Im zweiten Beispiel beschreibt TRUMPF anhand eines konkreten Krisenprojekts die Ausgangslage, die einzelnen Überlegungen und legen die Entscheidungen dar. Weiterhin werden die einzelnen Ziele – je nach Krisenphase – skizziert. Letztlich werden hilfreiche Hinweise zur aktuellen Corona-Pandemie gegeben.

6.2.1 Hintergrund und Unternehmen

Die TRUMPF Gruppe zählt mit einem Umsatz von ca. 3,5 Mrd. EUR (Geschäftsjahr 2019/20) und rund 14.000 Mitarbeitern zu den weltweit führenden Unternehmen in der Fertigungs- und Lasertechnik. Unter dem Dach einer Holding (TRUMPF GmbH & Co. KG) sind mehrere Geschäftsbereiche – u. a. Werkzeugmaschinen (MT) und Lasertechnik/Elektronik (LT) sowie Laser für die Halbleiterfertigung (EUV) – zusammengefasst. TRUMPF ist ein Familienunternehmen und gehört zu 100 % der Familie Leibinger, die auch drei Vorstandsmitglieder (CEO, CTO, CDO) stellt. TRUMPF bietet integrierte Lösungen von Hard- bis Software an, die unter anderem bei der Blechbearbeitung und beim Lasereinsatz in Produktionsprozessen eingesetzt werden. Mit ca. 70 Tochtergesellschaften und Niederlassungen ist das Unternehmen in fast allen europäischen Ländern, in Nord- und Südamerika sowie in Asien vertreten. Hauptsitz von TRUMPF ist Ditzingen, Baden-Württemberg.

6.2.2 Ausgangslage und Krisenvorbereitungsprojekt

Nach einer Periode von fast zehn Jahren anhaltenden Wachstums diskutierte die Geschäftsleitung bereits 2017, wie man potenzielle Krisen erkennen und sich darauf vorbereiten kann. Drei Krisen in der Firmenhistorie sind nachhaltig ins kollektive Gedächtnis der Firma eingegangen:

  1. Die Maschinenbau-Krise Anfang der 1990er Jahre, die den gesamten Maschinenbau in Deutschland betraf,
  2. das Platzen der Dot-Com-Blase um die Jahrtausendwende und
  3. die globale Finanzkrise 2008.

Alle Krisen stellten TRUMPF vor immense organisatorische Herausforderungen und führten zu gravierendem Profitabilitätsverlust und Cash-Abfluss. In Teilen konnte TRUMPF sich v. a. finanziell erst wieder in Phasen von hohem Umsatzwachstums davon erholen. Diese prägenden Erfahrungen veranlassten die Geschäftsleitung zur vorausschauenden Krisenvorbereitung. Unter der Annahme von Branchenzyklen und in Vorbereitung auf eine potenzielle Krise erhielt der Zentralbereich Finanzen unter Leitung von CFO Dr. Lars Grünert den Auftrag, sich systematisch auf Krisen vorzubereiten: das Projekt Koyer (= Deichbauer) war geboren.

Zweck des vorliegenden Kapitels ist ein Vergleich zwischen dem Krisenvorbereitungsprojekt Koyer sowie dem gleichnamigen, späteren Krisenmanagementprojekt bei TRUMPF, inklusive eines kurzen Exkurses zum Umgang mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Der Vergleich zwischen Theorie (Vorbereitungsprojekt) und Praxis (Krisenmanagementprojekt) bei TRUMPF dient als Case Study für die Frage, in welchen Aspekten eine dezidierte Krisenvorbereitung die Organisation für Krisenfälle vorbereiten kann.

6.2.3 Fragestellungen im Projekt Koyer

Das Projekt wurde durch Mitarbeiter aus dem Zentralbereich Finanzen und der Abteilung für Unternehmensstrategie konzipiert und durchgeführt. Zentrale Fragestellungen waren:

  • Steuerungslogik: Welche qualitativen und quantitativen Ziele hat das Unternehmen in einer Krise?
  • Governance: Welches Team führt uns durch eine Krise? Unterscheidet sich die Führungsstruktur in der Krise von der operativen Governance – wenn ja, weshalb?
  • Entscheidungen: Welche Entscheidungen erwarten wir von unseren Führungskräften in Krisen und welche nicht?
  • Maßnahmen: Welche Maßnahmen lassen sich ex-ante vorbereiten, v. a. um Geschwindigkeit in der Krise zu erlangen?
  • Tools: Wie kann TRUMPF Krisen möglichst früh antizipieren und wie lassen sich deren Auswirkung auf GuV, Cash und Bilanz simulieren?

6.2.4 Steuerungslogistik und Governance

Ziel des Arbeitspakets war die Definition von firmenspezifischen Krisenstadien sowie von Indikatoren, welche im jeweiligen Krisenstadium die Zielsystematik des Unternehmens darstellen sollten. Die erarbeiten Ergebnisse wurden mit der Geschäftsleitung intensiv diskutiert, v. a. im Hinblick auf die Abwägung zwischen Shareholder- und Stakeholder-Value-Orientierung. Im Ergebnis wurde eine Mischung aus quantitativen und qualitativen Indikatoren und Zielen für drei Krisentypen gewählt (s. Abb. 18). Die qualitativen Ziele bestimmen dabei den Management-Fokus. Aus den quantitativen Zielen leiten sich mögliche Krisenmaßnahmen ab, wobei mit zunehmender Schwere der Krise die Liquidität immer stärker in den Fokus rückt.

Abb. 18: Krisentypen bei TRUMPF (Werte sind beispielhaft)

TRUMPF unterscheidet zwischen Schwellen- und Zielwerten. Schwellenwerte dienen der Identifikation eines Krisenstadiums. So sieht sich TRUMPF in einer Ertragskrise, sobald bestimmte Werte in prognostiziertem EBIT und Wertbeitrag über ein Geschäftsjahr unterschritten werden. Wichtig ist hierbei nicht die Bewertung von IST-Zahlen, sondern von Prognosewerten. So dient eine kontinuierliche negative Entwicklung des Auftragseingangs (AE) als Anlass für eine GuV-Simulation (s. u.). Ziel dieser Methodik ist es, eine mögliche Krisensituation antizipieren zu können und diese nicht erst bei Eintritt zu erkennen. Zu jedem Krisenstadium existieren darüber...

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