Leitsatz

1. Im Erbschaftsteuerrecht gelten die infolge des Erbanfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit oder von Recht und Belastung zivilrechtlich erloschenen Rechtsverhältnisse gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen. Diese Fiktion umfasst auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten ist, die Geltendmachung des Pflichtteils fiktiv nachzuholen.

2. Die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG reicht jedoch nicht so weit, dass der zivilrechtlich aufgrund Konfusion erloschene Pflichtteilsanspruch auch dann noch geltend gemacht werden kann, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt war.

 

Normenkette

§ 10 Abs. 3, Abs. 5 ErbStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO

 

Sachverhalt

Der Vater des Klägers und dessen Ehefrau (Stiefmutter des Klägers) setzten sich durch sog. Berliner Testament (§ 2269 BGB) gegenseitig zu Alleinerben und den Kläger zum Erben des Überlebenden ein. Der Vater des Klägers verstarb im Oktober 2003, die Stiefmutter des Klägers im Januar 2014.

In der Erbschaftsteuererklärung betreffend den Erbanfall beim Ableben der Stiefmutter machte der Kläger einen eigenen Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit geltend. Er habe diesen Anspruch gegenüber seiner Stiefmutter mündlich geltend gemacht. Das FA setzte gegenüber dem Kläger Erbschaftsteuer fest, ohne den geltend gemachten Pflichtteilsanspruch bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs steuermindernd zu berücksichtigen.

Das FG gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 4.5.2016, 3 K 148/15, Haufe-Index 9460300, EFG 2016, 1102). Der Alleinerbe könne nach dem Tod des Pflichtteilsverpflichteten seinen nunmehr gegen sich selbst gerichteten Pflichtteilsanspruch auch dann noch geltend machen und als Nachlassverbindlichkeit vom Erwerb abziehen, wenn dieser Anspruch bereits verjährt sei.

 

Entscheidung

Der BFH hob auf die Revision des FA das FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Der Kläger habe den zivilrechtlich bereits erloschenen Pflichtteilsanspruch nach dem Tod seiner Stiefmutter nicht mehr gegen sich selbst als deren Alleinerben geltend machen können. Der Anspruch sei im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich bereits verjährt gewesen. Der Kläger habe seine Behauptung, er habe den Pflichtteilsanspruch noch zu Lebzeiten seiner Stiefmutter dieser gegenüber mündlich geltend gemacht, nach den Feststellungen des FG weder substantiiert noch glaubhaft gemacht.

 

Hinweis

1. Zu den nach § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG i.V.m. § 10 Abs. 3 bis Abs. 9 ErbStG abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten gehören gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG u.a. Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen (§§ 2303ff. BGB). Damit übereinstimmend gilt der originär beim Pflichtteilsberechtigten entstandene Pflichtteilsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 3 ErbStG erst dann als Erwerb von Todes wegen, wenn er geltend gemacht wird.

a) Dem bloßen Entstehen des Anspruchs auf einen Pflichtteil mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB) kommt erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung zu, und zwar weder bei dem Berechtigten noch bei dem Verpflichteten. Dieses zeitliche Hinausschieben der erbschaftsteuerrechtlichen Folgen eines Pflichtteilsanspruchs soll ausschließen, dass beim Berechtigten auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebt.

b) Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden. Ist dies geschehen, entsteht die Erbschaftsteuer für den Erwerb des Pflichtteilsanspruchs (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 3 ErbStG) nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung. Hinsichtlich des Abzugs des Pflichtteils als Nachlassverbindlichkeit wirkt dessen Geltendmachung hingegen auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer gegenüber dem Erben, also auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) zurück, stellt also ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar.

2. Verstirbt der Pflichtteilsverpflichtete seinerseits, bevor der Pflichtteilsanspruch durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) oder aus anderen Gründen, etwa aufgrund eines Erlassvertrags (§ 397 Abs. 1 BGB), erloschen ist, geht die Verbindlichkeit gemäß §§ 1922, 1967 Abs. 1 BGBzivilrechtlich auf dessen Erben über, ohne dass es auf die vorherige Geltendmachung des Anspruchs ankommt.

a) Die Verpflichtung zur Zahlung des Pflichtteils stellt dabei – abweichend vom Zivilrecht – erbschaftsteuerrechtlich nur dann eine vom Pflichtteilsverpflichteten als Erblasser herrührende Schuld und somit eine gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abziehbare Nachlassverbindlichkeit dar, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten des Verpflichteten geltend gemacht hatte oder ihn nach dessen Tod ...

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