Rz. 74

§ 10 AO definiert die Geschäftsleitung als "Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung". Die Feststellung, wo sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet, richtet sich nach den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall. Die geschäftliche Oberleitung wird regelm. an dem Ort ausgeübt, an dem der für die Geschäftsführung und Betriebsleitung maßgebliche Wille tatsächlich gebildet wird und die für das Unternehmen wichtigen Entscheidungen getroffen, nicht dagegen wirksam werden.[1] Das sind im Allgemeinen die Büroräume des maßgeblichen Geschäfts- bzw. Betriebsleiters.[2] Maßgebend ist, wo die kaufmännischen Entscheidungen getroffen werden. Auf die technische Leitung des Betriebs kommt es nicht an. Sind zur Ausübung der geschäftlichen Oberleitung eines Unternehmens Büroräume nicht erforderlich und nicht vorhanden, so kann der Wohnsitz des leitenden Geschäftsführers als Ort der Geschäftsleitung angesehen werden.[3]

 

Rz. 75

Im Einzelfall kann die tatsächliche Geschäftsleitung eines Rechtsgebildes auch in Händen anderer als der zu seiner gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung gesetzlich berufenen Personen (Vorstand, Geschäftsführer) liegen. Der Besitz sämtlicher oder der meisten Kapitalanteile reicht jedoch nicht aus, um am Wohnsitz oder geschäftlichen Aufenthaltsort des Allein- bzw. Hauptgesellschafters den Ort der Geschäftsleitung des entsprechenden Rechtsgebildes anzunehmen. Das gilt selbst dann, wenn sich die meisten und wichtigsten Geschäftsvorfälle des Rechtsgebildes am Wohnsitz oder geschäftlichen Aufenthaltsort des Anteilsinhabers abspielen.[4]

 

Rz. 76

Unbeachtlich ist auch, wenn ein Gesellschafter sein Recht wahrnimmt, dem Geschäftsführer Anweisungen und Ratschläge zu erteilen hinsichtlich der Verminderung der Kosten und der Erzielung eines möglichst günstigen Geschäftsergebnisses. Auch darf er Anweisungen über die allgemeine Art der abzuwickelnden Geschäfte geben[5]; denn es ist Ausfluss des Machtbereichs eines Gesellschafters, wenn er den laufenden Geschäftsgang beobachtet, kontrolliert und fallweise beeinflusst.[6]

 

Rz. 77

Beschränkt sich dagegen der beherrschende Gesellschafter nicht auf den Einfluss aus seinen Gesellschaftsrechten, sondern spricht er bei wichtigen Geschäften selbst das entscheidende Wort, sodass er als "Seele und Kopf" der Geschäftsführung anzusehen ist und die gesetzlichen Vertreter nur seine ausführenden Organe sind, liegt die geschäftliche Oberleitung bei diesem Gesellschafter.[7] Insbes. wenn der Gesellschafter ständig in den gewöhnlichen Geschäftsverkehr eingreifen kann und eingreift, wenn er sich dauernd über die einzelnen Geschäfte auf dem Laufenden halten lässt und die Abwicklung der laufenden Geschäfte durch seine Entscheidungen maßgebend beeinflusst, übt er die Geschäftsleitung selbst aus.[8] Diese Grundsätze gelten auch für den Fall einer Organschaft i. S. d. §§ 14ff. KStG.[9]

 

Rz. 78

Die Annahme mehrerer örtlich begrenzter Geschäftsleitungen für ein körperschaftstpfl. Gebilde ist nach tradierter Ansicht mit dem Sinn des Begriffs Geschäftsleitung in § 1 Abs. 1 KStG nicht vereinbar.[10] Nach der jüngeren Rechtsprechung[11] sind allerdings mehrere Mittelpunkte der geschäftlichen Oberleitung möglich[12], was aber nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt.[13]

 

Rz. 79

Bes. Anlass zur Prüfung, ob sich die Geschäftsleitung im Ausland oder im Inland befindet, besteht, wenn es sich um sog. Domizil- oder Briefkastengesellschaften im Ausland handelt, hinter denen inländische Gesellschafter stehen.[14] Die Tatsache, dass die gesetzlichen Vertreter der ausl. Gesellschaft ihrem Wohnsitz und ihrer Staatsangehörigkeit nach Ausländer sind, steht der Annahme einer inländischen Oberleitung nicht entgegen. Entscheidend ist vielmehr in erster Linie, wo die tatsächlichen Entscheidungen für die Geschäftsführung der ausl. Gesellschaft getroffen werden. Domizil- oder Briefkastengesellschaften haben zwar mitunter eine förmliche Geschäftsstelle im Ausland. Diese wird jedoch nur auf Veranlassung und nach – sei es im Einzelfall, sei es generell erteilter – Weisung des inländischen Gesellschafters tätig.

 

Rz. 80

Es liegt auf der Hand, dass die Frage nach dem Ort der Geschäftsleitung für die Frage der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht nur dann zu Problemen führt, wenn der Sitz der nichtnatürlichen Person (andere Alt. für die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht) nicht im Inland ist oder es sich um nichtrechtsfähige Personenvereinigungen und Vermögensmassen handelt. So erklärt es sich auch, dass fast alle Urteile des RFH und BFH zu Fällen ergangen sind, in denen der Sitz im Ausland lag.

[1] RFH v. 23.6.1938, III 40/38, RStBl 1938, 949.
[3] RFH v. 3.7.1934, I A 129/33, RStBl 1934, 1078; BFH v. 16.12.1998, I R 138/97, BStBl II 1999, 437.
[4] RFH v. 9.1.1934, I A 344/32, RStBl 1934, 382.
[5] RFH v. 11.7.1940, III 135/39, RStBl 1940, 706.
[7] RFH v. 3.7.1936, I A 150/36, RStBl...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge