Rz. 11

Jede Pflichtverletzung des Mieters muss ferner erheblich sein. Dazu sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (LG Berlin, Urteil v. 16.6.2016, 67 S 125/16, ZMR 2016, 695; LG Berlin, Urteil v. 6.10.2016, 67 S 203/16, WuM 2016, 734; LG Berlin, Beschluss v. 20.10.2016, 67 S 214/16, WuM 2016, 741; LG Berlin, Urteil v. 29.11.2016, 67 S 329/16, GE 2017, 49).

Pflichtverletzungen, die die Rechte des Vermieters nur geringfügig beeinträchtigen, rechtfertigen dagegen eine Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 nicht. Im Gegensatz zu dem Merkmal der Unzumutbarkeit bei der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund (§ 543 Abs. 1) sind die Anforderungen an die Erheblichkeit der Pflichtverletzung für eine fristgerechte Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 jedoch geringer.

 

Rz. 11a

Die Pflichtverletzung muss von einigem Gewicht sein, braucht aber nicht wie im Fall des § 543 so weit zu gehen, dass dem Vermieter eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (BGH, Urteil v. 11.1.2006, VIII ZR 364/04, NJW 2006, 1585; LG Köln, Urteil v. 2.12.2016, 10 S 99/16, ZMR 2017, 250; LG Köln, Urteil. v. 2.12.2016, 10 S 99/16, ZMR 2017, 250; Häublein in: MünchKomm § 573 BGB Rn. 65).

 
Hinweis

Einmalige Verstöße

Einmalige Verstöße ohne Wiederholungsgefahr sind grds. nicht als erhebliche Pflichtverletzung anzusehen. Bei einem langjährig beanstandungsfrei geführten Mietverhältnis rechtfertigen einmalige fahrlässige Vertragsverstöße weder die außerordentliche noch die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses (AG Berlin-Charlottenburg, Urteil v. 14.2.2019, 226 C 223/18, ZMR 2019, 506).

Einzelne geringfügige Verstöße können aber durch ständige Wiederholung einen erheblichen Umfang gewinnen (LG Oldenburg, Urteil v. 30.6.1995, 2 S 415/95, ZMR 1995, 597). Dies ist z. B. dann der Fall, wenn zunächst vom Vermieter rügelos hingenommene Verhaltensweisen wiederholt werden und sich herausstellt, dass bereits das frühere – vom Vermieter nicht beanstandete – Verhalten Ausdruck der Einstellung des Mieters ist, die Vertragspflicht nicht einhalten zu wollen. Ergibt sich aus dem Verhalten des Mieters, der gleichartige Pflichtverletzungen immer wieder begeht, dass er schon bei der ersten Pflichtverletzung gewillt war, die betreffenden vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr einzuhalten, so kann auch die zunächst hingenommene erste Pflichtverletzung zur Begründung der Kündigung herangezogen werden, weil sich alle Pflichtverletzungen zusammengenommen als erheblich herausstellen. Grds. gibt es zwar kein "Ansparen" von Kündigungsgründen; der Vermieter muss sich vielmehr nach jeder Pflichtverletzung entscheiden, ob er diese zum Anlass für eine Kündigung nimmt oder nicht. Etwas anderes gilt aber bei denjenigen – auch unerheblichen – Pflichtverletzungen, die Ausdruck eines insgesamt gesehen einheitlichen, fortgesetzten Vertragsverstoßes sind, der wegen der Häufung der – unerheblichen – Vertragsverletzungen zu einem erheblichen Vertragsverstoß wird.

 

Rz. 11b

 
Achtung

Pflichtverletzung ist entscheidend

Die Erheblichkeit muss sich auf die Pflichtverletzung und nicht auf das Verschulden beziehen (vgl. auch Grüneberg/Weidenkaff, BGB 81. Aufl. 2022, § 573 Rn. 15).

 

Rz. 12

Nach dem Wortlaut des § 573 Abs. 2 Nr. 1 bedarf es vor dem Ausspruch einer wirksamen Kündigung keiner vorherigen Abmahnung.

 
Hinweis

Besonderes Gewicht durch Abmahnung

Nach Ansicht des BGH (Urteil v. 28.11.2007, VIII ZR 145/07, NJW 2008, 508) hat eine Abmahnung jedoch durchaus Bedeutung für die Frage, ob die Pflichtverletzung als "nicht unerheblich" zu bewerten ist (vgl. auch LG Berlin, Beschluss v. 23.2.2018, 66 S 243/17, GE 2018, 586; LG Köln, Urteil v. 2.12.2016, 10 S 99/16, ZMR 2017, 250; LG Berlin, Urteil v. 10.7.2006, 67 S 159/04, NZM 2007, 564; AG Berlin-Schöneberg, Urteil v. 5.12.2019, 107 C 224/19, ZMR 2020, 321). Die Frage, welche Bedeutung eine Abmahnung, die vor einer Kündigung des Mietverhältnisses erklärt wurde, für die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses hat, entzieht sich weitgehend generalisierender Betrachtung (BGH, Beschluss v. 25.8.2020, VIII ZR 59/20, NZM 2020, 885). Eine vor Ablauf der in der erklärten Abmahnung gesetzten Frist erklärte Kündigung ist unwirksam (LG Berlin, Beschluss v. 26.9.2017, 67 S 166/17, WuM 2017, 655).

Danach ist denkbar, dass die Abmahnung der Pflichtverletzung ein besonderes Gewicht verleiht, etwa weil vorher nur ein schlichtes Versehen des Mieters vorgelegen hat oder eine Duldung des Vermieters zu vermuten war.

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