Rz. 103

Der Gewerbebetrieb wird als wirtschaftliche und organisatorische Einheit veräußert, wenn sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang auf den Erwerber übertragen werden[1]. Entsprechend müssen bei der Aufgabe des ganzen Gewerbebetriebs die wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem Zug veräußert, entnommen oder anderweitig verwendet werden (Rz. 19).

Die Zurückbehaltung oder anderweitige Verwertung nur unwesentlicher Wirtschaftsgüter ist für die Anwendbarkeit des § 16 EStG unschädlich. Werden sie im Rahmen der Betriebsveräußerung oder -aufgabe mitveräußert bzw. entnommen, so gehört der Vorgang mit seinen Ertragsauswirkungen – vorbehaltlich der Verwertung im laufenden Geschäftsverkehr (Rz. 72) – zum Veräußerungs- oder Aufgabegewinn; bleiben sie Betriebsvermögen (so bei Teilbetriebsveräußerungen im Bereich des restlichen Betriebsvermögens), so führt die spätere Veräußerung bzw. Entnahme zum laufenden Gewinn.

 

Rz. 104

Der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage ist nicht nur für die Betriebsveräußerung und -aufgabe von Bedeutung, sondern auch bei der Betriebsaufspaltung und Betriebsverpachtung, bei der Einbringung eines Unternehmens gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten nach den §§ 20, 24 UmwStG[2] sowie bei der unentgeltlichen Übertragung eines Betriebs i. S. v. § 6 Abs. 3 EStG[3]; auch zur Abgrenzung einer Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a UStG findet der Begriff Anwendung. Eine allgemeingültige Definition der "wesentliche Betriebsgrundlage" für alle Bereiche gibt es nicht. In den einzelnen Anwendungsbereichen kommt die Rspr. zu unterschiedlichen Auslegungen (Rz. 103ff.).[4]

 

Rz. 104a

Zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen i. S. v. § 16 EStG gehören zum einen die Wirtschaftsgüter, die nach der Art des Betriebs und ihrer Funktion im Betrieb für diesen wesentlich sind, und zwar unabhängig von der Frage, ob sie stille Reserven enthalten oder nicht (funktionale Betrachtung). Wesentliche Betriebsgrundlagen eines Unternehmens i. S. v. § 16 EStG sind aber auch Wirtschaftsgüter, die funktional gesehen für den Betrieb zwar nicht erforderlich sind, in denen jedoch erhebliche stille Reserven gebunden sind (finanzielle Betrachtung). Die Einbeziehung der finanziellen Bedeutung der Wirtschaftsgüter für den Betrieb rechtfertigt sich aus dem Gesetzeszweck des § 16 EStG, die zusammengeballte Aufdeckung und Versteuerung der stillen Reserven zu erfassen und zu regeln[5]. Insgesamt ist für § 16 EStG der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage i. S. einer kombinierten funktional-quantitativen Betrachtungsweise zu verstehen[6].

Für die Abgrenzung ist auf die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des jeweiligen Betriebs abzustellen. Die Entscheidung, ob eine wesentliche Betriebsgrundlage vorliegt oder lediglich ein Wirtschaftsgut von unwesentlicher Bedeutung, beruht weitgehend auf Tatsachenfeststellungen[7]. Auch die Frage der Feststellungslast kann nicht einheitlich beantwortet werden. Da die Interessenlage bei der Frage, ob ein unter § 16 EStG fallender Vorgang festgestellt werden kann, durchaus unterschiedlich sein kann, kommt es auf die jeweilige Prozesssituation an: Wer sich auf die Qualifizierung eines Wirtschaftsguts als wesentliche Betriebsgrundlage beruft, trägt die Feststellungslast.

 

Rz. 105

Nach der funktional-quantitativen Betrachtung sind wesentliche Grundlagen eines Betriebs die Wirtschaftsgüter, die zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und/oder ein besonderes wirtschaftliches Gewicht für die Betriebsführung besitzen[8]. Danach gehören in erster Linie Wirtschaftsgüter dazu, die für den Betriebsablauf unerlässlich und nicht jederzeit ohne Betriebsunterbrechung ersetzbar sind, sodass ein möglicher Erwerber des Betriebs nur mit ihrer Hilfe den Betrieb in der bisherigen Form fortführen könnte[9]. Das ist grundsätzlich nach den sachlichen Erfordernissen des jeweiligen Betriebs zu beurteilen.

 

Rz. 106

Deshalb gehören in erster Linie die für den Betrieb unerlässlichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen, es sei denn, sie sind ohne Weiteres ersetzbar oder von geringem Wert[10]. Für den Betrieb unerlässlich sind regelmäßig betrieblich genutzte Grundstücke, Produktions- oder Dienstleistungseinrichtungen, aber auch immaterielle Wirtschaftsgüter, insbesondere Nutzungsrechte, Gestattungen oder (rechtlich geschützte oder ungeschützte) Fähigkeiten und Kenntnisse oder der Geschäftswert oder Teile davon wie Kundenbeziehungen, Lieferantenbeziehungen oder Vertriebsorganisationen[11], im freiberuflichen Bereich insbesondere der Mandantenstamm[12] sowie der Firmenname (§ 17 HGB), gewerbliche Schutzrechte, Warenzeichen oder Betriebszeichen.[13] Maschinen gehören nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen, wenn sie kurzfristig wiederbeschaffbar sind, es sei denn, die Entfernung des gesamten Maschinenparks lässt eine Produktion schlechterdings ausgeschlossen erscheinen.[14]

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