Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle eines notariellen Ehevertrages

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle eines notariellen Ehevertrags, der neben der Vereinbarung der Gütertrennung und des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs auch Regelungen über den nachehelichen Ehegattenunterhalt, die Übertragung eines Hausanteils auf den Ehemann und eine Ausgleichszahlung des Ehemannes an die Ehefrau enthält (Fortführung von BGH, Urt. v. 11.2.2004 - XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = BGHReport 2004, 516 = FamRZ 2004, 601; Beschl. v. 6.10.2004 - XII ZB 57/03, z.V.b.).

 

Normenkette

BGB §§ 138, 242, 1408 Abs. 2, §§ 1414, 1587o

 

Verfahrensgang

OLG München (Beschluss vom 15.06.1999; Aktenzeichen 4 UF 156/98)

AG Neu-Ulm

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 4. Zivilsenats - zugleich Familiensenat - des OLG München, Zivilsenate in Augsburg, v. 15.6.1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde, an das OLG zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 511 EUR

 

Gründe

I.

Die am 16.12.1977 geschlossene Ehe der Parteien, aus der zwei - am 22.5.1978 und am 1.7.1980 geborene - Kinder hervorgegangen sind, wurde auf den der Ehefrau (Antragsgegnerin, geboren am 31.5.1959) am 10.10.1997 zugestellten Antrag des Ehemannes (Antragsteller, geboren am 15.8.1957) durch Verbundurteil des AG - FamG - v. 30.4.1998 geschieden (insoweit rechtskräftig seit dem 11.8.1998). Die Parteien streiten über die Durchführung des Versorgungsausgleichs.

Mit Ehevertrag v. 24.11.1986 hatten die Parteien Gütertrennung vereinbart und den Versorgungsausgleich ausgeschlossen. Für den Fall der Scheidung erklärte sich der Ehemann bereit, der Ehefrau, solange sie keine eigenen Einkünfte habe, als Unterhalt "auf der heutigen Basis" einen monatlichen Betrag von 300 DM und, falls die Ehefrau halbtags arbeite, von 150 DM zu zahlen, soweit er hierzu unter Berücksichtigung seiner Aufwendungen für das gemeinsame Hausgrundstück und den Unterhalt der Kinder in der Lage sei. Die Ehefrau verpflichtete sich für den Fall der Scheidung, ihre Hälfte an dem gemeinsamen Hausgrundstück auf den Ehemann zu übertragen. Der Ehemann seinerseits verpflichtete sich, für den Fall der Scheidung und nach Übertragung des hälftigen Miteigentums an dem Hausgrundstück der Ehefrau in bestimmten Raten einen Betrag von insgesamt 50.000 DM "als freiwillige Entschädigung für die Tätigkeit im Haushalt und die Erziehung der Kinder" zu zahlen.

Das AG hat die von der Ehefrau beantragte Durchführung des Versorgungsausgleichs - unter Hinweis auf dessen ehevertraglichen Ausschluss - abgelehnt. Das OLG hat die Beschwerde der Ehefrau, mit der diese ihren Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs weiterverfolgt hat, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die - vom OLG zugelassene - weitere Beschwerde der Ehefrau.

II.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

1. Nach Auffassung des OLG ist der von den Parteien vereinbarte Ausschluss des Versorgungsausgleichs wirksam. Für die Frage der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts komme es auf die Umstände im Zeitpunkt seiner Vornahme an; deshalb seien allein die Folgen des Ausschlusses, hier die fehlende Altersversorgung, nicht entscheidend. Anhaltspunkte dafür, dass die Vereinbarung lediglich zu Lasten des Sozialhilfeträgers geschlossen worden sei, lägen nicht vor; auf die Ausnutzung einer psychischen Zwangslage komme es nicht entscheidend an. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage liege nicht vor. Dazu bedürfe es konkreter Vorstellungen und Erwartungen, die bei Vertragsschluss vorgelegen hätten und zwischenzeitlich entfallen seien; solche Vorstellungen oder Erwartungen seien hier nicht dargetan. Auch hinderten Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Ehemann nicht - auch nicht teilweise für die Zeit der Kindererziehung - sich auf den Ausschluss des Versorgungsausgleichs zu berufen. Eine solche Ausübungskontrolle werde zwar in der Literatur befürwortet; sie widerspreche aber der Rechtsprechung des BGH. Zudem liege im vorliegenden Fall die Besonderheit vor, dass der Ehemann sich verpflichtet habe, der Ehefrau nach erfolgter Übertragung ihrer Anteile am gemeinsamen Grundstück 50.000 DM als freiwillige Entschädigung für ihre "Tätigkeit im Haushalt und für die Erziehung der Kinder" zu zahlen.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Wie der Senat in seinem - nach Erlass der hier angefochtenen Entscheidung - ergangenen Urt. v. 11.2.2004 (BGH, Urt. v. 11.2.2004 - XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = BGHReport 2004, 516 = FamRZ 2004, 601) dargelegt hat, darf die grundsätzliche Disponibilität der Scheidungsfolgen nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Das wäre der Fall, wenn dadurch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten - bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede - bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Die Belastungen des einen Ehegatten werden dabei umso schwerer wiegen und die Belange des anderen Ehegatten umso genauerer Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die Vereinbarung der Ehegatten über die Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.

Bei der Ausrichtung am Kernbereich der Scheidungsfolgen wird man für deren Disponibilität eine Rangabstufung vornehmen können, die sich in erster Linie danach bemisst, welche Bedeutung die einzelnen Scheidungsfolgenregelungen für den Berechtigten in seiner jeweiligen Lage haben. Der Versorgungsausgleich ist - als gleichberechtigte Teilhabe beider Ehegatten am beiderseits erworbenen Versorgungsvermögen - einerseits dem Zugewinnausgleich verwandt und wie dieser ehevertraglicher Disposition grundsätzlich zugänglich (§ 1408 Abs. 2, § 1587o BGB). Er ist jedoch andererseits als vorweggenommener Altersunterhalt zu verstehen; von daher steht er einer vertraglichen Abbedingung nicht schrankenlos offen. Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich müssen deshalb nach denselben Kriterien geprüft werden wie ein vollständiger oder teilweiser Unterhaltsverzicht (BGH, Urt. v. 11.2.2004 - XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = BGHReport 2004, 516 = FamRZ 2004, 601 [605]). Der Unterhalt wegen Alters gehört, wie der Senat dargelegt hat, zum Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts; das Gesetz misst ihm als Ausdruck ehelicher Solidarität besondere Bedeutung zu - was freilich einen Verzicht nicht generell ausschließt, etwa wenn die Ehe erst im Alter geschlossen wird (BGH, Urt. v. 11.2.2004 - XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = BGHReport 2004, 516 = FamRZ 2004, 601 [605]). Nichts Anderes gilt für den Versorgungsausgleich. Ein vereinbarter Ausschluss des Versorgungsausgleichs ist deshalb einer Inhaltskontrolle am Maßstab des § 138 (Wirksamkeitskontrolle) sowie des § 242 BGB (Ausübungskontrolle) zu unterziehen; maßgebendes Kriterium ist für beide Kontrollschritte die Frage, ob und inwieweit der Ausschluss des Versorgungsausgleichs mit dem Gebot ehelicher Solidarität vereinbar erscheint.

a) In Anwendung dieser Grundsätze hat der Tatrichter zunächst - im Rahmen einer Wirksamkeitskontrolle - zu prüfen, ob die Vereinbarung über den Ausschluss des Versorgungsausgleichs, allein oder im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des Ehevertrags, schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr - und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse - wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Erforderlich ist dabei eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss abstellt, insb. also auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen auf die Ehegatten und auf die Kinder. Subjektiv sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlasst und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen. Ergibt die umfassende Würdigung dieser Gesichtspunkte, dass die durch den vereinbarten Ausschluss des Versorgungsausgleichs bewirkte Versorgungssituation sich bereits im Zeitpunkt der Vereinbarung als eine gravierende Verletzung des dem Versorgungsausgleich zu Grunde liegenden Gedankens ehelicher Solidarität darstellt, so hat diese Vereinbarung nach § 138 Abs. 1 BGB keinen Bestand. Das kann namentlich dann der Fall sein, wenn ein Ehegatte sich einvernehmlich der Betreuung der gemeinsamen Kinder widmet und deshalb auf eine versorgungsbegründende Erwerbstätigkeit in der Ehe verzichtet. Das in diesem Verzicht liegende Risiko verdichtet sich zu einem Nachteil, den der Versorgungsausgleich gerade auf beide Ehegatten gleichmäßig verteilen will und der jedenfalls nicht ohne Kompensation einem Ehegatten allein angelastet werden kann, wenn die Ehe scheitert.

Eine solche umfassende Gesamtwürdigung hat das OLG nicht vorgenommen. Eine derartige Würdigung würde Feststellungen über Art und Umfang der von den Ehegatten in der Ehe erworbenen Versorgungsanrechte sowie über ihre Vermögenssituation im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erfordern; sie müsste auch berücksichtigen, in welchem Umfang die Ehefrau, die nach ihrem Vortrag bereits seit ihrer Eheschließung an einer ihre Erwerbsfähigkeit mindernden Rückenerkrankung leidet, im Scheidungsfall ihre eigene Altersversorgung durch künftige versicherungspflichtige Tätigkeit voraussichtlich weiter ausbauen kann. Soweit der Ehefrau im Ehevertrag für den Scheidungsfall eine Entschädigung zugesagt ist, wäre der Frage nachzugehen, ob diese Entschädigung als Gegenleistung für die von der Ehefrau für den Scheidungsfall zugesagte Übertragung ihres Miteigentums am gemeinsamen Hausgrundstück auf den Ehemann anzusehen oder als (teilweiser) Ausgleich für ihren Verzicht auf eine eigene versorgungsbegründende Erwerbstätigkeit während der Ehe zu verstehen ist; im zweiten Falle wäre zu untersuchen, in welchem Umfang die Ehefrau mit dem Entschädigungsbetrag eigene Versorgungsanrechte erwerben könnte. Zu den genannten Gesichtspunkten fehlen die erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen. Das gilt auch für die Frage, welche subjektiven Aspekte die Ehefrau veranlasst haben, sich - mehrere Jahre nach ihrer Eheschließung und der Geburt ihrer Kinder - auf den Ehevertrag und insb. auf den darin vorgesehenen Ausschluss des Versorgungsausgleichs einzulassen. Die vom OLG in Bezug genommenen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils sind hierzu nicht eindeutig: So soll die Ehefrau einerseits - nach dem Tatbestand des Urteils - vorgetragen haben, der Ehemann habe sie "zu dem Zweck, sie zum Notar zu schleppen," geschlagen; andererseits soll ihrem Vortrag - nach den Urteilsgründen - nicht zu entnehmen sein, dass sie "zum Notar geschleppt oder unlauter gezwungen" worden sei.

b) Soweit sich der Ausschluss des Versorgungsausgleichs - bei der gebotenen Gesamtwürdigung - nicht schon als sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) darstellt, muss der Richter - im Rahmen der Ausübungskontrolle - prüfen, ob und inwieweit ein Ehegatte die ihm durch den Vertrag eingeräumte Rechtsmacht missbraucht, wenn er sich im Scheidungsfall gegenüber der vom anderen Ehegatten begehrten Durchführung des Versorgungsausgleichs darauf beruft, dass dieser durch den Vertrag wirksam abbedungen sei (§ 242 BGB). Dafür sind nicht nur die Verhältnisse im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend. Entscheidend ist vielmehr, ob sich nunmehr - im Zeitpunkt des Scheiterns der Lebensgemeinschaft - aus dem vereinbarten Ausschluss des Versorgungsausgleichs, allein oder im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des Ehevertrags, eine im dargelegten Sinn (vgl. II. 2. vor a)) unzumutbare Lastenverteilung ergibt. Dabei wird ein wirksam vereinbarter - völliger oder teilweiser - Ausschluss des Versorgungsausgleichs einer Ausübungskontrolle am Maßstab des § 242 BGB vielfach dann nicht standhalten, wenn er dazu führt, dass ein Ehegatte auf Grund einer grundlegenden Veränderung der gemeinsamen Lebensumstände über keine hinreichende Altersversorgung verfügt und dieses Ergebnis mit dem Gebot ehelicher Solidarität schlechthin unvereinbar erscheint (zu Fällen, in denen Ehegatten ihre eheliche und berufliche Lebenssituation - namentlich im Hinblick auf die Betreuung gemeinsamer Kinder - einvernehmlich ändern: vgl. BGH, Beschl. v. 6.10.2004 - XII ZB 57/03, z.V.b.).

Eine solche Ausübungskontrolle hat das OLG - nach der neuen Rechtsprechung des Senats (BGH, Urt. v. 11.2.2004 - XII ZR 265/02, MDR 2004, 573 = BGHReport 2004, 516 = FamRZ 2004, 601 [605]) zu Unrecht - für nicht veranlasst erachtet. Folgerichtig hat es auch keine Feststellungen zu den hierfür maßgebenden Umständen - also namentlich zur früheren und zur aktuellen Lebens-, Versorgungs- und Vermögenssituation der Ehegatten sowie zu den Motiven - getroffen, die die Ehegatten zum Ausschluss des Versorgungsausgleichs bestimmt haben.

3. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Der Senat vermag auf der Grundlage der vom OLG bislang getroffenen Feststellungen in der Sache nicht abschließend zu entscheiden. Die Sache war daher an das OLG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

NJW 2005, 137

BGHR 2005, 247

FamRZ 2005, 26

FuR 2004, 545

DNotI-Report 2004, 210

MittBayNot 2005, 308

ZAP 2005, 113

FPR 2005, 163

FPR 2007, 214

MDR 2005, 216

FF 2005, 43

FamRB 2005, 8

NotBZ 2005, 73

ZFE 2005, 31

ZNotP 2005, 27

FK 2005, 37

JWO-FamR 2004, 404

LMK 2005, 55

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