Stadt der Zukunft: Konzepte

Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit: Im Konzept der 15-Minuten-Stadt sind die Wege kurz, im Idealfall ist alles mit dem Rad oder zu Fuß erreichbar. Ein Panel auf der Expo Real kam zu spannenden Ergebnissen – im Neubau liegt des Rätsels Lösung und das Automobil muss nicht verbannt werden.

Für Alain Thierstein, Professor am Lehrstuhl für Raumentwicklung an der Technischen Universität (TU) München, liegt die Herausforderung beim Umbau eines Quartiers hin zu einer Stadt der kurzen Wege in der Dominanz des Automobils: "Der Straßenbau muss revolutioniert werden. Ein Anfang wäre, den Straßenraum umzubauen." Straßen, in denen auf beiden Seiten geparkt wird, sollten einseitig freigegeben werden für andere Nutzungskonzepte. Dies sei keine Utopie, sondern werde bereits in Städten umgesetzt und könnte Grünflächen, Restaurants und (zeitlich begrenzte) Logistikflächen für Warenströme schaffen.

Unter der Moderation von Dirk Labusch, Chefredakteur der "Immobilienwirtschaft, sprachen vier Branchenkenner zum Thema 15-Minuten-Stadt miteinander: Neben Thierstein waren das Thomas Beyerle, Geschäftsführer von Catella, Stefan Kögl, oberster Baumeister bei Siemens Real Estate (SRE),  und Sabine de Buhr, Leiterin Städtebau bei der IBA Hamburg GmbH.

Mobility Hubs und multimediale Straßen

Panel-Teilnehmer Kögl sieht die Zukunft eher in multimedialen Straßen. Er ist General Manager der "Siemensstadt 2.0", einem Projekt in Berlin, auf dem ein zirka 70 Hektar großes Industrieareal in einen urbanen zukunftsfähigen Stadtteil mit einer Million Quadratmeter Nutzfläche transformiert wird. Dort setze man auf ein Straßensystem mit U-Bahn, S-Bahn und künftigem autonomem Fahren. "Den Verkehr wegsperren funktioniert nicht", ist sich Kögl sicher.

Dem stimmte Urbanistin de Buhr zu. So habe man in Hamburgs zweitgrößtem Stadtentwicklungsprojekt Oberbillwerder gezielt nach den Wünschen der zukünftigen Anwohner gefragt und schnell sei klar gewesen: "Das Fahrrad wird eine wichtige Rolle spielen, aber die Oberbillwerder Bürger fahren auch gerne Auto." Zugeparkte Straßenränder seien nicht gewünscht, vielmehr würden die Parkplätze für die Bewohnerinnen und Bewohner in sogenannten Mobility Hubs konzentriert. Gleichzeitig setze man in Oberbillwerder darauf, den ÖPNV zu stärken und interessant zu machen.

Kögl und de Buhr sind sich einig, dass die Zusammenarbeit mit der Stadt unerlässlich ist für eine erfolgreiche Projektentwicklung. "Bei einer innovativen Entwicklung wie der Siemensstadt 2.0 treten immer Hürden auf, in Berlin ist die Unterstützung für das Projekt aber da und wir arbeiten an einem gemeinsamen Ziel", so Kögl. Auch in Hamburg arbeite man in enger Abstimmung mit dem Senat, sagte Sabine de Buhr. Oberbillwerder sei ein komplett neuer Stadtteil, man habe sich viel mit Kollegen aus Kopenhagen und den Niederlanden ausgetauscht und aus deren Erfahrungen einen Masterplan für Hamburg erstellt. "Die 15-Minuten-Stadt im Quartier umzusetzen ist relativ einfach", so IBA-Expertin de Buhr. Was die Bedürfnisse der Menschen angeht, sind funktionierende Modelle für Kögl wiederum nicht problemlos von einem Land auf ein anderes adaptierbar.

Städtebau aus den 1930er-Jahren

In der Diskussionsrunde fragte Moderator Labusch gezielt nach den Veränderungen, die durch Corona entstanden sind oder dadurch beeinflusst wurden. Kögl sieht vor allem beim Einzelhandel den Pandemie-Einfluss: "Wir schauen beim Projektbau zu sehr, welche Filialen man in das Erdgeschoss bauen kann und gucken auf den Handel. Aber welche Geschäfte brauchen die Anwohner eigentlich?" Er ist sich sicher, dass in ein paar Jahren stationäre Ladengeschäfte überflüssig sein werden, "da wir alle online kaufen".

Einen Stadtteil mit 10.000 Wohnungen zu bauen, mache man nicht eben so, ergänzte de Buhr. Die Entwicklung dauere unglaublich lange. "Wir planen in Oberbillwerder konventionell mit Einzelhandel, müssen aber aufgrund des langen Vorlaufzeitraums flexibel auf Nutzungsänderungen reagieren können."

Professor Thierstein ging noch auf den Aspekt Städtebau ein: "Da sind wir in den 1930er-Jahren steckengeblieben. Nach wie vor wollen und haben wir die Bereiche Wohnen und Arbeiten nicht nah beieinander." Vielmehr sei die 45-Minuten Stadt seit Jahrzehnten die Realität. Corona schaffe nun einen verstärkten Blick nach innen – auf die Stärkung der Quartiere.

Für Catella-Chefresearcher Beyerle ist klar: "Wir werden in den nächsten 20 Jahren in Europa keine 15-Minuten-Stadt umbauen können." Sowohl er als auch Kögl mit seiner Siemensstadt-Erfahrung sind sich sicher: Das Konzept umsetzen könne man nur beim Neubau.

Schlagworte zum Thema:  Immobilienwirtschaft, Stadtentwicklung