Organisation mitziehen. Ich bin gerade dabei eine Kanzlei zu kaufen und gehe davon aus, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort offen sein werden für die 25-Stunden-Woche. Allerdings ist der erste Schritt in diesem konkreten Beispiel das Etablieren von digitalen Prozessen. Digitales Arbeiten ist ein zentraler Bestandteil der 25-Stunden-Woche, die Größe der Organisation ist nicht so wichtig.

Schlagworte zum Thema:  Kanzleiorganisation, Arbeitszeitmodell, New Work