Dr. jur. Edgar Rose, Prof. Dr. Jürgen Taeger
Zusammenfassung
Die Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung – ArbStättV) stammt in ihrer Urfassung aus dem Jahre 1975 und ist damit die älteste der aktuell bestehenden Arbeitsschutzverordnungen. Am 25.8.2004 trat eine grundlegende Neufassung in Kraft, mit der die ArbStättV an das europäisch geprägte Regelungskonzept der übrigen Arbeitsschutzverordnungen angeglichen wurde. In nur 8 Paragrafen wurden Rahmenvorschriften zusammengefasst, die durch einen umfangreichen, in gleicher Weise verbindlichen Anhang mit technischen Detailregelungen ergänzt wurden. Nach mehreren geringfügigen Änderungen kam es 2010 und 2016 zu größeren Eingriffen in den Regelungsbestand, der u. a. um 2 Paragrafen erweitert wurde. Dabei ging es überwiegend um Klarstellungen und Anpassungen an andere Regelwerke. So wurden analog zu anderen Arbeitsschutzverordnungen Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung und zur Unterweisung der Beschäftigten eingefügt, die spezifische Ergänzungen zu den Grundregeln in den §§ 5 und 12 ArbSchG enthalten. 2016 wurde zudem der Regelungsbestand der Bildschirmarbeitsverordnung mit erheblichen Änderungen in den Anhang der ArbStättV überführt und der Anwendungsbereich auf bestimmte Telearbeitsplätze ausgedehnt. Am 1.1.2021 sind verschärfte Anforderungen an die Bereitstellung von Gemeinschaftsunterkünften in Kraft getreten, die seither auch für Einrichtungen außerhalb des Geländes eines Betriebs oder einer Baustelle gelten können.
Wesentlicher Bestandteil des Konzeptes der ArbStättV 2004 war die Bildung eines Ausschusses für Arbeitsstätten (ASTA) beim zuständigen Bundesministerium, der v. a. Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR) entwickeln soll. Diese sollen den jeweiligen Stand der Technik für die Praxis verbindlich aufzeigen. Durch ihre detaillierte und praxisnahe Formulierung prägen sie das deutsche Arbeitsstättenrecht auf anschauliche und hilfreiche Weise. Der ASTA sorgt für kontinuierliche Aktualisierungen.
1 .Einführung
1.1 Das Arbeitsstättenrecht
Das Ziel des Arbeitsstättenrechts ist die Sicherheit und der Schutz der Gesundheit der Beschäftigten vor Gefährdungen, die durch das Einrichten und das Betreiben von Arbeitsstätten hervorgerufen werden (vgl. § 1 Abs. 1 ArbStättV). Besonderes Augenmerk liegt auf der Verhütung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen, die zurückzuführen sind auf:
- nicht ordnungsgemäße bauliche Beschaffenheit,
- mangelhafte Ausstattung oder Unterhaltung von Arbeitsstätten (z. B. schadhafte oder verschmutzte Fußböden, schlecht gesicherte Treppen, ungeeignete oder zu eng bemessene Verkehrswege, zersplitternde Glaswände),
- gesundheitlich unzuträgliche Einflüsse (z. B. Betriebslärm, unzureichende Luft-, Klima- oder Beleuchtungsverhältnisse).
Das Arbeitsstättenrecht ist mit seinen in erster Linie sicherheitstechnischen, hygienischen und medizinischen Anforderungen an Arbeitsstätten dem technischen Arbeitsschutz zuzuordnen. Innerhalb der Kategorie des technischen Arbeitsschutzes steht es neben den anderen beiden zentralen Themenfeldern: dem Recht der Arbeitsmittel und Anlagen und dem Recht der Arbeits- bzw. Gefahrstoffe. Das Arbeitsstättenrecht ragt aus diesen 3 Gebieten insoweit heraus, als dass die bauliche Gestaltung der Arbeitsstätte regelmäßig die grundlegenden Bedingungen für die Praxis des Arbeitsschutzes setzt.
Zentraler Adressat des Arbeitsstättenrechts ist der Arbeitgeber
Er muss dafür sorgen, dass die Arbeitsstätten mit ihren zugehörigen Räumen, Verkehrswegen und Einrichtungen den rechtlichen Anforderungen entsprechend errichtet und betrieben werden. Dabei setzt die rechtliche Verantwortung des Arbeitgebers grundsätzlich erst mit dem Zeitpunkt der Beschäftigung von Personal ein. Um nachträgliche, kostspielige Änderungsmaßnahmen zu vermeiden, sind die Vorgaben aber bereits im Planungsstadium einer Arbeitsstätte sowie bei der anschließenden Bauausführung zu berücksichtigen. Das Arbeitsstättenrecht spielt hier vielfältig mit den ebenfalls an Sicherheitsbelangen orientierten Vorschriften des Bauordnungsrechts zusammen.
Im Zentrum des Arbeitsstättenrechts steht die Arbeitsstättenverordnung vom 12.8.2004 (BGBl. I, S. 2179). Weiterhin gehören zum Arbeitsstättenrecht:
- die Technischen Regeln für Arbeitsstätten, die vom Ausschuss für Arbeitsstätten erarbeitet und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt (und damit verbindlich) gemacht werden,
- zahlreiche Bestimmungen aus dem Regelwerk der Unfallversicherungsträger,
- andere Arbeitsschutzverordnungen, die zum Teil Einzelfragen des Arbeitsstättenrechts regeln, v. a. die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung, sowie daran anknüpfende Technische Regeln.
1.2 Die Ziele und Grundlagen der Arbeitsstättenverordnung 2004
Ziel der Reform 2004 war die Modernisierung des Arbeitsstättenrechts. Anstelle starrer Vorgaben sollten Anforderungen allgemeiner formuliert werden, um unterschiedlichen betrieblichen Anforderungen flexibler gerecht zu werden, ohne damit Abstriche von den Zielen des Gesundheitsschutzes und der Begegnung von Unfallgefahren in Kauf zu nehmen. Der Verordnungsgeber wollte nach dem Wortlaut der Begründ...