Entgeltfortzahlung: Vorerkrankungen richtig anrechnen

Arbeitgeber sind dazu verpflichtet - im Fall der Arbeitsunfähigkeit ihrer Beschäftigten - sechs Wochen lang Entgeltfortzahlung zu leisten. Unter Umständen dürfen sie jedoch Vorerkrankungen auf die Gesamtdauer der Entgeltfortzahlung für eine erneute Erkrankung des Arbeitnehmers anrechnen. Die Prüfung der Anrechenbarkeit erfolgt durch die Krankenkassen.

Ist ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin arbeitsunfähig, ohne dass ihn oder sie ein Verschulden trifft, besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Wir erläutern, wann eine Anrechnung von Vorerkrankungen möglich ist und wie die Prüfung erfolgt.

Umfang der Entgeltfortzahlung bei Krankheit

Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist bei der Erkrankung eines Mitarbeitenden auf längstens sechs Wochen begrenzt. Arbeits- oder Tarifverträge können einen längeren Anspruch vorsehen. Wird der oder die Arbeitnehmende infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, kann der Arbeitgeber die Erkrankungen zusammenrechnen, wenn

  1. der oder die Arbeitnehmende vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit nicht mindestens sechs Monate arbeitsfähig war oder
  2. seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten noch nicht abgelaufen ist.

Entgeltfortzahlung: Anspruchsprüfung wegen 6-Monats-Frist

Die 6-Monats-Frist wird vom Tag vor Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit rückwärts gerechnet. Bestand in dieser Zeit keine Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit, besteht wieder ein neuer sechswöchiger Entgeltfortzahlungsanspruch. Andernfalls ist ein ggf. noch bestehender Restanspruch zu berücksichtigen.

Beispiel: Der Arbeitnehmer ist seit dem 25. April 2024 wegen Krankheit A arbeitsunfähig. Zuvor bestand wegen derselben Krankheit bereits eine Arbeitsunfähigkeit vom 4. September bis zum 29. Oktober 2023.

Beurteilung: Die 6-Monats-Frist verläuft vom 24. April 2024 bis zum 25. Oktober 2023. Die Arbeitsunfähigkeit zuvor endete in diesem Zeitraum und ist daher zu berücksichtigen. Da der Arbeitgeber vom 4. September bis zum 15. Oktober 2023 bereits für sechs Wochen Entgeltfortzahlung geleistet hat, besteht für die neue Arbeitsunfähigkeit ab 25. April 2024 kein Entgeltfortzahlungsanspruch mehr.

Bei einem Ende der vorherigen Arbeitsunfähigkeit vor dem 25. Oktober 2023, z. B. am 22. Oktober 2023, hätte in der 6-Monats-Frist keine Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit bestanden. Dann bestünde für die Arbeitsunfähigkeit ab 25. April 2024 wieder ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen.

Anspruchsprüfung aufgrund der 12-Monats-Frist

Besteht aufgrund der 6-Monats-Frist kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch, kann sich ein neuer Anspruch auch ergeben, wenn seit dem Beginn der letzten Arbeitsunfähigkeit mit einem neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bereits zwölf Monate vergangen sind.

Beispiel: Der Arbeitnehmer ist seit dem 25. April 2024 wegen Krankheit A arbeitsunfähig. Zuvor bestand wegen derselben Krankheit bereits eine Arbeitsunfähigkeit vom 20. April bis zum 29. Oktober 2023.

Beurteilung: Die 6-Monats-Frist führt zu keinem neuen Entgeltfortzahlungsanspruch (siehe Beispiel zuvor). Die 12-Monats-Frist läuft vom 20. April 2023 bis zum 19. April 2024. Die Arbeitsunfähigkeit ab 25. April 2024 beginnt erst nach dem letzten Tag der 12-Monats-Frist. Daher besteht für die Arbeitsunfähigkeit ab 25. April 2024 wieder ein neuer sechswöchiger Entgeltfortzahlungsanspruch.

Bei einem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit innerhalb der 12-Monats-Frist, z. B. am 18. April 2024, hätte für diese Arbeitsunfähigkeit kein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestanden. Der Anspruch besteht dann erst wieder mit Beginn einer weiteren Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit.

Entgeltfortzahlung: anrechenbare Vorerkrankung

Angerechnet werden können nur Erkrankungen wegen derselben Krankheit. Um eine Anrechnung prüfen zu können, ist es somit erforderlich, die Krankheitsursache zu kennen. Die Informationen darüber sind dem Arbeitgeber meist jedoch nicht bekannt. Um dennoch die gesetzliche Regelung anwenden zu können, kann sich der Arbeitgeber an die Krankenkassen wegen der entsprechenden Prüfung wenden - denn die an die Krankenkasse übermittelten Daten erhalten einen Abschnitt der AU-Bescheinigung, welchem die Diagnose entnommen werden kann. Dadurch ist eine Prüfung möglich. Die Diagnosedaten werden dem Arbeitgeber beim Abruf der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht übermittelt. 

Bei privat Versicherten geht der Arbeitgeber standardmäßig von einer anrechenbaren Vorerkrankung aus, es sei denn, der Arbeitnehmende kann das Gegenteil nachweisen, um Anspruch auf Lohnfortzahlung bei neuer Arbeitsunfähigkeit zu erhalten.

Wie und wann kann die Prüfung durch die Krankenkasse eingeleitet werden?

Die Prüfung zur Anrechnung von Vorerkrankungen ist im DTA EEL bei den Krankenkassen zu beauftragen. Hierbei übermittelt der Arbeitgeber der Krankenkasse neben den grundsätzlichen Identifikationsdaten den Zeitraum der aktuellen Arbeitsunfähigkeit (AU) und der zu prüfenden Vorerkrankungen. Eine Anfrage darf jedoch erst nach individueller Prüfung der Notwendigkeit erfolgen. Der Arbeitgeber darf somit Vorerkrankungen nur dann durch die Krankenkassen prüfen lassen, wenn

  • der oder die Arbeitnehmende gesetzlich krankenversichert ist,
  • die aktuelle und die zu prüfende Erkrankung durch den Abruf der Arbeitsunfähigkeitsdaten bescheinigt vorliegen und
  • alle Krankheiten zusammen mindestens 30 Tage umfassen.

Anrechenbare Vorerkrankung: Wie erfolgt die Prüfung?

Damit die Krankenkasse den Zusammenhang von AU-Zeiten prüfen kann, benötigt sie die Diagnosen. Die Prüfung kann daher erst erfolgen, wenn der Krankenkasse alle entsprechenden AU-Nachweise vorliegen. Gegebenenfalls werden diese beim Versicherten oder Arzt nachgefordert. Liegen alle AU-Nachweise vor, prüft die Krankenkasse anhand der Diagnosen, inwieweit die Vorerkrankungen auf dieselbe Grunderkrankung wie die aktuelle Erkrankung zurückzuführen sind.

Die Prüfung kann hierbei nicht automatisch erfolgen, weil gleiche Diagnosen nicht immer auch derselben Grunderkrankung zugeordnet werden können. So können unabhängig voneinander zum Beispiel Erkrankungen aufgrund einer Depression vorliegen, welche jedoch auf unterschiedliche Ereignisse zurückzuführen sind und daher nicht aufeinander angerechnet werden dürfen. Kann anhand der Diagnose ein Zusammenhang nicht zweifelsfrei durch die Krankenkasse beurteilt werden, müssen die behandelnden Ärzte und Ärztinnen oder der Medizinische Dienst in die Prüfung eingebunden werden.

Rückmeldung erfolgt ebenfalls im Datensatz

Nach abschließender Beurteilung übermittelt die Krankenkasse das Ergebnis ebenfalls im Datensatz an den Arbeitgeber zurück. Hierbei kann der Arbeitgeber dem Datensatz zu jeder Vorerkrankung entnehmen, ob der Krankenkasse ein Nachweis für die Vorerkrankung vorliegt und wenn nur teilweise, für welchen Zeitraum. Zudem teilt die Krankenkasse mit, ob der vorliegende und demnach prüfbare AU-Zeitraum anrechenbar, nicht anrechenbar oder nur teilweise anrechenbar ist. Dies ist notwendig, weil bei wechselnder Diagnose eine Arbeitsunfähigkeit trotz durchgehendem Zeitraum nur teilweise auf dieselbe Grunderkrankung zurückzuführen sein kann. In diesem Fall übermittelt die Krankenkasse den anrechenbaren Zeitraum. Auf der Basis dieser Rückmeldung kann der Arbeitgeber über die Dauer der Entgeltfortzahlung abschließend entscheiden.

Verbindlichkeit der Feststellung der Krankenkasse

In der Begründung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 18. Januar 2023 (5 AZR 93/22) hat das Gericht ausgeführt, dass die Mitteilung der Krankenkasse zum (Nicht-)Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen ggf. keine dem Gewährungsanspruch genügende Kontrolle darstellt. Die Einschätzung an den Arbeitgeber bindet aber weder diesen noch die Gerichte für Arbeitssachen. Die Mitteilung der Krankenkasse hat keinen mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vergleichbaren Beweiswert. Dies gilt gerade mit Blick darauf, dass die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden können. 


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