Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuertarif bei gemeinschaftlichem Testament mit dem Recht des überlebenden Ehegatten, anderweitig zu testieren

 

Leitsatz (amtlich)

Im Falle eines gemeinschaftlichen Testaments findet § 15 Abs.3 ErbStG 1974 keine Anwendung, wenn der zuletzt verstorbene Ehegatte testamentarisch berechtigt war, über den Nachlaß frei zu verfügen und durch eine letztwillige Verfügung die Erbfolge teilweise neu regelt.

 

Orientierungssatz

1. NV: Ein Verwaltungsakt ist nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. NV: Ist während des Revisionsverfahrens ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens geworden, so bedarf es einer Zurückverweisung der Sache an das FG dann nicht, wenn die Sache spruchreif ist. Die Entscheidung in der Sache setzt aber voraus, daß das FG-Urteil aufgehoben wird. Die tatsächlichen Feststellungen des FG wirken aber trotz der Aufhebung des FG-Urteils fort und bleiben erhalten (vgl. BFH-Urteil vom 20.7.1988 II R 164/75).

 

Normenkette

ErbStG 1974 § 15 Abs. 3; AO 1977 § 125 Abs. 1; FGO §§ 127, 118 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg (Entscheidung vom 19.06.1986; Aktenzeichen VI 381/84)

 

Tatbestand

I. Der 1980 verstorbene E X und seine 1984 verstorbene Ehefrau (Erblasserin) hatten durch gemeinschaftliches Testament i.S. des § 2269 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sich gegenseitig zu alleinigen Erben des gesamten Nachlasses eingesetzt. Als Schlußerbe wurde u.a. zu 1/4 die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) eingesetzt. Weiterhin hatten die Eheleute verfügt:

"Der Überlebende ist berechtigt, das Testament bezüglich der Erbeinsetzungen und der Vermächtnisanordnungen jederzeit zu ändern, jedoch ist im Fall einer Wiederverheiratung jegliches Vermächtnis und eine Erbfolge zugunsten eines neuen Ehepartners ausgeschlossen."

Nach dem Tode des Ehemannes errichtete die Erblasserin am 4.Oktober 1983 ein eigenhändiges Testament, das u.a. wie folgt lautete:

"Aufgrund der Ermächtigung meines verstorbenen Mannes ändere ich dieses Testament wie folgt ab: Erben meines Vermögens sind: 1. zu 5/20 wie bisher Frau G X .." (Klägerin).

Anstelle eines bereits verstorbenen Schlußerben setzte die Erblasserin andere Personen ein, minderte den Erbanteil des dritten Geschwisters ihres verstorbenen Ehemannes um die Hälfte und wendete die frei werdende Hälfte einer anderen Person zu.

Die Klägerin beantragte als Schwester des vorverstorbenen E X, die Erbschaftsteuer gemäß § 15 Abs.3 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1974 nach Steuerklasse III zu berechnen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) sah in dem Testament vom 4.Oktober 1983 eine neue Erbeinsetzung und setzte Erbschaftsteuer unter Anwendung der Steuerklasse IV in dem Erbschaftsteuerbescheid vom 1.August 1984 in Höhe von 49 530 DM fest. Das Einspruchsverfahren führte zu einer Minderung der Erbschaftsteuer auf 44 150 DM.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und setzte die Erbschaftsteuer unter Anwendung des § 15 Abs.3 ErbStG 1974 auf 25 041 DM herab.

Das FA legte Revision ein. ++/ Im Laufe des Revisionsverfahrens änderte es gemäß § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) "den Bescheid vom 19.Juni 1986 in Gestalt des Urteils des FG Nürnberg" und setzte die Erbschaftsteuer in Höhe von 29 353 DM fest. Unverändert blieb der Wert der Bereicherung der Klägerin. Das FA teilte jedoch den ihr zugefallenen Nachlaß (Erbteil) insoweit auf, als es einen Teil dem Vermögen des vorverstorbenen Ehemannes und den Rest dem Vermögen der letztverstorbenen M X zurechnete. Bezüglich des Erbteils, der aus dem Vermögen des vorverstorbenen Ehemanns stammte, wendete das FA § 15 Abs.3 ErbStG 1974 an und gab damit dem Begehren der Klägerin statt; bezüglich des restlichen Erbteils legte es die Steuerklasse IV zugrunde.

Die Klägerin beantragte, den geänderten Steuerbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA beantragt, der Revision in vollem Umfang stattzugeben, hilfsweise Zurückverweisung an das FG. Der Bescheid vom 3.Dezember 1986 sei nichtig, da es einen Bescheid vom 19.Juni 1986, auf den sich der Änderungsbescheid stütze, nicht gebe. Sollte der Änderungsbescheid wirksam sein, so könnte nicht ausgeschlossen werden, daß die Tatsacheninstanz nach Zurückverweisung durch den BFH feststellen könnte, daß die Erblasserin mehr eigenes Vermögen besessen habe, als bisher im Änderungsbescheid zugrunde gelegt worden sei. Zumindest in dieser Differenz würde die Rechtsfrage bezüglich der Steuerklasse erneut zu prüfen sein.

Das auf Antrag mit Beschluß des Senats vom 18.Oktober 1989 ausgesetzte Verfahren wurde mit den Erben der Klägerin (Kläger) wieder aufgenommen. /++

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA ist ++/ zum Teil unzulässig, im übrigen /++ begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Abweisung der Klage.

++/ Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 3.Dezember 1986, mit dem der ursprüngliche Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.Oktober 1984 geändert und die Erbschaftsteuer auf 29 353 DM festgesetzt wurde. Der Änderungsbescheid ist verfahrensrechtlich ein neuer Verwaltungsakt (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 20.Juli 1988 II R 164/85, BFHE 154, 13, BStBl II 1988, 955) und durch den Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Verfahrensgegenstand der Revision geworden.

Dieser Verwaltungsakt ist entgegen dem Vortrag des FA nicht nach § 125 Abs.1 AO 1977 nichtig. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist (vgl. BFH-Urteil vom 18.Oktober 1988 VII R 123/85, BFHE 154, 446, BStBl II 1989, 76; vom 22.November 1988 VII R 173/85, BFHE 155, 24, 28, BStBl II 1989, 220).

Die Nichtigkeit könnte im Streitfall nur darauf beruhen, daß in den Erläuterungen auf den "Bescheid vom 19.6.1986 in Gestalt des Urteils des FG Nürnberg" hingewiesen wurde. Einen solchen Bescheid gibt es nicht. Der Bescheid ist jedoch in der Weise zu verstehen, daß das FA die Einspruchsentscheidung unter Anerkennung der Rechtsmeinung, die im Urteil des FG vom 19.Juni 1986 zum Ausdruck gekommen ist, ändern wollte. Für einen verständigen Dritten ergibt sich dies aus dem Hinweis auf § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977, aus der Berechnungsspalte "Wie bisher" und der Anwendung der Steuerklasse III bezüglich eines Teils des der Klägerin zugefallenen Nachlasses mit dem Hinweis auf das Urteil des FG Nürnberg, daß der streitgegenständliche Steuerbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung geändert wird und nicht das Urteil selbst.

Nach § 127 FGO kann der BFH, wenn während des Revisionsverfahrens ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens geworden ist, das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen. Im Streitfall bedarf es einer Zurückverweisung nicht, da die Sache spruchreif ist. Der vom FG festgestellte Sachverhalt reicht aus, um abschließend prüfen und beurteilen zu können, ob der zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordene Änderungsbescheid rechtmäßig ist. Die Entscheidung in der Sache selbst setzt aber voraus, daß das FG-Urteil aufgehoben wird. Denn dieses Urteil betraf einen Verwaltungsakt, der nicht mehr Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. Trotz Aufhebung des FG-Urteils wirken die tatsächlichen Feststellungen des FG fort und bleiben erhalten (BFH-Urteil vom 20.Juli 1988 II R 164/75, BFHE 154, 13, BStBl II 1988, 955).

Soweit das FA im Revisionsantrag die Festsetzung der Erbschaftsteuer in Höhe des ursprünglichen Bescheides (in Gestalt der Einspruchsentscheidung) begehrt, ist die Revision unzulässig. Denn durch den Erlaß des Änderungsbescheids hat sich das FA der Beschwer begeben.

Im übrigen erweist sich die Revision des FA im Ergebnis als begründet, weil die Klage abzuweisen ist. /++

Haben sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt und bestimmt, daß nach dem Tod des Überlebenden der Nachlaß an einen Dritten fallen soll (Berliner Testament), so ist bürgerlich-rechtlich im Zweifel anzunehmen, daß der Dritte für den gesamten Nachlaß als Erbe des Zuletztversterbenden eingesetzt ist (§ 2269 Abs.1 BGB). Erbschaftsteuerrechtlich sind nach § 15 Abs.3 ErbStG 1974 (und auch schon der Vorgängervorschrift § 10 Abs.3 ErbStG 1959) die mit dem zuerst versterbenden Ehegatten näher verwandten Erben (und Vermächtnisnehmer) als dessen Erben anzusehen, soweit der überlebende Ehegatte an die Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments gebunden und soweit Vermögen des zuerst verstorbenen Ehegatten beim Tod des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist. Diese Vorschrift beruht auf der Überlegung, daß es unbillig ist, allein auf das Verwandtschaftsverhältnis zu dem zuletzt versterbenden Ehegatten abzustellen, soweit das dem Schlußerben anfallende Vermögen von dem zuerst verstorbenen Ehegatten stammt und der Erbe aufgrund seines Verwandtschaftsverhältnisses zu diesem Ehegatten in eine günstigere Steuerklasse fällt (vgl. BTDrucks VI/3418, S.69 zu § 15); denn beim gemeinschaftlichen Testament mit Bindung des zuletzt versterbenden Ehegatten erwirbt der Schlußerbe nach dem Tod des zuletzt versterbenden Ehegatten die Erbschaft aufgrund des Willens beider Ehegatten. Aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung hat der Senat in seiner Entscheidung vom 16.September 1982 II R 20/81 (BFHE 136, 552, BStBl II 1983, 44) gefolgert, daß die Anwendung des § 15 Abs.3 ErbStG 1974 nicht ausgeschlossen ist, wenn dem überlebenden Ehegatten das Recht eingeräumt wurde, nach dem Tod des zuerst Versterbenden anderweitig zu testieren, wenn er von dieser Möglichkeit aber keinen Gebraucht gemacht hat. Denn auch in diesem Fall ist die Rechtsgrundlage für die Erbschaft des Schlußerben der in dem gemeinschaftlichen Testament niedergelegte Wille beider Ehegatten.

Im vorliegenden Fall bildet das gemeinschaftliche Testament der Erblasserin und ihres verstorbenen Ehemannes nicht die Rechtsgrundlage für den Erwerb der Klägerin. Die Erblasserin hat von ihrem Recht, anderweitig zu testieren, Gebrauch gemacht und in ihrem eigenhändigen Testament vom 4.Oktober 1983 das gemeinschaftliche Testament abgeändert. Soweit sie dabei die Klägerin zu 5/20 als Erbin eingesetzt hat, entspricht diese Erbeinsetzung nach Person und Quote zwar der die Klägerin betreffenden Bestimmung im gemeinschaftlichen Testament. Die Erbeinsetzung mag auch durch das gemeinschaftliche Testament motiviert gewesen sein, sie beruht jedoch auf einer eigenständigen Entschließung der Erblasserin, von der ihr eingeräumten Befugnis zur Änderung Gebrauch zu machen und insoweit dieselbe Regelung zu treffen. Damit ist die Klägerin nicht aufgrund gemeinschaftlichen Testaments, sondern aufgrund Einzeltestaments der Erblasserin Erbin geworden, so daß § 15 Abs.3 ErbStG 1974 nicht angewendet werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63348

BFH/NV 1990, 91

BStBl II 1990, 1067

BFHE 162, 97

BFHE 1991, 97

BB 1990, 2394

BB 1990, 2394 (LT)

DB 1990, 2507 (LT)

DStR 1991, 33 (KT)

HFR 1991, 99 (LT)

StE 1990, 440 (K)

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