Leitsatz (amtlich)

1. Eine Anfechtungsklage kann unter Umständen auch dann zulässig sein (§ 44 Abs. 1 FGO), wenn die Finanzbehörden einen vom Steuerpflichtigen eingelegten Rechtsbehelf unrichtig statt als Einspruch als Beschwerde behandelt haben und die OFD eine den angefochtenen Bescheid bestätigende Beschwerdeentscheidung erlassen hat.

2. Gegenstand der Verzinsung nach §§ 4a und 9 Abs. 2 StSäumG ist der hinterzogene Steuerbetrag; an ihn knüpft das Gesetz die Zinspflicht an. Auf den Zeitpunkt, an dem die Steuerverkürzung vollendet ist, kommt es nicht an, soweit dieser Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten der Vorschrift des § 4a StSäumG liegt.

2. § 4a Abs. 1 StSäumG ist auch anwendbar auf Steuerforderungen, die vor seinem Inkrafttreten durch pflichtwidrige Nichtabgabe von Steuererklärungen, d. h. durch ein unterlassen, hinterzogen worden sind.

2. Die Tatsache, daß das FA zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen vor Festsetzung von Hinterziehungszinsen das Ergebnis eines schwebenden Strafverfahrens abwartet, ist kein die Verwirkung des Zinsanspruchs begründender Umstand.

 

Normenkette

FGO § 44 Abs. 1; StSäumG § 4a Abs. 1, § 9 Abs. 2; AO § 204 Abs. 1, § 210 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BVerfG (Beschluss vom 14.10.1970; Aktenzeichen 2 BvR 358/70)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 14.10.1970; Aktenzeichen 2 BvR 358/70)

 

Tatbestand

Das Amtsgericht A hat den Revisionskläger (Steuerpflichtigen) wegen Hinterziehung von Einkommensteuer für 1961 bis 1964 durch Strafbefehl vom 1. April 1968 rechtskräftig verurteilt. Die hinterzogene Einkommensteuer hat der Revisionsbeklagte (das FA) erstmals im Sammelbescheid vom 15. Januar 1968 festgesetzt. Nach den Feststellungen im Strafverfahren war die Hinterziehung der Einkommensteuer für 1961 bis 1963 vor dem 1. Januar 1966 und für 1964 am 31. Juli 1966 (als dem Tage, an dem die Veranlagungsarbeiten für den Veranlagungszeitraum 1964 im wesentlichen abgeschlossen gewesen seien) vollendet. Im angefochtenen Bescheid vom 2. Juli 1968 über die Festsetzung von Zinsen für hinterzogene Steuern gemäß § 4a StSäumG berechnete das FA Zinsen auf die Einkommensteuer 1961, 1962 und 1963 ab 1. Januar 1966 (§ 9 Abs. 2 StSäumG) und auf die Einkommensteuer 1964 ab 1. August 1966 (§ 4a Abs. 2 StSäumG) jeweils bis zum Fälligkeitstage.

Den gegen diesen Bescheid eingelegten, entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung als Beschwerde bezeichneten Rechtsbehelf hat die OFD als unbegründet zurückgewiesen. Das FG hielt die auf die Beschwerdeentscheidung hin erhobene Klage für zulässig, hat sie aber als unbegründet abgewiesen. In seiner Begründung lehnte es u. a. die Meinung des Steuerpflichtigen ab, nach der die §§ 4a und 9 Abs. 2 StSäumG deshalb gegen den Gleichheitsgrundsatz verstießen, weil beide Vorschriften diejenigen Steuerpflichtigen, welche Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe von Steuererklärungen begingen, gegenüber denjenigen Steuerpflichtigen benachteiligten, die unrichtige Steuererklärungen abgäben; denn jenen sei die Möglichkeit, die Zinspflicht nach § 9 Abs. 2 StSäumG abzuwenden, erschwert, weil ihnen der Zeitpunkt der Vollendung unbekannt bleibe.

Mit der Revision rügt der Steuerpflichtige Verletzung von Bundesrecht (§§ 4 a, 9 Abs. 2 StSäumG, § 210 AO und Art. 20 Abs. 3 GG) und läßt hierzu vortragen:

Der Rechtsstreit gehe in erster Linie um die rechtsstaatliche Handhabung der §§ 4a und 9 Abs. 2 StSäumG. Im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG müsse § 4a Abs. 1 StSäumG so ausgelegt werden, daß der Gesetzgeber dieser Vorschrift keine Rückbezogenheit (das FG spreche hier von Rückwirkung) zugemessen habe. Es könne auch nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, daß dieser von § 9 Abs. 2 StSäumG keinen Gebrauch gemacht habe. Zur Vermeidung der Zinszahlungspflicht verlange diese Vorschrift, daß vollendet hinterzogene Steuern vor dem 1. Januar 1966 gezahlt seien. Ohne Kenntnis vom Zeitpunkt der Vollendung der Hinterziehung sei aber der Steuerpflichtige nicht imstande, zu beurteilen, inwieweit ihn die Bezahlung der Steuer vor dem 1. Januar 1966 von der Zinszahlungspflicht befreie. Aus dem Sinn dieser Vorschrift in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben ergebe sich somit die zumutbare Verpflichtung der Finanzbehörden, den für die Vollendung der Steuerhinterziehung maßgebenden Zeitpunkt der Beendigung der Veranlagungsarbeiten bekanntzugeben. Andernfalls sei die Übergangsregelung des § 9 Abs. 2 StSäumG "materiell" nicht erfüllbar mit der Folge, daß § 4a StSäumG nicht rückbezogen angewendet werden könne.

Der Zinsanspruch sei aber im Streitfall auch verwirkt, weil der Zinsbescheid entgegen der zwingenden Vorschrift des § 210 Abs. 1 AO nicht nach Abschluß der Ermittlungen am 6. Oktober 1967 bzw. spätestens mit dem Steuerbescheid ergangen sei. Diese Vorschrift gestatte es dem FA nicht, mit der Festsetzung zu warten, wenn ihm dies zweckmäßig erscheine. Das FG habe nicht begründet, warum es "durchaus zweckmäßig" gewesen sei, vor Zinsfestsetzung den Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten. Da sich das FA nicht an § 210 Abs. 1 AO gehalten habe und in der Strafverhandlung sich nicht mit der vom Steuerpflichtigen als ausreichend betrachteten vorgeschlagenen Geldstrafe begnügt, sondern auf einem höheren Betrag beharrt und auch nicht auf die Zinspflicht nach § 4a StSäumG hingewiesen habe, sei angenommen worden, daß in diese Erhöhung die nicht festgesetzten Zinssen eingerechnet gewesen seien und gemäß § 131 AO nicht mehr erhoben würden. Die Verwirkung trete schon vor der Verjährung ein. Es genüge, daß der Gläubiger vor Geltendmachung seiner Ansprüche eine lange Zeit habe verstreichen lassen und darüber hinaus ein Umstand gegeben sei, auf Grund dessen der Schuldner vernünftigerweise mit einer Geltendmachung der Forderung nicht mehr habe zu rechnen brauchen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

I. Verfahrensfragen.

Vor Klageerhebung ist - gemäß der insofern unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung - ein falsches außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren (§ 44 Abs. 1 FGO) durchgeführt worden. Gegen einen Zinsbescheid nach § 4a StSäumG ist als außergerichtlicher Rechtsbehelf der Einspruch gegeben (Urteil des FG Nürnberg V 112/67 vom 10. Januar 1968, EFG 1968, 283). Der vom Steuerpflichtigen entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung als Beschwerde bezeichnete Rechtsbehelf wäre danach nicht der OFD zur Entscheidung vorzulegen, sondern als Einspruch zu behandeln gewesen. Denn der Steuerpflichtige beantragte ausdrücklich Aufhebung bzw. Änderung des Zinsbescheides. Die unrichtige Bezeichnung des Rechtsbehelfs schadete nicht (§ 238 Abs. 1 Satz 4 AO).

Dieser Verfahrensfehler steht im Streitfall einer Sachentscheidung jedoch nicht entgegen. Der Steuerpflichtige hat das richtige (durch das Gesetz für die Anfechtung des Zinsbescheides vorgeschriebene) außergerichtliche Vorverfahren - Einspruchsverfahren - in zulässiger Weise eingeleitet. Auf Grund unrichtiger Behandlung durch die Finanzbehörden ist eine falsche Rechtsbehelfsentscheidung - Beschwerdeentscheidung - seitens der zur Entscheidung unzuständigen OFD ergangen. Indes hat auch das FA den Zinsbescheid überprüft. Denn es hatte darüber zu beschließen, ob der "Beschwerde" abgeholfen werden sollte (§ 249 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO). Da es die Einwendungen für unbegründet hielt und keine Veranlassung sah, den Zinsbescheid zum Nachteil des Steuerpflichtigen zu ändern, hätte die Einspruchsentscheidung des FA nicht anders, als die Beschwerdeentscheidung der OFD lauten können, d. h. das außergerichtliche Vorverfahren wäre auch bei Erlaß einer Einspruchsentscheidung erfolglos geblieben. In diesem Falle können das falsche und das richtige außergerichtliche Vorverfahren jedenfalls für die Prüfung der Frage, ob dadurch die Zulässigkeit der Klage nach § 44 Abs. 1 FGO eröffnet wird, als gleichwertig angesehen werden.

Rechtliche Interessen der Beteiligten werden durch diese Gleichbehandlung nicht beeinträchtigt. Der Senat hätte allerdings Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Klage, wenn anstelle eines gebotenen Beschwerdeverfahrens ein Einspruchsverfahren durchgeführt worden wäre. Denn wegen der nur beschränkten Nachprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen im finanzgerichtlichen Verfahren (§ 102 FGO) könnte dem Steuerpflichtigen der gesetzlich vorgesehene außergerichtliche Rechtsschutz unvollständig gewährt worden sein, wenn die Verfügung des FA nicht durch die nächsthöhere Behörde, welche ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des FA setzen kann, nachgeprüft worden ist.

Die Beschwerdeentscheidung der OFD ist auch nicht rechtsunwirksam. Mag man auch eine Verfügung der OFD für nichtig halten, in welcher diese Steuern bzw. Zinsen festsetzt (Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs - OFH - II Z 11/50 vom 24. Mai 1950, StRK, Reichsabgabenordnung, § 204, Rechtsspruch 1), so leidet doch jedenfalls die gegenüber dem Steuerpflichtigen getroffene Entscheidung, in welcher die Zinsfestsetzung des FA lediglich bestätigt wurde, nicht an einem schweren und offensichtlichen, die Nichtigkeit begründenden (Zuständigkeits-) Mangel. Dies gilt um so mehr, als im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung der OFD rechtliche Zweifel bestehen konnten, welcher Rechtsbehelf gegeben war. Da die Beschwerdeentscheidung jedoch fehlerhaft und der Steuerpflichtige durch die in ihr getroffene Kostenentscheidung beschwert war, mußte sie aufgehoben werden.

Mit dieser Beurteilung des falschen außergerichtlichen Vorverfahrens im Streitfall befindet sich der erkennende Senat im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) 6 RKa 24/66 vom 16. März 1967 (Sozialrecht, Reichsversicherungsordnung, §§ 368 f., Rechtsspruch 8) und dem VII. Senat des BFH (Urteil VII R 57/67 vom 11. November 1969, BFH 97, 400). Er hält sich auch im Rahmen der Rechtsprechung des BVerwG (Urteile V C 105/61 vom 27. Februar 1963, BVerwGE 15, 306 [309]; I C 24/63 vom 20. Januar 1966, BVerwGE 23, 135 [136]; VII C 69/65 vom 26. Mai 1967, BVerwGE 27, 141; VII C 18/66 vom 9. Juni 1967, BVerwGE 27, 181), welcher auch der VI. Senat des BFH in seiner Entscheidung VI R 261/67 vom 19. August 1969 (BFH 96, 458, BStBl II 1970, 11) zuneigt.

II. Rechtmäßigkeit des angefochtenen Zinsbescheides.

1. Die Vorschriften der §§ 4a und 9. Abs. 2 StSäumG stehen nicht im Widerspruch zum GG.

a) Nach § 4a Abs. 2 StSäumG beginnt der Zinslauf im Regelfall mit der Vollendung der Steuerhinterziehung, es sei denn, daß die verkürzten Beträge auch ohne die Steuerhinterziehung erst später fällig geworden wären. Eine Steuerhinterziehung ist in dem Zeitpunkt vollendet, in dem der Steuerbescheid, in welchem die Steuer festgesetzt und das Leistungsgebot ausgesprochen worden ist, dem Steuerpflichtigen zugestellt wird oder als bekanntgegeben gilt (§ 17 Abs. 2 VwZG). Der Zinslauf für die hinterzogenen Steuern beginnt jedoch gleichwohl erst später, wenn - wie im Falle der Einkommensteuerveranlagung (§ 47 Abs. 2 EStG) - die Abschlußzahlung erst zu einem späteren als dem genannten Zeitpunkt fällig wird.

b) Gleichwohl kann angesichts der ausdrücklichen Vorschrift des § 9 Abs. 2 StSäumG der Zinslauf nicht vor dem 1. Januar 1966 beginnen. Denn ist es der Sinn der Vorschrift, den Steuerpflichtigen allgemein bis zum 31. Dezember 1965 die Zinszahlung zu ersparen, falls sie bis zu diesem Zeitpunkt Selbstanzeige erstatteten, so kann aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung - auch die Hinterziehungszinsen sind als Nebenleistungen zur Steuer wie Steuern zu behandeln - eine am 22. Mai 1965 vollendete Steuerhinterziehung die Zinszahlungspflicht nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt auslösen. Wenn aber vom 1. Januar 1966 ab jede Steuerhinterziehung, auch wenn sie durch eine bis zum 31. Dezember 1965 erstattete strafbefreiende Selbstanzeige bekannt wurde, Hinterziehungszinsen auslöst, kann hinsichtlich der Zinszahlung eine vor dem 22. Mai 1965 vollendete Steuerhinterziehung nicht anders behandelt werden als eine erst nach dem Zeitpunkt vollendete Steuerhinterziehung, sei es, daß sie nun vor dem 1. Januar 1966 durch Selbstanzeige bekanntgeworden oder durch die Ermittlungen des FA aufgedeckt worden ist.

c) Die Auffassung des Steuerpflichtigen, daß diese Auslegung des Gesetzes seine nicht zulässige rückwirkende Anwendung bedeute, teilt der Senat nicht. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 22. Mai 1965 ist die Verzinsung aller derjenigen Steuerbeträge eingeführt worden, die auf einer zu diesem Zeitpunkt "bereits eingetretenen" oder in Zukunft noch eintretenden Steuerverkürzung beruhten bzw. beruhen, und zwar mit einem - regelmäßigen - Zinslauf vom Zeitpunkt der Vollendung der Steuerhinterziehung ab.

Gegenstand der Verzinsung ist somit der hinterzogene Steuerbetrag. An ihn knüpft das Gesetz die Zinspflicht an, nicht an die Steuerhinterziehung als solche (einen etwa bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossenen Tatbestand), allenfalls an ihre Fortwirkungen (als welche die Verpflichtung zur Zahlung des hinterzogenen Steuerbetrages anzusehen ist). Um aber auch den Anschein einer echten Rückwirkung des Gesetzes auf die im Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits vollendeten Steuerverkürzungen zu vermeiden, wurde der Beginn des Zinslaufes auf die hinterzogenen Steuerbeträge einheitlich für alle Fälle der bis zum 31. Dezember 1965 durch Selbstanzeige bekanntgewordenen und der durch die Finanzbehörden bis dahin aufgedeckten Steuerverkürzungen auf den 1. Januar 1966 als frühesten Zeitpunkt festgelegt. Mit dieser Regelung sollte zugleich allen denen, die am 22. Mai 1965 "bereits" eine vollendete Steuerverkürzung begangen hatten, die Möglichkeit gegeben werden, durch Zahlung der Steuerschuld vor dem 1. Januar 1966 die von diesem Zeitpunkt ab gegebene Zinszahlungspflicht abzuwenden.

Eine echte - unzulässige - Rückwirkung (unzulässig in Anbetracht des schutzwürdigen Vertrauens der Steuerpflichtigen in eine bisher gegebene, ihre Dispositionen maßgeblich mitbestimmende gesetzliche Regelung) liegt in der Einführung einer Zinspflicht für hinterzogene Steuerbeträge vom 1. Januar 1966 ab nicht. Daß eine einmal getroffene Regelung, wie die Zinslosstellung hinterzogener Steuerbeträge, auch in Zukunft immer und uneingeschränkt aufrechterhalten werde, darf der Steuerpflichtige nicht erwarten. Eine solche Erwartung unterliegt jedenfalls nicht dem Vertrauensschutz (Beschluß des BVerfG 1 BvR 228/65 vom 24. September 1965, BVerfGE 19, 119).

2. Auch das weitere Vorbringen des Steuerpflichtigen ist unbegründet.

a) Die Steuerhinterziehung ist ein unechtes Unterlassungsdelikt und kann sowohl durch ein positives Tun - z. B. Abgabe einer unrichtigen Erklärung - als auch durch ein Unterlassen - z. B. pflichtwidrige Nichtabgabe einer Steuererklärung - begangen werden (Franzen-Gast, Steuerstrafrecht, § 391, Anm. 18). Die Vollendung der Straftat tritt je nach der Begehungsform in unterschiedlicher Weise ein. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist darin nicht zu erblicken, da die für die Vollendung bedeutsamen Anknüpfungspunkte, d. h. die Begehungsformen, verschieden sind.

Die Unsicherheit hinsichtlich des Zeitpunktes der Vollendung im Falle der Steuerhinterziehung durch Unterlassen verbietet es auch nicht, nachteilige Folgen an den Eintritt der Vollendung zu knüpfen. Die Bestrafung (als strafrechtliche Folge der Vollendung) hält die ständige Strafrechtsprechung auch bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen für zulässig (Urteil des BGH 3 StR 462/55 vom 1. März 1956, BStBl I 1956, 441; Urteil des OLG Hamburg 2b Ss 23/65 vom 16. Dezember 1965, NJW 1966, 843); dies wird vom Steuerpflichtigen auch nicht bestritten. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die außerstrafrechtlichen Folgen im Gegensatz zur strafrechtlichen Folge nicht oder nur nach Erfüllung weiterer Voraussetzungen eintreten dürften. § 4a StSäumG enthält als einziges, auch für das Strafrecht relevantes Tatbestandsmerkmal den Begriff der Vollendung der Steuerhinterziehung. Entsprechendes gilt für die Voraussetzungen der Übergangsregelung in § 9 Abs. 2 StSäumG. Soweit die Rügen des Steuerpflichtigen darauf abheben, daß von ihm Zinsen nur verlangt werden könnten, wenn bei ihm keine Unsicherheit über den Zeitpunkt der Vollendung bestanden hätte, sind sie unbegründet.

Im übrigen konnte der Steuerpflichtige bei vernünftiger Überlegung gar nicht darüber im unklaren sein, für welche Jahre die von ihm begangenen Steuerhinterziehungen bis zum 31. Dezember 1965 vollendet waren. Die Finanzverwaltung macht die Frist für die Abgabe der von den Angehörigen der steuerberatenden Berufe erstellten Steuererklärungen regelmäßig bekannt. Diese Frist endet aber nicht zu einer Zeit, in welcher die Steuererklärungen des vorhergehenden Jahres noch bearbeitet werden, d. h. die Veranlagung dieses Jahres noch nicht im wesentlichen abgeschlossen ist. Der Steuerpflichtige konnte somit erkennen, daß die Steuerhinterziehung für das Jahr 1963 und frühere Jahre spätestens in dem Zeitpunkt vollendet war, in dem die oben genannte Frist zur Abgabe der Steuererklärungen 1964 ablief. Dies war nach dem im BStBl II 1965, 65 veröffentlichten Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen S 2209-127-311 vom 17. Mai 1965 am 30. September 1965 der Fall. Es hätte also auch der Steuerpflichtige von der bis zum 31. Dezember 1965 laufenden Übergangsregelung des § 9 Abs. 2 StSäumG Gebrauch machen können.

b) Der Steuerpflichtige kann sich auch nicht auf Verwirkung des Zinsanspruches berufen. Es erscheint schon zweifelhaft, ob die erste Voraussetzung der Verwirkung - Untätigkeit des Gläubigers während eines längeren Zeitraums - vorliegt, wenn das FA weniger als neun Monate wartete. Darüber hinaus hat sich das FA auch nicht so verhalten, daß der Steuerpflichtige vernünftigerweise nicht mehr mit der Zinsforderung zu rechnen braute. Einen diese Annahme rechtfertigenden Umstand sieht der Steuerpflichtige zu Unrecht in einem behaupteten Verstoß des FA gegen § 6 Abs. 2 StSäumG in Verbindung mit § 210 Abs. 1 AO. Ähnlich wie bei der Prüfung der Verjährung hinterzogener Steuern ist es zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen über die Frage, ob Steuerbeträge vorsätzlich hinterzogen worden sind (Urteil des RFH I A 191/36 vom 25. Mai 1937, RFH 41, 253, RStBl 1937, 739), auch bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen durchaus zweckmäßig, das Ergebnis eines schwebenden Strafverfahrens abzuwarten. In diesem Falle bedient sich die für die Zinsfestsetzung zuständige Stelle des FA in zulässiger Weise der Ermittlungsergebnisse aus dem Strafverfahren (BFH-Urteil Vz 46/55 vom 13. März 1958, StRK, Reichsabgabenordnung, § 204, Rechtsspruch 16). Sie schließt also ihre eigenen Ermittlungen (§ 204 Abs. 1 AO) zunächst nicht ab, sondern stellt deren Fortgang bis zum Abschluß des Strafverfahrens zurück. § 210 Abs. 1 AO ist vorher noch nicht anwendbar. Im übrigen ist diese Vorschrift dahin zu verstehen, daß sie lediglich das Legalitätsprinzip zum Ausdruck bringt und das FA nur dem Grunde nach zwingt, die entstandenen Steueransprüche festzusetzen, aber keine zwingenden Regelungen über den Zeitpunkt der Steuerfestsetzung enthält.

Das FA war auch nicht verpflichtet, den Steuerpflichtigen auf die Zinspflicht aufmerksam zu machen. Es besteht kein Rechtssatz, aus dem sich eine Pflicht für die Verwaltungsbehörden ergibt, den Vollzug zwingender gesetzlicher Vorschriften vorher anzukündigen. Die Unterlassung derartiger Hinweise ist daher kein die Verwirkung begründender besonderer Umstand. Schließlich durfte der Steuerpflichtige auch nicht aus der nach seiner Auffassung überhöhten Strafe schließen, das FA werde die Zinsforderung nicht mehr geltend machen. Bestrafung, Zinsfestsetzung und -erlaß erfolgen in verschiedenen Verfahren. Auch ist für die Bestrafung das Gericht, für Zinsfestsetzung und -erlaß die Finanzverwaltung zuständig. Ohne äußeren Anlaß - der Steuerpflichtige hat selbst vorgetragen, daß nirgends ersichtlich war, ob bei der Strafzumessung eine Abschöpfung des Zinsvorteils erfolgt sei - durfte der Steuerpflichtige nicht davon ausgehen, daß diese Verfahren in irgendeiner Weise zusammengefaßt worden seien. Das gilt um so mehr, als ihre Zusammenfassung auch nicht zulässig ist. Das FG hat daher mit Recht angenommen, daß der Steuerpflichtige den Strafbefehl hätte angreifen müssen, wenn er ihn für fehlerhaft hielt und eine vermeintliche doppelte Abschöpfung des Zinsvorteiles verhindern wollte. Aus diesem Grunde konnte das FG es auch dahingestellt lassen, ob bei der Strafzumessung der Zinsvorteil überhaupt berücksichtigt worden ist.

Die Anforderung der Hinterziehungszinsen verstößt schließlich auch nicht deshalb gegen Treu und Glauben, weil sie einer Zusage oder einem als solche aufzufassenden vorangegangenen Tun des FA widersprechen würde. Derartige Handlungen hätten den eindeutigen Schluß zulassen müssen, daß das FA auf die Zinsen verzichten wollte. Aus "Unterlassungen" des FA, mit denen dieses indes nicht gegen ihm auferlegte Rechtspflichten verstößt, kann ein derartiger Schluß nicht gezogen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69042

BStBl II 1970, 556

BFHE 1970, 14

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