Leitsatz (amtlich)

Der Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG (Einräumung der Verwertungsbefugnis) wird auch dann verwirklicht, wenn durch eine Verkaufsermächtigung nicht nur eine Gewinnerzielungschance erlangt, sondern auch das Risiko eines Verkaufsverlustes übernommen wird, sofern der Grundstücksverkauf für den Ermächtigten aus anderen Gründen einen Vorteil mit sich bringen kann.

 

Normenkette

GrEStSWG ND 1966 § 1 Nr. 5

 

Tatbestand

In einer privatschriftlichen Vereinbarung zwischen den Eheleuten X einerseits und der Klägerin andererseits kamen die Vertragschließenden überein, daß Herr X der Klägerin ein Grundstück "zur Verfügung stellt". Es sollte hierüber ein besonderer Erbbaurechtsvertrag auf die Dauer von 75 Jahren abgeschlossen werden. Nach § 3 derselben Vereinbarung übertrug Frau X der Klägerin "mit heutigem Tage das Recht zur Betreibung des Verkaufs des in ihrem Eigentum befindlichen Grundstücks … mit der Auflage, daß der Kaufpreis von … DM" durch … (die Klägerin) "bei Abschluß des Kaufvertrages … erlegt wird". Die Vereinbarung lautet sodann unter § 3 - soweit einschlägig - wie folgt:

"In Gegenleistung zu vorstehenden Vereinbarungen verpflichtet sich die" Klägerin:

a) "… den Verkauf des im Eigentum der Verkäuferin befindlichen bebauten Grundstücks … kostenfrei für die Verkäuferin zu übernehmen und durchzuführen.

Das Grundstück … ist belastet mit einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit für Frau B …

b) Der Verkaufspreis beträgt … DM und ist in dieser Höhe ohne Abzug bei Abschluß des notariellen Kaufvertrages, spätestens am 1. Dezember 1964, von der" Klägerin "zu bezahlen.

c) Die von der" Klägerin "angenommene Verkaufsvermittlung wird einvernehmlich befristet auf 1/4 Jahr, daher bis zum 15. Dezember 1964. Mit diesem Zeitpunkt tritt die" Klägerin "in die Rechte am Besitz und Nutzung ein.

d) Ist die Veräußerung an einen Dritten bis zum 15. Dezember 1964 nicht erfolgt, tritt die" Klägerin "mit dem Verkaufspreis von … DM in Vorlage und erlegt diesen bei" einer von Frau X näher bezeichneten Stelle. "Die Erlegung des Kaufpreises ist gleichbedeutend mit der unwiderruflichen Übernahme des Anwesens … durch die" Klägerin. "Um dieser weiteren Spielraum für eine Veräußerung an einen Dritten zu belassen, sind sich die Vertragsschließenden einig, daß zur endgültigen grundbürgerlichen Übernahme des Anwesens eine über den 15. Dezember 1964 hinausgehende Frist, der 15. März 1965, als vereinbart gilt. Für diesen Fall übernimmt die" Klägerin "ab 31. Dezember 1964 die mit dem Besitz des Grundstücks verbundene Grundsteuer und die … Vermögensteuer … Das gleiche gilt für alle sonstigen öffentlichen Abgaben.

e) In jedem Falle, also der Veräußerung des Grundstücks … an einen Dritten, wie auch des Selbsterwerbs, verpflichtet sich die" Klägerin "die auf dem Cafe-Betrieb des Hauses lastende Bierbezugsverpflichtung … selbst zu übernehmen."

Gemäß § 4 des Vertrages sollte den Beteiligten ein Rücktritt von dem Vertrag nur zustehen, wenn das der Klägerin zugesicherte Baugelände wegen übergeordneter behördlicher Einwände nicht zur Verfügung gestellt werden könnte.

Da die Klägerin bis zum 15. Dezember 1964 keinen Interessenten für das zu verkaufende Grundstück gefunden hatte, entrichtete sie den Kaufpreis vereinbarungsmäß selbst an die im Vertrag von Frau X bezeichnete Stelle.

Im Februar 1965 konnte die Klägerin schließlich Kaufinteressenten für das Grundstück ausfindig machen. Sie vereinbarte mit ihnen, daß sie in den zwischen Herrn und Frau X einerseits und der Klägerin andererseits geschlossenen Vertrag eintreten sollten, soweit sich die Klägerin "bezüglich des Grundstücks verpflichtet hatte". Die Käufer verpflichteten sich, die Klägerin von ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Vertragspartnern freizustellen. Im März 1965 wurde das Grundstück für … DM mittels notariell beurkundeten Kaufvertrages verkauft. Vertragspartner waren Frau X und die Käufer, die den Kaufpreis in Raten an die Klägerin zahlen.

Der Beklagte (FA) setzte Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin fest. Nach seiner Auffassung hat die Klägerin durch die Vereinbarungen die Verwertungsbefugnis im Sinne von § 1 Abs. 2 GrEStG über das Grundstück erlangt.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Das angefochtene Urteil läßt weder materiell-rechtliche noch verfahrensrechtliche Mängel erkennen, die seine Aufhebung rechtfertigen könnten.

Das FG hat mit zutreffender Begründung die Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG verneint.

Der Senat tritt den Ausführungen des FG zur Verwertungsbefugnis im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG im Ergebnis bei.

Gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer Erwerbsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Dieser selbständige und - gegenüber den Tatbeständen in § 1 Abs. 1 GrEStG - subsidiäre (Ersatz-) Tatbestand kann ohne Rücksicht auf die Beweggründe oder die Absicht der Beteiligten erfüllt werden. Er stellt darauf ab, ob die maßgebenden Rechtsvorgänge es einem anderen als dem Eigentümer rechtlich oder wirtschaftlich "ermöglicht" haben, das "Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten". Damit setzt § 1 Abs. 2 GrEStG eine Verwertungsbefugnis des Berechtigten voraus, deren rechtlichen Gehalt das Gesetz im einzelnen nicht umschreibt; die Unterscheidung "rechtlich oder wirtschaftlich" betrifft allein die Art und Weise der möglichen Verwertung. Diese Befugnis begründet keinen (bürgerlich-rechtlichen) Anspruch auf Übereignung, andernfalls nicht § 1 Abs. 2 GrEStG, sondern § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG anzuwenden wäre. Deshalb ist nicht erforderlich, daß der andere wie ein Eigentümer über das Grundstück verfügen kann, das heißt, es besitzen, verwalten, nutzen, belasten und schließlich veräußern kann (vgl. Entscheidung des BFH vom 24. Oktober 1956 II 60/56 U, BFHE 63, 433, BStBl III 1956, 364). Es genügt, wenn der andere die Verwertungsbefugnis über das Grundstück erlangt hat, auch wenn das eine oder andere der eben genannten Rechte ihm nicht eingeräumt worden ist oder ihm nicht zusteht.

Die Gesamtheit der von der Klägerin mit Frau X und deren Ehemann getroffenen Vereinbarungen hat der Klägerin eine Verwertungsbefugnis in dem vorstehend dargelegten Sinne verschafft. Die Klägerin hatte durch die übernommenen Verpflichtungen eine wirtschaftliche Stellung erlangt, die es ihr im Ergebnis - wirtschaftlich - gestattete, das Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Dabei kann offenbleiben, ob eine solche Verwertungsbefugnis zugunsten der Klägerin schon vor dem 15. Dezember 1964 bestanden hat. Das FA hat - wie in den angefochtenen Steuerbescheid ausdrücklich aufgenommen worden ist - allein die Erlangung der Verwertungsbefugnis durch die Klägerin "am 15. Dezember 1964" der Grunderwerbsteuer unterworfen. An diesem Tag ist die Klägerin "in die Rechte am Besitz und Nutzung" eingetreten (§ 3 Buchst. c der Vereinbarungen). Das reicht nach der Rechtsprechung des Senats für sich allein zwar nicht aus, eine Verwertungsbefugnis im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG zu begründen (vgl. Urteile des Senats vom 27. Januar 1965 II 60/60 U, BFHE 82, 51, BStBl III 1965, 265; vom 24. Juli 1974 II R 32/67, BFHE 113, 315, BStBl II 1974, 773, sowie vom 27. August 1975 II R 52/70, BFHE 117, 96, BStBl II 1976, 30). Neben dem Übergang des Besitzes und der Nutzungen hat die Klägerin am selben Tage den Kaufpreis (§ 3 Buchst. d der Vereinbarungen) "in Vorlage" entrichtet. Nach den Vereinbarungen war die Erlegung des Kaufpreises "gleichbedeutend mit der unwiderruflichen Übernahme des Anwesens …" durch die Klägerin. Das alles kann nur bedeuten und nur dahin verstanden werden, daß die (weitere) Verwertung des Grundstücks der Klägerin überlassen bleiben sollte, Frau X dieser insoweit freie Hand ließ, es ihr gleichgültig war, wer letztlich Eigentümer des Grundstücks werden würde und es ihr wesentlich darauf ankam, den Kaufpreis zu dem bestimmten Termin auch tatsächlich und in voller Höhe zu erhalten. Frau X hatte sich damit weitgehend ihrer Verfügungs- und Verwertungsbefugnis zugunsten der Klägerin begeben. Dem steht nicht entgegen, daß die Vereinbarungen nicht den Formvorschriften des § 313 BGB genügen. Wäre eine entsprechende Verpflichtung in der gehörigen Form abgegeben worden, so unterläge der Erwerbsvorgang schon nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Die Klägerin wiederum hatte nach den Vereinbarungen mit Erlegung des Kaufpreises die Befugnis erlangt, über das Grundstück seiner Substanz nach zu verfügen und es in Verfolg ihrer eigenen Interessen zu verwerten. Ein anderweitiger Verkauf des Grundstücks durch Frau X schied nach Lage der Dinge praktisch aus. Die weiteren Abreden in § 3 Buchst. d der Vereinbarungen schoben lediglich den möglichen (endgültigen) bürgerlich-rechtlich wirksamen Übergang des Grundstücks auf die Klägerin bis zum 15. März 1965 hinaus und gewährten dieser zugleich noch eine weitere Frist, durch Herbeischaffen eines Kaufinteressenten das Eigentum an dem Grundstück nicht selbst erwerben zu müssen. Während dieses Zeitraums blieb es der Klägerin überlassen, einen Käufer zu benennen.

Daß die Klägerin und Frau X den Kaufpreis in bestimmter Höhe festgelegt und keine ausdrücklichen Vereinbarungen darüber getroffen hatten, wem ggf. ein übersteigender Teilbetrag des Grundstückserlöses verbleiben sollte, steht der Annahme einer Verwertungsbefugnis nicht entgegen. Zwar mögen sich aus der Preisfestlegung für beide Vertragsparteien Vor- und Nachteile bezüglich der Verkaufsverhandlungen und des Abschlusses eines Kaufvertrages ergeben haben. Der Klägerin blieb aber - unabhängig davon - eine wirkliche Chance, durch den Verkauf des Grundstücks oder dessen Übernahme einen eigenen Vorteil zu erlangen. Unerheblich ist dabei, daß mit dieser Chance auch das Risiko verbunden war, durch den Verkauf des Grundstücks zu einem geringeren Betrag als … DM einen Verlust hinnehmen zu müssen. Denn es kann nicht nur auf die finanziellen und/oder wirtschaftlichen Auswirkungen des Grundstücksverkaufsgeschäfts selbst abgestellt werden. Es müssen vielmehr - zumindest im Streitfall - die jeweiligen Interessenlagen aller Vertragsparteien, wie sie sich aus den Vereinbarungen ergeben, berücksichtigt werden. Der Klägerin ging es danach ausschließlich darum, auf dem Grundstück des Herrn X ein Gebäude errichten zu dürfen. Deshalb hat sie sich "in Gegenleistung zu den vorstehenden Vereinbarungen …" nicht nur verpflichtet, "den Verkauf des … Grundstücks … kostenfrei für die Verkäuferin zu übernehmen und durchzuführen". sondern auch, den Verkaufspreis - unabhängig von dem Erfolg ihrer Verkaufsbemühungen - an einem bestimmten Tag in voller Höhe zu entrichten, die auf das Grundstück entfallende Grundsteuer und die Vermögensteuer zu zahlen und ferner "in jedem Falle … die auf dem Café-Betrieb des Hauses lastende Bierbezugsverpflichtung …" (ggf.) "selbst zu übernehmen". Frau X war demgegenüber allein an dem sicheren und pünktlichen Eingang des Kaufpreises gelegen. Das alles macht deutlich, in welch großem Maße der Klägerin daran gelegen war, eine örtlich günstig gelegene Zahlstelle einrichten zu können. Diese vorteilhafte Möglichkeit hat sie sich durch die Vereinbarungen geschaffen und gesichert.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71978

BStBl II 1976, 724

BFHE 1977, 500

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