Rz. 113

Eine genaue begriffliche Zuordnung eines bestimmten Kündigungssachverhaltes zu der in § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG vorgenommenen Einteilung in personenbedingte, verhaltensbedingte oder betriebsbedingte Kündigungsgründe ist in der Praxis jedoch häufig nur schwer möglich.

1. Mischtatbestände

 

Rz. 114

Kündigungssachverhalte, die gleichzeitig zwei oder drei der in § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG genannten Kündigungsgründe betreffen, werden als sog. echte Mischtatbestände bezeichnet. Wegen der unterschiedlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen von personen-, verhaltens- und betriebsbedingten Kündigungen ist eine zutreffende Einordnung der Kündigung in eine dieser Fallgruppen zwar wichtig, aber häufig nicht einfach durchzuführen. Davon zu unterscheiden sind sog. unechte Mischtatbestände. In diesen Fällen wird die Kündigung auf mehrere Sachverhalte gestützt, die voneinander unabhängig sind und verschiedenen Kündigungsgründen zugeordnet werden können.

a) Echte Mischtatbestände

 

Rz. 115

Bei echten Mischtatbeständen grenzt das BAG nach der sog. Sphärentheorie in erster Linie danach ab, welcher der vorliegenden Kündigungstatbestände sich am stärksten nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt (BAG v. 21.11.1985 – 2 AZR 21/85, NZA 1986, 713; BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 643/96, NZA 1998, 323; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 271; im Einzelnen und zur Kritik vgl. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 255). Es ist mithin zu prüfen, ob der Kündigungssachverhalt der Sphäre des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers zuzuordnen ist (v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 271).

 

Rz. 116

Führt bspw. eine Umstrukturierung dazu, dass ein unter gesundheitlichen Einschränkungen leidender Arbeitnehmer nur noch in einer Weise beschäftigt werden kann, die seine Krankheit verschlimmert, liegt ein betriebsbedingter und kein personenbedingter Kündigungsgrund vor (BAG v. 6.11.1997 – 2 AZR 94/97, NZA 1998, 143). Dasselbe gilt, wenn aufgrund der technischen Entwicklung bestimmte Arbeiten überflüssig werden, und zwar auch dann, wenn ältere Arbeitnehmer wegen mangelnder Fähigkeiten nicht eingearbeitet werden können (BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 49/96, RzG I 5 c, Rn 82).

 

Rz. 117

Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Zuordnung insb. bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungsursachen im Hinblick auf die Frage, ob eine einschlägige Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung erforderlich war.

b) Unechte Mischtatbestände

 

Rz. 118

Bei sog. unechten Mischtatbeständen, bei denen mehrere voneinander unabhängige Vertragsstörungen bestehen (bspw. Krankheit, vertragswidriges Verhalten sowie betriebsbedingte Gründe), ist nach der Rspr. des BAG jeder Sachverhalt zunächst für sich allein im Hinblick darauf zu prüfen, ob er zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung geeignet ist. Lässt sich nach diesem ersten Prüfungsschritt eine soziale Rechtfertigung nicht feststellen, prüft das BAG in einem weiteren Schritt, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit und unter Abwägung der Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen (BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 643/96, EzA § 1 KSchG, verhaltensbedingte Kündigung, Rn 52). Trotz der Kritik, die diese Rspr. erfahren hat (vgl. insb. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigungsschutz, Rn 927; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn 95; Rüthers/Henssler, ZfA 1988, 31, 33; zum Meinungsstand in der Literatur i.Ü. vgl. auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 258 f.), hat das BAG in seiner Entscheidung v. 20.11.1997 an dieser Rspr. festgehalten.

2. Abgrenzung zur verhaltensbedingten Kündigung

 

Rz. 119

Charakteristisch für einen personenbezogenen Kündigungsgrund ist, dass der Arbeitnehmer den Verlust seiner Fähigkeiten oder seiner Eignung, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, nicht oder nicht mehr steuern kann (KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 266; APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 120; Schaub/Linck, ArbRHB, § 131 Rn 12).

 

Rz. 120

Demgegenüber liegt einer verhaltensbedingten Kündigung ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers zugrunde, welches mit einer vorwerfbaren Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten einhergeht. Anders gewendet: Ein personenbezogener Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Arbeitnehmer will, aber nicht kann, ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund, wenn der Arbeitnehmer kann, aber nicht will (so prägnant v. Hoyningen/Huene-Linck, § 1 KSchG Rn 290).

 

Rz. 121

Allerdings hat das BAG auch dann einen personenbezogenen Kündigungsgrund angenommen, wenn der Arbeitnehmer die tatsächlich bestehende Möglichkeit nicht nutzt, ein Leistungshindernis in seiner Person durch ein von ihm steuerbares Verhalten zu beseitigen (BAG v. 4.6.1997 – 2 AZR 526/96, EzA § 626 BGB Rn 168). Dies weicht die Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingten Gründen auf. Verhält sich etwa ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer in einer Art und Weise, die seine Genesung verzögert oder verhindert oder unterlässt es ein Arbeitnehmer schuldhaft, eine Lizenz zu erwerben, die für seine Tätigkeit erforderlich ist, verhält er sich vertragswidrig. Dies ist indes gerade charakteristisch für einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund.

 

Rz. 122

Die auf den ersten Blick klare...

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