Preisbindungsverbot im Lebensmitteleinzelhandel

Das Bundeskartellamt hat am 12. Juli 2017 das finale Hinweispapier zum Preisbindungsverbot im Bereich des stationären Lebensmitteleinzelhandels veröffentlicht. Ein entsprechendes Konsultationspapier war bereits im Januar 2017 vom Bundeskartellamt zirkuliert worden. Obwohl das Papier sich formell nur auf den Lebensmitteleinzelhandel bezieht, sind die enthaltenen Grundsätze und Hinweise von allgemeiner Bedeutung und somit auch für Unternehmen in anderen Bereichen richtungsweisend.

Hintergrund

In den vergangenen Jahren hatte sich das Bundeskartellamt in einer Reihe von Verfahren intensiv mit den Geschäftsbeziehungen zwischen den Händlern und den Herstellern in der Lebensmittelbranche befasst. Im Jahr 2016 hatte das Bundeskartellamt wegen Preisabsprachen zwischen Händlern und Herstellern der Lebensmittelbranche Bußgelder in Höhe von insgesamt 260 Mio. Euro gegen 27 Unternehmen verhängt (so genannter „großer Vertikalfall“). Im Rahmen dieses Verfahrens hatte das Bundeskartellamt bereits im Jahr 2014 eine so genannte „Handreichung" veröffentlicht; ein einmaliger Vorgang, der die besondere kartellrechtliche Komplexität der relevanten Fragestellungen unterstreicht. 2015 hatte das Bundeskartellamt zudem angekündigt, dass es die Handreichung durch einen Leitfaden zum Thema „Vertikale Preisbindung im Lebensmitteleinzelhandel" ersetzen wolle. Zusätzliche Erkenntnisse zog das Bundeskartellamt aus seiner von 2011 bis 2014 durchgeführten Sektorenuntersuchung zum Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland.

Zweck

Mit dem Hinweispapier zieht das Bundeskartellamt ein Resümee aus dem sog. großen Vertikalfall und möchte auch solchen Unternehmen, die unter permanenter kartellrechtlicher Beratung stehen, praktische Hinweise für kartellrechtskonformes Verhalten geben. Das  Hinweispapier soll gerade auch kleineren Marktteilnehmern der Branche anhand von Praxisbeispielen Hintergrund, Zweck und Reichweite des Preisbindungsverbots erläutern. Das Hinweispapier soll diesen Unternehmen ein praktisches Instrument an die Hand geben, das ihnen eine belastbare Beurteilung ermöglicht, wo die Grenze zwischen notwendiger, sinnvoller Kommunikation einerseits und kartellrechtswidrigem Verhalten andererseits verläuft.

Inhalt

Das Hinweispapier leitet mit einem Überblick über die grundsätzliche rechtliche und ökonomische Bewertung von vertikalen Preisabsprachen in die Thematik ein. Das Hinweispapier geht dann auf die kartellrechtliche Behandlung folgender Themen ein, die anhand von Fallbeispielen erläutert werden:

  • Vereinbarung von Fest- und Mindestpreisen
  • Unverbindliche Preisempfehlungen
  • Mengenmanagement/Aktionsplanung
  • Spannengarantien/Nachverhandlungen
  • Nichtaufnahme und Abbruch von Geschäftsbeziehungen
  • Datenaustausch zwischen Händlern und Herstellern

Das Bundeskartellamt stellt ausdrücklich klar, dass sich das Hinweispapier weder mit Fragen des Missbrauchs von Marktmacht entlang der Wertschöpfungskette, noch mit dem Verbot horizontaler Absprachen zwischen Herstellern bzw. Handelsunternehmen befasst.

Ausgewählte Einzelfragen

Das Hinweispapier weist darauf hin, dass Preisbindungen grundsätzlich kartellrechtliche Bedenken hervorrufen, und in der Praxis lediglich in den folgenden drei Fallgestaltungen denkbar sind:

  • bei der Markteinführung neuer Produkte,
  • bei kurzfristigen Sonderangebotskampagnen in Franchise- oder franchiseähnlichen Systemen und
  • zur Vermeidung der Trittbrettfahrerproblematik bei beratungsintensiven Produkten.

Die eingehende Begründung dazu, warum gerade diese Fallgruppen eine kartellrechtliche Sonderbehandlung rechtfertigen, liefert das Hinweispapier in Rz. 29 ff.

Wichtig und richtig ist der ausdrückliche Hinweis darauf, dass bei Preisbindungen sowohl das bindende Unternehmen als auch das gebundene Unternehmen kartellrechtswidrig verhalten und bebußt werden können. Allzu häufig ist die fehlerhafte Einschätzung anzutreffen, dass das gebundene Unternehmen sich eher in der Opferrolle befinde und sich daher keinen kartellrechtlichen Vorwürfen ausgesetzt sieht. 

Betreffend unverbindlicher Preisempfehlungen bezeichnet das Bundeskartellamt es als ratsam, dass der Händler dem Hersteller gegenüber Rückäußerungen dazu vermeidet, die den Anschein einer Zusage erwecken, er werde die Preisempfehlung befolgen (Tz. 58). Als Rechtsrat zur vorsorglichen Vermeidung von Erklärungsnöten mag das richtig sein. Eine saubere dogmatische Trennlinie zwischen (im Zweifel unzulässiger) Vereinbarung und erlaubtem autonomem Verhalten wir hier indes nicht gezeichnet.

 

Problematisch scheinen diverse Mutmaßungen, auf die das Bundeskartellamt die Beurteilung seiner Praxisbeispiele teilweise stützt:

  • So müsse ein Händler, der ausdrücklich gegenüber dem Hersteller die Einhaltung der unverbindlichen Preisempfehlung erklärt, damit rechnen, dass der Hersteller dies als Argument im Verhältnis zu anderen Herstellern nutzten werde, so dass der erste Händler quasi sehenden Auges sich auf ein horizontales Preiskartell mit seinen Wettbewerbern einlässt (vgl. Tz. 63).
  • Eine andere Mutmaßung ist, dass Margengarantien durch den Hersteller derart vom Händler verstanden würden, dass andere Händler sich an unverbindliche Preisempfehlungen halten würden (Tz. 78).

Derartige Ausführungen entbehren nicht nur eines soliden dogmatischen Fundaments, sondern sind tatsächlich sehr weit hergeholt und stiften massive rechtliche Verunsicherung. Das ist nicht hilfreich. Wenn ein Bäcker bei einem anderen Bäcker ein Brötchen kauft und anstandslos die 40 Cent zahlt, dann sollte dies auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er implizit ein Preiskartell zu diesem Preis suggeriert.   


Erfreulich klar sind die Ausführungen des Bundeskartellamts zum "Datenaustausch zwischen Händlern und Herstellern" (Tz. 95 ff.). Dort wird festgehalten: "Kartellrechtlich ist eine derartige Zurverfügungstellung von Absatzdaten durch Händler an Hersteller grundsätzlich zulässig". Das Hinweispapier lässt indes keine Zweifel daran, dass der Datentausch zwischen Händlern und Herstellern in Abhängigkeit von seiner Intensität und Ausgestaltung durchaus die Schranken des kartellrechtlich Zulässigen durchbrechen kann. Augen auf!

Beurteilung

Das Hinweispapier stellt klar, dass vertikale Preisbindungen und ähnliche Wettbewerbsbeschränkungen keine Kavaliersdelikte und durchaus bußgeldbewehrt sind. Das Thema kann und darf also nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Vor diesem Hintergrund ist es auch gut und wichtig, dass das Bundeskartellamt mit dem Hinweispapier detaillierte Hinweise und Grundsätze für die Beurteilung der relevanten Sachverhalte festgeschrieben hat. Diese können Unternehmen – auch jenseits des Lebensmitteleinzelhandels – einen guten Einblick in die kartellrechtliche Problematik der vertikalen Preisbindung geben und als Hilfestellung dienen.

Das Hinweispapier weist jedoch selbst ausdrücklich darauf hin, dass bei der Bewertung, ob ein bestimmtes Verhalten unter das Preisbindungsverbot fällt, die Umstände des Einzelfalls von zentraler Bedeutung sind. Das Hinweispapier kann deswegen eine sorgfältige Selbsteinschätzung durch die betroffenen Unternehmen keinesfalls ersetzen.

Da kartellrechtliche Fallstricke in jedem Wettbewerberkontakt, in jedem Vertriebsvertrag, in jeder Preisentscheidung, in jedem Verbandstreffen, in jeder Vertriebsstrategie, in jedem Kundenkontakt und in vielen anderen täglichen Geschäftsvorgängen verborgen liegen können, sollte entsprechende Awareness geschaffen und Mitarbeiter geschult werden.

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