Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 12.02.1992)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Februar 1992 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt für die Zeit ab 1. April 1987 die Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen für Vorruhestandsleistungen an den ehemaligen Mitarbeiter L. F. (L. F.).

J. H. (J. H.) gründete im Jahre 1959 eine Firma, die sich auf die Herstellung und den Vertrieb von Industrieböden aller Art spezialisierte. K. F. (K. F.), seine Tochter, ist seit 1954 mit L. F. verheiratet, der am 15. August 1928 geboren wurde, gelernter Handschuhmacher ist und sich zunächst als freier Handelsvertreter (im Bereich Immobilien, Versicherungen und Bausparkassen) betätigte. Im Jahre 1972 trat L. F. als Buchhalter in die klägerische Firma ein. Nachdem er von 1975 bis 1977 eine entsprechende Umschulung durchlaufen hatte, wurde er für die Firma als Estrichlegermeister tätig. Im Jahre 1979 wurde die Firma in eine GmbH umgewandelt. Am Stammkapital, das sich auf 50.000,00 DM belief, waren J. H. mit 15.000,00 DM (30 vH) und seine Tochter K. F. mit 35.000,00 DM (70 vH) beteiligt. Nach dem Gesellschaftsvertrag wurden die Beschlüsse der Gesellschafter (soweit gesetzlich nicht anders geregelt) mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefaßt; jeder Gesellschafter hatte (unabhängig von der Höhe seines oder seiner Anteile) eine Stimme (§ 7). Die Eheleute K. F. und L. F. wurden, wie in § 5 des Gesellschaftsvertrages vorgesehen, zu einzelvertretungsbefugten Geschäftsführern bestellt. Nach dem Anstellungsvertrag oblag dem L. F. in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer ua die gesamte Leitung des Betriebes (§ 2 Nr 1). Er war nicht an eine Arbeitszeit gebunden. Etwaige Überstunden wurden durch seine Bezüge mit abgegolten (§ 2 Nr 2). Er war von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch befreit (§ 4). Er erhielt ein Gehalt von zunächst 2.907,99 DM (§ 3 Nr 1). Im Fall einer Erkrankung oder sonstiger unverschuldeter Verhinderung wurden die Bezüge für die Dauer von drei Monaten fortgezahlt (§ 5). Der Geschäftsführervertrag konnte von der Klägerin nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden (§ 1 Nr 2).

Im Jahre 1981 trat K. F. je 5.500,00 DM (11 vH) ihrer Anteile an den Sohn P. F. (P. F.) und an die Tochter A. F. (A. F.) ab. Ende Januar 1982 schied sie als Geschäftsführerin aus. Am 14. November 1982 verstarb J. H. Sein Anteil ging im Wege eines Abtretungsvertrages auf P. F. über, der nunmehr mit 20.500,00 DM (41 vH) am Stammkapital beteiligt war. L. F. beendete seine Geschäftsführertätigkeit am 10. April 1986, arbeitete jedoch bis zum 28. Februar 1987 gegen ein monatliches Gehalt von zuletzt 5.446,00 DM weiter. Sein Nachfolger als Geschäftsführer wurde der familienfremde W. S. (W. S.), der seit 1984 in der Firma tätig war. Die von L. F. nach dem 10. April 1986 wahrgenommene Stelle wurde am 1. März 1987 vom Sohn P. F. übernommen. Dessen Arbeitsplatz wurde am 1. April 1987 mit dem familienfremden T. F. (T. F.) besetzt, der vor seiner Einstellung beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos gemeldet war.

Am 15. April 1987 beantragte die Klägerin die Anerkennung der Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschüssen zu den Vorruhestandsleistungen an den am 28. Februar 1987 ausgeschiedenen L. F. Das ArbA lehnte den Antrag mit dem Hinweis ab, L. F. habe innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mindestens 1.080 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden. Er sei, ohne selbst Gesellschafter zu sein, für die Belange der Familien-GmbH maßgeblich verantwortlich gewesen. Sein Fachwissen und seine Branchenkenntnisse seien für die Führung des Betriebes und die Geschicke der Gesellschaft ausschlaggebend gewesen. Er habe das Unternehmen selbständig und weisungsunabhängig mit Unternehmerrisiko geleitet (Bescheid vom 11. November 1987; Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1988). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage, mit der die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung der Voraussetzungen nach dem Vorruhestandsgesetz (VRG) erstrebte, abgewiesen (Urteil vom 6. Dezember 1989). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und den Bescheid vom 11. November 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 1988 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Zuschüsse zu ihren Aufwendungen für die Vorruhestandsleistungen an den ehemaligen Mitarbeiter L. F. zu gewähren (Urteil vom 12. Februar 1992).

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen für Vorruhestandsleistungen nach dem VRG seien erfüllt. Insbesondere habe L. F. innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mindestens 1.080 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung iS des § 168 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gestanden (§ 2 Abs 1 Nr 2 VRG). Er sei auch während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer Arbeitnehmer gewesen. Dafür sprächen seine Eingliederung in den Betrieb und die Mitarbeit der K. F. in der Firmenleitung.

Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 und § 103 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie von § 2 Abs 1 Nr 2 VRG und § 168 AFG. Die Grenzen der freien Beweiswürdigung seien überschritten worden, weil sich das LSG über das erstinstanzliche Beweisergebnis hinweggesetzt habe. Der Untersuchungsgrundsatz sei verletzt, weil ungeprüft geblieben sei, ob tatsächlich Weisungen an L. F. ergangen seien. Im übrigen sei die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft des L. F. durch die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht getragen. Gesellschafterbeschlüsse mit Weisungscharakter gegenüber L. F. seien nicht ersichtlich. Ebensowenig sei festgestellt worden, daß K. F. überhaupt auf die Geschäftsführung Einfluß genommen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend und erwidert, L. F. habe innerhalb der GmbH zu keinem Zeitpunkt einen beherrschenden Einfluß ausgeübt. Nach dem Tod des J. H. habe ausschließlich K. F. als geradlinige Verwandte die Firmenpolitik bestimmt. L. F. habe sich in allen wesentlichen Punkten mit ihr absprechen müssen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der Klägerin ein Anspruch auf die begehrten Zuschüsse zu den Aufwendungen für Vorruhestandsleistungen an L. F. zusteht oder nicht.

Die Berufung der Klägerin war statthaft (§ 143 SGG). Ausschließungsgründe iS der §§ 144 bis 149 SGG sind nicht gegeben. Insbesondere greifen nicht die Ausschließungsgründe des § 144 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGG ein. Es geht um Zuschüsse zu Vorruhestandsleistungen. Diese Zuschüsse werden wie die Vorruhestandsleistungen nicht einmalig, sondern wiederkehrend gewährt. Da die Klägerin die Zuschüsse ab 1. April 1987 verlangt und eine zeitliche Begrenzung der geltend gemachten Ansprüche nicht erfolgt ist, stehen Zuschüsse für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (drei Monaten) im Streit.

Die Klägerin hat auch die richtige Klage erhoben. Zwar hat sie sowohl vor dem SG als auch vor dem LSG den Antrag gestellt, die Beklagte unter Aufhebung des angegriffenen Bescheides zu verurteilen, die Voraussetzungen nach dem VRG für den Arbeitnehmer L. F. anzuerkennen. Ungeachtet des Wortlauts dieser Anträge, der für sich gesehen auf eine verbundene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) hindeuten könnte, ist hier jedoch von der Erhebung einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG) auszugehen. Denn gemäß § 123 SGG ist nicht die Fassung der Anträge, sondern der erhobene Anspruch maßgebend (BSG SozR 3-7825 § 14 Nr 1; BSG vom 16. März 1992 – 11 RAr 33/91 – ≪unveröffentlicht≫ und vom 23. Juli 1992 – 7 RAr 14/91 – ≪zur Veröffentlichung vorgesehen≫). Unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin kann vorliegend aber kein Zweifel daran bestehen, daß sie von Anfang an die Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen von Vorruhestandsleistungen erstrebte, auch wenn die Beklagte – was im Vorruhestandsgesetz selbst keine Stütze findet – in ihren Bescheiden – ähnlich wie beim Kurzarbeitergeld und Mehrkostenzuschuß (vgl §§ 72, 81 AFG) – zwischen Anerkennungs- und Leistungsverfahren zu unterscheiden pflegt. Richtigerweise ist deshalb auch das LSG von Erhebung einer Anfechtungs- und Leistungsklage ausgegangen.

Ob der Klägerin in der Sache ein Anspruch auf die Zuschüsse zusteht, richtet sich nach den §§ 1 ff des Gesetzes zur Förderung von Vorruhestandsleistungen (VorruhestandsgesetzVRG) vom 13. April 1984 (BGBl I 601). Danach gewährt die Bundesanstalt für Arbeit Arbeitgebern Zuschüsse zu den Aufwendungen für Vorruhestandsleistungen an Arbeitnehmer, die – wie L. F. – das 58. Lebensjahr vollendet und ihre Erwerbstätigkeit beendet haben. Gemäß § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a VRG gehört zu den Anspruchsvoraussetzungen ua, daß der Arbeitgeber aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen beim ArbA arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer auf dem freigemachten oder auf einem infolge des Ausscheidens durch Umsetzung freigewordenen Arbeitsplatz beschäftigt. Das LSG hat unangegriffen festgestellt, daß dieses Merkmal hier erfüllt ist (§ 163 SGG).

Darüber hinaus hat das LSG das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 2 VRG bejaht. Danach setzt der Anspruch auf den Zuschuß voraus, daß der ausgeschiedene Arbeitnehmer innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mindestens 1.080 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung iS des § 168 AFG gestanden hat. Ob diese Voraussetzungen (auch) in den letzten Jahren der Geschäftsführertätigkeit des L. F. verwirklicht waren, läßt sich nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht beurteilen. Das aber ist für die Frage, ob er in den letzten fünf Jahren vor dem 1. März 1987 mindestens 1.080 Kalendertage beitragspflichtig beschäftigt war, erheblich.

In einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung iS des § 168 AFG stehen (von Ausnahmen abgesehen) solche Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (Arbeitnehmer). Die Beitragspflicht ist damit die Folge einer abhängigen Beschäftigung und richtet sich nach den Grundsätzen, die Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses in der Sozialversicherung entwickelt haben (vgl Begründung zu § 164 Abs 1 AFG – Entwurf, BT-Drucks V/2291 S 91; BSGE 49, 22, 25 = SozR 4100 § 168 Nr 10). Arbeitnehmer ist hiernach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung (BSGE 13, 196, 201 f = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; BSGE 20, 6, 8 = SozR Nr 41 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; BSGE 51, 164, 167 = SozR 2400 § 2 Nr 16). Zwar kann das Weisungsrecht erheblich eingeschränkt sein, wie das insbesondere bei Diensten höherer Art der Fall ist; vollständig entfallen darf es jedoch nicht. Es muß eine fremdbestimmte Leistung verbleiben, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes aufgehen (BSGE 16, 289, 293 f = SozR Nr 30 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1). Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden oder wird von ihm tatsächlich keinerlei Gebrauch gemacht, kann der Betreffende seine Tätigkeit mithin im wesentlichen frei gestalten, insbesondere über die eigene Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen, oder fügt er sich nur in die von ihm selbst gegebene Ordnung des Betriebes ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbständige Tätigkeit vor, die zusätzlich durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet zu sein pflegt (BSGE 13, 196, 201 f = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; BSG SozR Nr 68 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; Urteile des Senats vom 6. Februar 1992 – 7 RAr 134/90 – und vom 24. September 1992 – 7 RAr 12/92 – ≪zur Veröffentlichung vorgesehen≫).

Nach diesen Grundsätzen richtet sich auch, ob der Geschäftsführer einer GmbH abhängig und deshalb beitragspflichtig beschäftigt ist oder nicht (vgl BSG SozR 4100 § 168 Nr 16). Er ist weder wegen seiner Organstellung (BSGE 13, 196, 200 = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF) noch deshalb von einer abhängigen Beschäftigung ausgeschlossen, weil er gegenüber Arbeitnehmern der GmbH Arbeitgeberfunktionen ausübt. Denn auch wer Arbeitgeberfunktionen ausübt, kann seinerseits bei einem Dritten persönlich abhängig beschäftigt sein. Maßgebend bleibt die Bindung des Geschäftsführers an das willensbindende Organ, in der Regel die Gesamtheit der Gesellschafter. Diese Bindung kann nach dem Recht der GmbH in unterschiedlichster Weise geregelt werden. Neben weisungsfreien Geschäftsführern gibt es daher Geschäftsführer, die durchgehend weisungsgebunden sind; in den letztgenannten Fällen führen die Gesellschafter mit Hilfe des Weisungsrechts die Geschäfte der GmbH im wesentlichen selbst (Urteile des Senats vom 6. Februar und 24. September 1992, aaO).

Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis liegt hiernach allerdings nicht vor, wenn der Geschäftsführer an der Gesellschaft derart beteiligt ist, daß er mit Hilfe seiner Gesellschafterrechte die für das Beschäftigungsverhältnis typische Abhängigkeit vermeiden kann. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zur GmbH hat das Bundessozialgericht (BSG) daher verneint, wenn der Geschäftsführer über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft verfügt (BSGE 23, 83, 84 f = SozR Nr 41 zu § 537a RVO, BSG SozR Nr 30 zu § 539 RVO; BSG Beiträge 1975, 60 = Rentenversicherung 1975, 151; BSGE 42, 1, 2 = SozR 2200 § 723 Nr 1; BSG USK 82166). Ebenso ist entschieden worden, wenn der Geschäftsführer über eine Sperrminorität verfügte, um ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschaft zu verhindern (BSG SozR 3-4100 § 168 Nr 5; vgl BSGE 42, 1, 2 = SozR 2200 § 723 Nr 1). Aber auch dort, wo die Kapitalbeteiligung des Geschäftsführers hierfür nicht ausreicht, kann ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu verneinen sein, wenn der Geschäftsführer hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort seiner Tätigkeit im wesentlichen weisungsfrei ist und, wirtschaftlich gesehen, seine Tätigkeit nicht für ein fremdes, sondern für ein eigenes Unternehmen ausübt (vgl BSGE 13, 196 = SozR Nr 5 zu § 1 AFG aF; BSG SozR Nr 68 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53 = SozR 4600 § 56 Nr 1).

Vorliegend war L. F. weder aufgrund entsprechender Kapitalbeteiligung noch aufgrund einer sog Sperrminorität in der Lage, ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafter zu verhindern. Denn er verfügte mangels Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft nicht über ein Stimmrecht (§ 7 des Gesellschaftsvertrages). Ausschlaggebend ist somit, ob er dennoch hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort seiner Tätigkeit im wesentlichen weisungsfrei war und, wirtschaftlich gesehen, seine Tätigkeit nicht für ein fremdes, sondern für ein eigenes Unternehmen ausübte.

Das LSG hat dies im wesentlichen mit der Begründung verneint, L. F. habe seine Tätigkeit als Geschäftsführer, auch wenn er nach dem Anstellungsvertrag die (gesamte) Leitung des Betriebes innegehabt habe, in tatsächlicher Hinsicht nicht weisungsfrei und persönlich unabhängig ausüben können. Dahinstehen kann, ob die von der Beklagten erhobenen Rügen der Überschreitung der Grenzen der Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) und der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 103 Satz 1 SGG) durchgreifen. Denn die Schlußfolgerung des LSG, L. F. habe während der Dauer seiner Geschäftsführertätigkeit in persönlicher Abhängigkeit gestanden, ist durch die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht gedeckt.

Das LSG begründet die von ihm angenommene Weisungsgebundenheit damit, L. F. habe sich hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort den betrieblichen Belangen der Klägerin unterordnen müssen. So habe er täglich bei Arbeitsbeginn zwecks Arbeitseinteilung auf dem Betriebsgelände anwesend sein und anschließend die Durchführung der Arbeiten auf den einzelnen Baustellen überwachen müssen. Aufgrund der Beteiligungsverhältnisse an der Gesellschaft habe er keine Möglichkeit gehabt, die wesentlichen Geschäftsentscheidungen zu beeinflussen und sich bestimmten Weisungen zu widersetzen. Fachliche Überlegenheit allein lasse nicht den Schluß auf Weisungsfreiheit zu. Das könne allenfalls dann gelten, wenn die Gesellschaft tatsächlich keinerlei Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft genommen und dem Geschäftsführer völlig freie Hand gelassen hätte. Indes habe K. F. seit 1978 in der Firmenleitung mitgearbeitet und insbesondere die kaufmännische Seite betreut. Von daher sei sie mit dem Geschäftsablauf ständig vertraut und in der Lage gewesen, auf die Geschäftsführung, soweit erforderlich, Einfluß zu nehmen. Schließlich habe L. F. mangels kapitalmäßiger Beteiligung kein Unternehmerrisiko getragen.

Diese Tatsachenfeststellungen sind nicht ausreichend, um die Schlußfolgerung der Weisungsgebundenheit des L. F. zu rechtfertigen. Sie ergeben zwar, daß die Möglichkeit bestanden hat, seitens der Gesellschafter – insbesondere der mitarbeitenden K. F. – auf die Geschäftsführung Einfluß auszuüben, nicht jedoch, ob von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht worden ist, eine Frage, auf die das LSG aber selbst zutreffend als wesentlich für die Beurteilung abgestellt hat. In Sonderheit hat das LSG nicht festgestellt, daß überhaupt Gesellschafterbeschlüsse mit Weisungscharakter gegenüber L. F. ergangen sind. Ebensowenig hat es festgestellt, daß K. F. in irgendeiner Weise auf die Geschäftsführertätigkeit des L. F. Einfluß genommen hat. K. F. mag hierzu – auch nach Aufgabe ihrer eigenen Geschäftsführertätigkeit – aufgrund ihrer Gesellschafterstellung in der Lage gewesen sein, obschon nach dem Gesellschaftsvertrag jeder Gesellschafter (unabhängig von der Höhe seiner Anteile) nur eine Stimme hatte (§ 7). Daß sie von einer etwaigen Weisungsbefugnis tatsächlich Gebrauch gemacht hat, läßt sich den Tatsachenfeststellungen des LSG jedoch nicht entnehmen. Damit fehlen aber bedeutsame Tatsachenfeststellungen zur Frage der persönlichen Abhängigkeit des L. F.. Deshalb muß das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 SGG).

Das LSG, das auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden hat, wird im Rahmen seiner Entscheidung zu beachten haben, daß der Anspruch auf Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen für Vorruhestandsleistungen nicht nur von den in § 2 Abs 1 Nrn 2 und 5 Buchst a VRG genannten Voraussetzungen abhängt. Die Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) gebietet, daß sämtliche Anspruchsvoraussetzungen von Amts wegen geprüft werden (zB die in § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a VRG verankerte Pflicht zur Zahlung von Vorruhestandsgeld in bestimmtem Umfang). Darauf, daß das Fehlen einer beitragspflichtigen Beschäftigung nicht durch förmlichen Verwaltungsakt der Einzugsstelle ersetzt werden kann, hat der Senat bereits in anderem Zusammenhang hingewiesen (BSG vom 6. Februar 1992, aaO).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI936382

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