Leitsatz (amtlich)
Eine an ein Einfamilienhausgrundstück angrenzende unbebaute Fläche kann auch bei sog. offener Bauweise eine selbständige wirtschaftliche Einheit bilden.
Normenkette
BewG 1965 § 2 Abs. 1, § 70
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eigentümer der in der Stadt X liegenden Parzellen A (506 qm), B (316 qm) und C (512 qm). Die mit ihrer Schmalseite unmittelbar an der M.-Straße liegenden Parzellen A und B grenzen längsseitig aneinander. Die Parzelle B ist jedoch nur halb so lang (tief) wie die Parzelle A. Die ebenfalls rechteckige Parzelle C schließt im Anschluß an die Parzelle B im rechten Winkel an die Längsseite der Parzelle A an. Mit ihrer gegenüberliegenden Seite grenzt sie an die rechtwinkelig auf die M.-Straße treffende L.-Straße an. In ihrer Gesamtheit bilden die drei Parzellen eine L-förmige Fläche, die das Eckgrundstück an der M./L.-Straße umschließt. Die Parzellen A und B sind unbebaut und als Gartengelände (Rasen mit Blumenbeeten und einzelnen Bäumen) gestaltet. Zu diesem Hausgarten gehört auch der unbebaute Teil der mit dem Einfamilienhaus der Kläger bebauten Parzelle C.
Das an die Parzellen B und C einerseits und an die M.-Straße und L.-Straße andererseits angrenzende, 588 qm große Eckgrundstück B gehört der Tochter der Kläger und ist mit einem Doppelhaus bebaut. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) behandelte bei der Einheitsbewertung die Parzellen A und B als selbständige wirtschaftliche Einheit, während die Kläger der Auffassung sind, daß diese Parzellen zusammen mit der Parzelle C eine wirtschaftliche Einheit bilden.
Hinsichtlich der Lage der Parzellen hat das Finanzgericht (FG) festgestellt: Die M.-Straße ist eine Hauptverkehrsstraße, die L.-Straße dagegen eine ruhige Seitenstraße, die zu einer Parkanlage entlang eines Flußufers führt. In dem Gebiet westlich und östlich der L.-Straße herrscht nach den Feststellungen des FG offene Bauweise vor. Es sind auch andere Hausgrundstücke mit großem Gartengelände vorhanden. Diese Gärten liegen zwar nicht unmittelbar an einer Straße, haben aber teilweise in der Form eines Privatwegs einen unmittelbaren Zugang zur M.-Straße. Das FG hat ferner festgestellt, daß mit Ausnahme der Parzellen A und B Sämtliche unmittelbar an die M.-Straße angrenzenden Grundstücke, die hinsichtlich ihrer Größe mit dem streitigen Gartengelände vergleichbar sind, bebaut sind, Nach den weiteren Feststellungen des FG liegt die M.-Straße im Kerngebiet der Stadt X und in unmittelbarer Nähe des Flusses.
Das FA stellte für die Parzellen A und B auf den 1. Januar 1964 die Grundstücksart "unbebautes Grundstück" und einen Einheitswert von ... DM fest. Auf den Einspruch der Kläger hin ermäßigte das FA diesen Einheitswert. Dabei verminderte es die Gesamtfläche der wirtschaftlichen Einheit um 248 qm, indem es den in Verlängerung der Parzelle C gelegenen Teil der Parzelle A der Wirtschaftlichen Einheit des Einfamilienhauses der Kläger (Parzelle C) zurechnete. Das FG sah die (Rest-) Parzelle A und die Parzelle B als selbständige wirtschaftliche Einheit an.
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie Verletzung der §§ 2 Abs. 1 und 70 des Bewertungsgesetzes 1965 (BewG 1965) rügen. Nach Ansicht der Kläger hat das FG zu Unrecht auf die Verhältnisse zum Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 abgestellt. Zutreffenderweise hätten die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erwerbs der fraglichen Parzellen berücksichtigt werden müssen. Ferner sei entscheidungserheblich, daß sie, die Kläger, zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt hätten, das als Garten genutzte Gelände zu bebauen. Die Vorentscheidung habe auch nicht ausreichend berücksichtigt, daß die streitigen Parzellen unmittelbar hinter dem der einzigen Tochter und Erbin der Kläger gehörenden Eckgrundstück gelegen sind. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, wann die hinter diesem Grundstück liegende Gartenfläche der Tochter übereignet werde. Zwischenzeitlich sei die Parzelle B auch tatsächlich übereignet worden. Die Kläger sind ferner der Ansicht, daß es ökologischen Forderungen widerspreche, die streitbefangenen Parzellen zu bebauen. Bei einer Bebauung werde nämlich wertvoller Baum- und Strauchbestand sowie die Grünfläche vernichtet. Die Erhaltung der Gartenanlage sei im Interesse der Verbesserung des Kleinklimas erforderlich.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Einheitswertbescheid aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat zu Recht die (Rest-)Parzelle A und die Parzelle B als eine selbständige wirtschaftliche Einheit behandelt und ihren Wert nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BewG 1965 im ganzen festgestellt.
1. Nach § 70 Abs. 1 BewG 1965 bildet jede wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens ein Grundstück i. S. des Bewertungsgesetzes, für das ein Einheitswert festzustellen ist. Was als wirtschaftliche Einheit zu gelten hat, bestimmt sich nach den Anschauungen des Verkehrs (§ 2 Abs. 1 Satz 3 BewG 1965). Dabei sind nach § 2 Abs. 1 Sat=4 BewG 1965 die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen. Dementsprechend sind neben rein objektiven auch subjektive Merkmale maßgebend. Stehen allerdings subjektive Merkmale, wie beispielsweise die Zweckbestimmung, im Widerspruch zu objektiven Merkmalen, wie beispielsweise die örtliche Gewohnheit, so sind die objektiven Merkmale entscheidend (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Oktober 1970 III R 163/66, BFHE 100, 213, BStBl II 1970, 822; vom 4. Oktober 1974 III R 127/73, BFHE 113, 470, BStBl II 1975, 302).
Nach diesen Grundsätzen entscheidet sich auch, ob und inwieweit ein an ein bebautes Grundstück angrenzendes unbebautes Gelände noch als zum Haus gehörig oder als selbständige wirtschaftliche Einheit anzusehen ist. Dabei kommt es maßgeblich auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles an. Insbesondere ist es von Bedeutung, ob sich das Gelände in einem Wohngebiet mit sog. offener Bauweise (einzelstehende Häuser oder einzelstehende Blöcke, § 22 Abs. 2 der Baunutzungsverordnung - BauNVO - vom 26. Juni 1962, BGBl I 1962, 429) oder in einem solchen mit geschlossener Bauweise (Reihenbauweise, § 22 Abs. 3 BauNVO) befindet. Im ersteren Fall ist zu berücksichtigen, daß die einzelnen Grundstücke regelmäßig eine Größe haben, die nicht nur die Errichtung des Gebäudes, sondern auch die Anlage eines größeren Gartens oder einer Grünfläche gestattet. Eine Abtrennung von Grundstücksflächen ist insoweit regelmäßig nicht möglich. Anders verhält es sich jedoch, wenn sich eine örtliche Gewohnheit dahin gehend gebildet hat, selbständig zugängliche Teilflächen zu bebauen (vgl. BFH-Urteil III R 127/73; Gürsching/Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 70 BewG Rdnr. 17; Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 11. Aufl., § 70 BewG Rdnr. 6). Dies setzt nicht notwendigerweise voraus, das sämtliche in Betracht kommenden Grundstückseigentümer ihr Grundstück zu bebauen beabsichtigen.
Entgegen der Auffassung der Kläger kommt es bei der Beurteilung, ob sich eine derartige örtliche Gewohnheit gebildet hat, entscheidend auf die Verhältnisse am maßgeblichen Bewertungsstichtag an. Das FG weist insoweit zu Recht auf die Regelung des § 21 Abs. 2 Satz 1 BewG 1965 hin, wonach der Hauptfeststellung die Verhältnisse zu Beginn des Kalenderjahres (Feststellungszeitpunkt) zugrunde gelegt werden. Alle Umstände, die bis zum Beginn des Hauptfeststellungszeitpunkts eingetreten sind, müssen bei der Feststellung des Einheitswerts berücksichtigt werden.
2. Das FG ist von dieser Rechtsauffassung ausgegangen. Es ist entgegen der Auffassung der Kläger insbesondere nicht von den Grundsätzen des BFH-Urteils III R 127/73 abgewichen. Das FG hat den zutreffend ermittelten Inhalt des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit ohne Rechtsfehler auf den von ihm festgestellten Sachverhalt übertragen. Es hat aus den von ihm getroffenen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist, zu Recht gefolgert, daß die streitbefangenen Parzellen weder dem Einfamilienhausgrundstück der Kläger noch dem der Tochter gehörenden Eckgrundstück zuzuordnen waren, sondern daß es sich bei ihnen vielmehr um eine selbständige wirtschaftliche Einheit (§ 2 Abs. 1 BewG 1965) handelte.
Die Parzellen bilden zwar zusammen mit dem zum Einfamilienhausgrundstück der Kläger gehörenden Gartengelände bestimmungsgemäß eine einheitliche Gartenanlage, die auch zum Eckgrundstück hin offen ist. Dem entspricht die tatsächliche Nutzung. Dabei geht der Senat davon aus, daß die Kläger zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt haben, den an die M.-Straße angrenzenden Teil des Gartens zu bebauen. Diese subjektiven Merkmale treten jedoch gegenüber dem Umstand zurück, daß die fraglichen Parzellen wirtschaftlich zu keinem anderen Grundstück gehören, und daß sich darüber hinaus eine örtliche Gewohnheit gebildet hat, die in der Umgebung gelegenen unbebauten Teilflächen jedenfalls dann zu bebauen, wenn sie einen unmittelbaren Zugang zur Straße haben und eine zur Bebauung geeignete Größe aufweisen.
a) An der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zum eigenen Einfamilienhausgrundstück der Kläger fehlt es deshalb, weil dieses einen auch im Vergleich zu den Nachbargrundstücken ausreichend großen Garten aufweist. Die herkömmliche Nutzung als Hausgarten allein begründet die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit beider Grundstücke noch nicht. Ebensowenig sind die fraglichen Parzellen dem Eckgrundstück der Tochter allein deshalb wirtschaftlich zuzuordnen, weil diese den Garten mitnutzt; denn nach der eindeutigen Regelung des § 2 Abs. 2 BewG 1965 ist eine Zusammenfassung mehrerer Wirtschaftsgüter zu einer wirtschaftlichen Einheit nur bei einheitlichem Eigentum möglich. Dabei ist unerheblich, daß die Kläger beabsichtigt hatten, das streitbefangene Grundstück der Tochter zu übereignen. Entscheidend ist, daß im maßgeblichen Feststellungszeitpunkt das Eigentum noch nicht übertragen war. Darüber, ob sich möglicherweise eine andere rechtliche Beurteilung dadurch ergibt, daß die Tochter zwischenzeitlich Eigentümerin der Parzelle B geworden ist, kann der Senat nicht befinden; denn die Änderung in den Eigentumsverhältnissen betrifft einen anderen als den streitigen Feststellungszeitpunkt.
b) Die Würdigung des FG, es habe sich trotz offener Bauweise zum maßgeblichen Hauptfeststellungszeitpunkt eine örtliche Gewohnheit gebildet, unter den bereits genannten Voraussetzungen Teilflächen zu bebauen, ist nicht zu beanstanden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Senat die Würdigung des FG nur daraufhin überprüfen kann, ob sie möglich ist.
Das FG hat zu Recht die Bebauung der unmittelbar an die M.-Straße angrenzenden und von der Größe her vergleichbaren Grundstücke sowie die Lage der M.-Straße innerhalb der Stadt X als entscheidend angesehen. Auch das streitbefangene, unmittelbar an die M.-Straße angrenzende Grundstück ist - baurechtlich gesehen - selbständig und jederzeit bebaubar. von der Größe her ist es sowohl mit dem Einfamilienhausgrundstück der Kläger als auch mit dem Eckgrundstück der Tochter vergleichbar. Die von den Klägern vorgesehene Eigentumsübertragung stand der Bebaubarkeit des streitbefangenen Grundstücks nicht entgegen.
Die Kläger können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß auf den bebauten Nachbargrundstücken E und F sich jeweils ein Hausgarten befindet, der etwa die gleiche Größe wie die Gartenanlage der Kläger aufweist. Diese Grundstücke können nicht zum Vergleich dienen. Ihre besondere Größe ist nämlich dadurch bedingt, daß sie nicht unmittelbar an der M.-Straße liegen, sondern von Nachbargrundstücken umschlossen sind und nur über einen Privatweg zur M.-Straße - und nur zu dieser - Zugang haben.
Entgegen der Ansicht der Kläger erfordern auch die von ihnen vorgetragenen ökologischen Gesichtspunkte nicht eine andere Beurteilung. Entscheidend ist dabei, daß diese Gesichtspunkte die Kläger zu keinem Zeitpunkt daran gehindert haben würden, das streitbefangene Grundstück tatsächlich zu bebauen. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, daß - wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben - am maßgeblichen Stichtag auf dem Grundstück eine große Buche gestanden habe. Abgesehen davon, daß es sich insoweit um neues tatsächliches Vorbringen handelt, das in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann, beeinträchtigte der Baum die Bebaubarkeit des Grundstücks nicht. Er war insbesondere nicht als geschützter Landschaftsbestandteil bezeichnet.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt es nach Ansicht des Senats nicht mehr entscheidend darauf an, ob, wie das FG meint, mit der Zuordnung der Parzellen A und B zu dem Einfamilienhausgrundstück der Kläger ein ungewöhnlicher Grundstückszuschnitt geschaffen würde. Die von den Klägern insoweit erhobenen Einwände sind damit gegenstandslos.
Fundstellen
Haufe-Index 73055 |
BStBl II 1979, 279 |
BFHE 1979, 59 |