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BFH Beschluss vom 16.01.1984 - GrS 5/82

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Leitsatz (amtlich)

Die Beschwerde eines Zeugen, mit der dieser sich gegen die Verhängung von Ordnungsmitteln durch das FG wendet, unterliegt dem Vertretungszwang.

Normenkette

BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; FGO § 82; ZPO § 380

Verfahrensgang

FG Münster ()

Tatbestand

I.

1. Der V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat den Großen Senat mit Beschluß vom 7. Oktober 1982 V B 9/82, V B 10/82, V B 12/82 (BFHE 136, 356, BStBl II 1982, 732) gemäß § 11 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Entscheidung folgender Rechtsfrage angerufen:

Gilt der Vertretungszwang nach Art. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861) i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 4. August 1980 (BGBl I 1980, 1147) auch für die Beschwerde eines Zeugen, mit der dieser sich gegen die Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 82 FGO, § 380 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) durch das Finanzgericht (FG) wendet?

2. In den drei beim V. Senat anhängigen Beschwerdeverfahren wenden sich die Beschwerdeführer gegen Beschlüsse des FG, durch welche gegen sie als Zeugen wegen unentschuldigten Fernbleibens von einem Beweistermin Ordnungsmittel nach § 380 Abs. 1 ZPO (Ordnungsgeld, hilfsweise Ordnungshaft und Auferlegung der Kosten) verhängt worden waren. Sie sind in den Beschwerdeverfahren nicht durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten. Die Beschwerden haben sie persönlich eingelegt. Das FG hat den Beschwerden nicht abgeholfen.

3. Der V. Senat beabsichtigt, in eine sachliche Prüfung der Beschwerden einzutreten. Er sieht sich hieran gehindert durch den - nicht veröffentlichten - Beschluß des II. Senats vom 5. März 1980 II B 6/80, in welchem die Beschwerde eines nichtvertretenen Zeugen im Hinblick auf Art. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 BFH-EntlG als unzulässig verworfen worden ist. Der II. Senat hat auf Anfrage erklärt, daß er der beabsichtigten Abweichung nicht zustimme.

Entscheidungsgründe

II.

Entscheidung zu den Verfahrensfragen

1. Der Große Senat entscheidet in seiner Besetzung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 FGO (Stammbesetzung) darüber, welche Senate berechtigt sind, nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO einen Richter zu den Sitzungen des Großen Senats zu entsenden (zuletzt BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217, unter B.I). Beteiligte Senate im Sinne dieser Vorschrift sind nur der II. und der V. Senat. Ein Entsendungsrecht eines anderen Senats besteht nicht. Die streitige Rechtsfrage ist bisher nur vom II. Senat entschieden worden.

2. Der Große Senat entscheidet in seiner erweiterten Besetzung über die Zulässigkeit der vorliegenden Anrufung (Beschlüsse in BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217, unter B.II; vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272, unter B.II). Er bejaht die Zulässigkeit. Die vorgelegte Rechtsfrage ist für die Entscheidung des V. Senats in den drei Ausgangsverfahren rechtserheblich. Bei Bejahung des Vertretungszwangs sind die Beschwerden unzulässig, andernfalls sind sie zulässig und kann über sie zur Sache entschieden werden.

3. Der Große Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung gemäß Art. 1 Nr. 2 BFH-EntlG.

III.

Entscheidung über die vorgelegte Rechtsfrage

1. Die maßgebenden Vorschriften des Art. 1 BFH-EntlG haben folgenden Wortlaut:

"Bis zum 31. Dezember 1984 gelten für Beschwerden und Revisionen nach der Finanzgerichtsordnung sowie für Verfahren im ersten Rechtszug vor dem Bundesfinanzhof die folgenden besonderen Vorschriften:

1. Vor dem Bundesfinanzhof muß sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Revision sowie der Beschwerde... ."

Der Zweck der Regelung des Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlG besteht darin, die Überlastung des BFH insoweit zu beseitigen, als sie darauf zurückzuführen ist, daß die "Beteiligten" nach ihrer Vorbildung häufig nicht in der Lage sind, die Aussichten eines Rechtsbehelfs - Revision, Beschwerde, Klage - selbst richtig einzuschätzen und das Verfahren vor dem BFH sachgerecht zu führen (vgl. BT-Drucks. 7/3654 S. 4, Spalte 1; dazu Urteil vom 17. September 1976 VI K 1/76, BFHE 122, 1, BStBl II 1977, 501; Beschluß vom 29. April 1977 VI K 1/76, BFHE 122, 26 BStBl II 1977, 502). Die Vertretungsregelung nach dem BFH-EntlG bezweckt deshalb, den Zugang zum BFH durch den Vertretungszwang einzuschränken (vgl. Beschlüsse vom 17. Februar 1981 VII R 14/80, BFHE 132, 400, BStBl II 1981, 395; vom 17. September 1982 VI R 62/82, BFHE 136, 448, BStBl II 1983, 25).

2. Der in Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlG verwendete Ausdruck "jeder Beteiligte" bedarf der Auslegung.

a) Die Vorschrift nimmt nicht Bezug auf die Regelung des Kreises der Beteiligten in § 57 FGO, welche den Kläger, den Beklagten, den Beigeladenen und die Behörde, die dem Verfahren beigetreten ist (§§ 61, 122 Abs. 2 FGO), aufführt. Allerdings gilt diese Regelung nur für das Klageverfahren und das Revisionsverfahren (§ 122 Abs. 1 FGO). Für das Beschwerdeverfahren fehlt eine dem § 57 FGO entsprechende Vorschrift. Das Beschwerdeverfahren ist unvollständig geregelt. § 57 FGO ist deshalb im Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, Anm. 1 C zu § 132; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., Anm. zu § 132 FGO; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Anm. 1 zu § 132 FGO). Hieraus bereits kann geschlossen werden, daß der Rechtsmittelführer des Beschwerdeverfahrens ebenso wie der Kläger im Klageverfahren "Beteiligter" ist. Rechtsbehelfsführer sind auch im Verwaltungsverfahren "Beteiligte" (vgl. § 359 der Abgabenordnung).

Ein Zeuge rechnet zwar nicht zu dem in § 57 FGO genannten Personenkreis. Seine Befugnis, gegen die Auferlegung von Ordnungsmitteln Beschwerde einzulegen (§ 82 FGO i. V. m. § 380 ZPO), beruht nicht auf seiner Beteiligteneigenschaft im vorangegangenen Verfahren, sondern darauf, daß er zu den "sonst von der Entscheidung Betroffenen" gehört (§ 128 Abs. 1 FGO). Aber seine Einordnung als Beschwerdeführer unter den Begriff "Beteiligter" erweist sich schon im Hinblick auf die Eigenart solcher Beschwerdeverfahren als notwendig. Die Zeugenbeschwerde eröffnet ein Zwischenverfahren eigener Art, in welchem der Zeuge die Rechtsstellung eines Verfahrensbeteiligten haben muß. Er hat Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., S. 462); er kann die Beschwerde zurücknehmen; ihn treffen die Kosten der erfolglosen Beschwerde (vgl. § 135 FGO).

b) Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlG nimmt nicht auf die Regelung des engeren Beteiligtenbegriffes in § 57 FGO Bezug. So legt beispielsweise auch Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG einen anderen Beteiligtenbegriff zugrunde. Gleichlautende Ausdrücke können in verschiedenem Zusammenhang unterschiedliche Bedeutung haben. Jede Vorschrift ist zunächst aus sich heraus auszulegen. Dabei ist von ihrem Wortsinne auszugehen. Dieser bestimmt sich wiederum aus dem Zusammenhang, in dem die Vorschrift steht. Deshalb ist für die Auslegung des Beteiligtenbegriffes in Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlG bedeutsam, daß die einleitenden Worte des Art. 1 "Beschwerden" ohne Einschränkung nennen. Der Ausdruck "jeder Beteiligte" - wobei der Nachdruck auf "jeder" liegt - kann daher im weitesten Sinne verstanden werden. Der Wortlaut der Vorschrift läßt somit auch im Hinblick auf den sonst im Verfahrensrecht üblichen Sprachgebrauch (oben a) die Auslegung zu, daß jeder Beschwerdeführer ein Beteiligter im Sinne der Entlastungsvorschrift ist.

3. Nach dem oben (1.) bezeichneten Sinn und Zweck des Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlG ist dieser weitgefaßte Begriff des Beteiligten als der maßgebende anzusehen.

a) Dies entspricht vor allem der ständigen Rechtsprechung des BFH, nach welcher der Vertretungszwang grundsätzlich für alle Verfahren vor dem BFH besteht (vgl. Beschlüsse vom 24. Mai 1976 VIII S 3/76, BFHE 118, 552, BStBl II 1976, 504; sowie in BFHE 122, 26, BStBl II 1977, 502; Urteil in BFHE 122, 1, BStBl II 1977, 501). Ausnahmen von dem Vertretungszwang wurden in solchen Fällen zugelassen, in denen es weiterer Prozeßhandlungen eines Beteiligten nicht bedarf, so für den Fall der Mandatsniederlegung bei Entscheidungsreife der Revision (BFH-Urteil vom 24. Oktober 1978 VII R 17/77, BFHE 126, 506, BStBl II 1979, 265); für den Antrag auf Verweisung an das zuständige FG (BFH-Beschluß vom 13. März 1979 VII K 2/79, BFHE 127, 309, BStBl II 1979, 431); für die Rücknahme der Revision, zumal wenn diese unzulässig eingelegt wurde (BFH-Beschluß vom 14. Juli 1976 VIII R 52/76, BFHE 119, 233, BStBl II 1976, 630); für die Erklärung der Erledigung der Hauptsache (BFH-Beschluß vom 17. Juli 1979 VII B 20/77, BFHE 128, 327, BStBl II 1979, 707); ferner in Fällen, in denen eine Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden kann, so für den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe/Armenrecht (BFH-Beschluß vom 25. März 1976 V S 2/76, BFHE 118, 300, BStBl II 1976, 386); für den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts (BFH-Beschluß vom 18. November 1977 III S 6/77, BFHE 123, 433, BStBl II 1978, 57); dagegen nicht für die Beschwerde gegen die Ablehnung des Armenrechtsgesuches (BFH-Beschluß vom 28. November 1975 VI B 130-132/75, BFHE 117, 223, BStBl II 1976, 62), weil insoweit Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlG vorgeht.

b) Es besteht kein Grund, den Vertretungszwang des Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlG entgegen dem Wortsinn der Vorschrift dadurch einzuschränken, daß der Beteiligtenbegriff des § 57 FGO zugrunde gelegt wird.

aa) Die eigene Postulationsfähigkeit des Zeugen im Beschwerdeverfahren nach der FGO kann nicht mit dem Hinweis auf die zivilprozeßrechtliche Regelung begründet werden. Zwar unterliegen dort Beschwerden der Zeugen gegen die Auferlegung von Ordnungsmitteln nicht dem Anwaltszwang (§ 78 Abs. 2, § 381 Abs. 2, § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Aber diese Vorschriften gelten nur für die Beschwerden innerhalb der Instanzgerichte. Gegen die Auferlegung von Ordnungsmitteln durch das Oberlandesgericht (OLG) findet keine Beschwerde statt (§ 567 Abs. 3 ZPO; vgl. auch § 304 der Strafprozeßordnung - StPO -). In gleicher Weise ist gegen Beschlüsse der oberen Landesgerichte in den anderen Zweigen der Rechtspflege - Landesarbeitsgerichte, Landessozialgerichte, Oberverwaltungsgerichte - keine Beschwerde zu dem im Instanzenzug übergeordneten obersten Gerichtshof des Bundes gegeben, und zwar auch dann nicht, wenn es sich bei dem Verfahren vor dem betreffenden oberen Landesgericht um ein erstinstanzliches handelt (§ 152 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, § 177 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

bb) Schließlich ist eine Ausnahme von dem Vertretungszwang deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Zeuge auch ohne Einlegung der Beschwerde zu seinem Ziel gelangen kann, indem er gegen die Auferlegung von Ordnungsmitteln den formlosen Rechtsbehelf der nachträglichen Entschuldigung vor dem Prozeßgericht ergreift (§ 82 FGO, § 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Es ist daher sachgerecht, in den Fällen, in denen der Zeuge statt von dem formlosen Rechtsbehelf von der förmlichen Beschwerde zum BFH Gebrauch macht, den Vertretungszwang zu bejahen.

IV.

Der Große Senat entscheidet nach alledem die vorgelegte Rechtsfrage wie folgt:

Der Vertretungszwang nach Art. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 BFH-EntlG gilt auch für die Beschwerde eines Zeugen, mit der dieser sich gegen die Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 82 FGO, § 380 Abs. 1 ZPO durch das FG wendet.

Fundstellen

  • Haufe-Index 74791
  • BStBl II 1984, 439
  • BFHE 140, 408

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