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BFH Beschluss vom 31.10.1996 - VIII B 11/96 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung; Divergenz; Zustellung gegen Empfangsbekenntnis

 

Leitsatz (NV)

1. Eine möglicherweise unzutreffende Anwendung von in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärten Rechtsgrundsätzen auf den konkreten Fall verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, insbesondere dann nicht, wenn die angefochtene Entscheidung von der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse abhängt.

2. In der Rechtsprechung ist geklärt, daß für die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nicht der bloße Eingang des Schriftstücks im Büro des Prozeßbevollmächtigten ausreicht, sondern die Kenntnisnahme des Adressaten von der Zustellung, allerdings nicht vom sachlichen Inhalt, und die Bekundung der Bereitschaft zur Entgegennahme des Schriftstückes erforderlich ist.

3. Das ausgefüllte Empfangsbekenntnis dient dem Nachweis des Datums, an dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstückes Kenntnis erlangt hat und bereit gewesen ist, dieses entgegenzunehmen und zu behalten.

4. Das von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich den vollen Beweis hinsichtlich des Zeitpunkts der Zustellung. Der Gegenbeweis zur Unrichtigkeit des Datums unterliegt im finanzgerichtlichen Verfahren keinen geringeren Anforderungen. Er ist nicht schon dann erbracht, wenn nur die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, vielmehr muß die Beweiswirkung in dem Sinne vollständig entkräftet sein, daß jede Möglichkeit der Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses ausgeschlossen ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 366; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3; VwZG § 5 Abs. 2; ZPO § 418 Abs. 1-2

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und war deshalb zu verwerfen. Sie behauptet lediglich eine grundsätzliche Bedeutung bezüglich mehrerer Rechtsfragen bzw. eine Divergenz, legt sie indessen nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen hinreichend substantiiert dar (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 31. August 1995 VIII B 21/93, BFHE 178, 379, BStBl II 1995, 890, 892, und vom 6. August 1986 II B 53/86, BFHE 147, 219, BStBl II 1986, 858, 859, ständige Rechtsprechung). Eine durch den BFH geklärte Rechtsfrage ist regelmäßig nicht mehr klärungsbedürftig und kann somit keine grundsätzliche Bedeutung mehr haben. Ausnahmsweise kann eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gleichwohl bejaht werden, wenn gewichtige neue rechtliche Gesichtspunkte in der Rechtsprechung oder im Schrifttum vorgetragen worden sind, die der BFH noch nicht geprüft hat. In diesem Falle ist in der Beschwerdebegründung jedoch schlüssig darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser (schon entschiedenen) Rechtsfrage umstritten und inwiefern sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden ist. Hierzu ist es erforderlich, daß die Beschwerde, ausgehend von der BFH-Entscheidung, im einzelnen darlegt, welche neuen gewichtigen rechtlichen Gesichtspunkte zu der aufgezeigten Rechtsfrage in welcher Entscheidung der Finanzgerichte und/oder der Literatur vorgetragen werden, die der BFH bisher noch nicht geprüft hat (vgl. BFH-Beschluß vom 24. Februar 1995 VIII B 56/94, BFH/NV 1995, 973, 974, m. w. N., ständige Rechtsprechung).

Mangels Klärungsbedürftigkeit fehlt dementsprechend eine grundsätzliche Bedeutung, wenn auf einen Sachverhalt in der Rechtsprechung geklärte Rechtsgrundsätze angewendet werden können (BFH-Beschluß vom 10. August 1993 VII B 245/92, BFH/NV 1994, 650, 651). Eine möglicherweise unzutreffende Rechtsanwendung im konkreten Fall vermag hingegen nicht die Zulassung der Revision aus dem Gesichtspunkt grundsätzlicher Bedeutung zu rechtfertigen (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Oktober 1992 III B 16/92, BFH/NV 1993, 546, ständige Rechtsprechung). Insbesondere ist eine Sache dann nicht von grundsätzlicher Bedeutung, wenn die Entscheidung des Streitfalls von der Würdigung der tatsäch lichen Verhältnisse abhängt, es sich im Ergebnis also nicht um eine revisible Rechtsfrage handelt (vgl. BFH-Beschluß vom 2. März 1982 VII B 148/81, BFHE 135, 169, BStBl II 1982, 327, 328; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 7. Oktober 1993 4 B 166/93, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1994, 535, 536).

b) Zu sämtlichen, von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen liegt eine gefestigte Rechtsprechung des BFH vor, die erklärtermaßen mit der Rechtsprechung der anderen obersten Bundesgerichte übereinstimmt. Das Finanzgericht (FG) ist von dieser ausführlich dargelegten und zitierten Rechtsprechung in der angefochtenen Entscheidung auch ausgegangen.

aa) Für die Zustellung der Einspruchsentscheidung an einen Prozeßbevollmächtigten durch eine Finanzbehörde (§ 366 der Abgabenordnung; § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes -- VwZG --) gegen Empfangsbekenntnis ist entscheidend, daß hierfür nicht der bloße Eingang des Schriftstückes in dem Büro des Prozeßvertreters genügt, sondern die Kenntnisnahme des Adressaten von der Zustellung -- freilich nicht dem sachlichen Inhalt -- und die Bekundung der Bereitschaft erforderlich ist, die Zustellung entgegenzunehmen. Die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt damit nicht. Sie ist auch nicht geeignet, das Zustellungsdatum im Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Adressaten unrichtig zu machen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. Juni 1971 I B 12/71, BFHE 102, 457, BStBl II 1971, 723, 724, m. w. N.; vom 20. August 1982 VIII R 58/82, BFHE 136, 348, BStBl II 1983, 63, und vom 9. April 1987 V B 111/86, BFHE 149, 146, BStBl II 1987, 441, 442; Zwischenurteil vom 20. Januar 1989 III R 91/85, BFH/NV 1989, 646, 647 -- dort auch zur Frage der Ermächtigung zur Entgegennahme durch Büroangestellte --; Urteil vom 11. Dezember 1987 III R 168/86, BFH/NV 1988, 451, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung der anderen obersten Bundesgerichte). In gleicher Weise hat der BFH im Urteil vom 6. März 1990 II R 131/87 (BFHE 159, 425, BStBl II 1990, 477, 478) ausgeführt, das ausgefüllte Empfangsbekenntnis diene dem Nachweis des Zeitpunkts, an dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstückes Kenntnis erlangt habe und bereit gewesen sei, dieses entgegenzunehmen und zu behalten. Die in dieser Entscheidung zuvor aufgeworfene Frage, ob die Zustellung nach § 5 Abs. 2 VwZG von der Bereitschaft des Adressaten abhänge, brauchte der BFH in jenem Fall nicht zu beantworten, weil sich die Adressaten mit der Zustellung einverstanden erklärt hatten. Der BFH hat in dieser Entscheidung -- wie ausgeführt -- im folgenden jedoch in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung auch der anderen obersten Bundesgerichte die Voraussetzung der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis definiert. Mit dieser Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs stimmt die der anderen obersten Bundesgerichte überein (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts -- BSG -- vom 23. März 1966 9 RV 334/63, NJW 1966, 1382; Beschlüsse des BVerwG vom 25. Januar 1995 6 P 19.93; BVerwGE 97, 316, 317, mit umfangreichen Nachweisen, und vom 12. Oktober 1984 1 B 57/84, Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Verwaltungszustellungsgesetz, § 5, Rechtsspruch 29 a; Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 3. Mai 1994 VI ZR 248/93, NJW 1994, 2297; BGH-Beschluß vom 13. Oktober 1977 VII ZB 9/77, Versicherungsrecht 1977, 1130).

bb) Die weitere Frage, ob die bloße Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstükes durch Bedienstete dem Adressaten zuzurechnen sei, hat die unter aa) dargestellte Rechtsprechung ebenfalls eindeutig geklärt (vgl. dazu insbesondere BFH-Zwischenurteil in BFH/NV 1989, 646, 647, m. w. N.; BGH-Beschluß vom 25. September 1991 XII ZB 98/91, NJW-Rechtsprechungs-Report 1992, 251, 252).

cc) An dem Merkmal der Empfangsbereitschaft des Adressaten wird durch die unter aa) dargestellte Rechtsprechung ebenfalls unmißverständlich festgehalten.

dd) Schließlich hat der BFH in ständiger Rechtsprechung erkannt, daß das von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Empfangsbekenntnis grundsätzlich den vollen Beweis hinsichtlich des Datums der Zustellung erbringt (vgl. § 418 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --), jedoch der Beweis der Unrichtigkeit des Datums zulässig ist (vgl. § 418 Abs. 2 ZPO; BFH-Zwischenurteil in BFH/NV 1989, 646, 647). Bereits in dem in Bezug genommenen Beschluß des BFH in BFHE 102, 457, BStBl II 1971, 723, 724 wird durch den Hinweis auf die zitierte Rechtsprechung des BSG und des BGH zugleich deutlich gemacht, daß insoweit an den Nachweis nach § 418 Abs. 2 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren keine geringeren Anforderungen gestellt werden. Im Urteil in BFH/NV 1988, 451, 452 hat der BFH diese Rechtsprechung unter erneuter Bezugnahme auf die nachgewiesene Rechtsprechung des BGH und BVerwG bekräftigt (vgl. z. B. Beschluß des BVerwG vom 15. Juli 1985 3 B 18/85; StRK, Verwaltungszustellungsgesetz, § 5, Rechtsspruch 31; BVerwGE 97, 316, 317, m. w. N.; BGH-Beschlüsse vom 13. Juni 1996 VII ZB 12/96 (KG), NJW 1996, 2514, 2515; vom 18. September 1990 XI ZB 8/90, NJW 1991, 42; BGH-Urteil vom 7. Juni 1990 III ZR 216/89, NJW 1990, 2125, mit umfangreichen Nachweisen).

Nach dieser übereinstimmenden Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte ist der Gegenbeweis als Hauptbeweis nicht schon dann erbracht, wenn nur die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Datierung in dem Empfangsbekenntnis also nur erschüttert ist. Vielmehr muß die Beweiswirkung nach § 418 Abs. 1 ZPO vollständig in dem Sinne entkräftet sein, daß jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen wird. Jedoch läßt sich nicht allgemeingültig bestimmen, unter welchen näheren Voraussetzungen ein Gericht von der Unrichtigkeit überzeugt zu sein hat. Dies ist vielmehr grundsätzlich Inhalt der jeweiligen tatrichterlichen Überzeugung (vgl. auch BVerwG- Beschluß in NJW 1994, 535, 536).

2. Der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet. Für die Bezeichnung der Abweichung nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt es nicht, die Entscheidung, von der das FG abgewichen sein soll, mit Datum und Aktenzeichen bzw. der Fundstelle zu benennen. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) muß vielmehr darüber hinaus dartun, daß das FG mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des BFH aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. In der Beschwerdeschrift müssen die divergierenden Rechtssätze im Urteil des FG und in der Entscheidung des BFH einander so gegenübergestellt werden, daß die Abweichung erkennbar wird (BFH- Beschluß in BFHE 178, 379, BStBl II 1995, 890, 891, m. w. N.).

Bereits an dieser erforderlichen Gegenüberstellung zweier voneinander abweichender abstrakter Rechtssätze fehlt es hier. Mit der Behauptung, das FG habe sich dem durch BFH/NV 1988, 451 verlangten vollen Gegenbeweis bezüglich der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses dadurch entzogen, daß es einen bloßen anderen, wenn auch denkmöglichen Verlauf zur Entkräftung habe ausreichen lassen, wird gerade noch nicht dargetan, das FG habe insoweit einen anderen generellen Rechtssatz zugrunde gelegt. Überdies hat das FG in der angefochtenen Entscheidung neben weiteren Entscheidungen gerade die angebliche Divergenzentscheidung seinem Urteil zugrunde gelegt. Würde es im konkreten Fall indessen keine ausreichend strengen Anforderungen an den Gegenbeweis gestellt haben, so könnte es sich allenfalls um eine die dargestellten Rechtsgrundsätze verfehlende Entscheidung handeln. Eine unzutreffende Anwendung der vom BFH entwickelten Rechtsgrundsätze auf den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt begründet indessen noch keine Divergenz (BFH-Beschluß in BFHE 178, 379, BStBl II 1995, 890, 891, m. w. N.).

Von einer weiteren Begründung sieht der erkennende Senat nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421882

BFH/NV 1997, 459

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