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BFH Urteil vom 20.10.1993 - II R 116/90

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Vereinigung aller Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Sind die Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft bereits derart vereinigt i.S. von § 1 Abs.3 Nrn.1 bzw. 2 GrEStG 1983, daß sie zum einen Teil unmittelbar von einer Person gehalten werden, zum anderen Teil von einer Gesellschaft, an der diese Person zu 100 % beteiligt ist (mittelbare Anteilsvereinigung), so löst die nachfolgende Vereinigung aller Anteile unmittelbar in der Hand dieser Person keine Grunderwerbsteuer mehr aus (Abweichung von BFHE 126, 332, BStBl II 1979, 153).

 

Normenkette

GrEStG 1983 § 1 Abs. 3 Nrn. 1-2

 

Tatbestand

I. Die A-OHG verfügte über erheblichen Grundbesitz in mehreren Ländern der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Zum 1.Oktober 1980 wurde sie in eine AG umgewandelt. Die Aktien an der Gesellschaft hielt zunächst allein Herr A. Im Anschluß an die Umwandlung übertrug dieser 50 v.H. der Aktien auf die B-GmbH. Diese war zuvor stille Gesellschafterin der OHG gewesen. Die GmbH ist ihrerseits eine 100%ige Tochter der Klägerin. Mit Vertrag vom 9.Dezember 1980 übertrug S die ihm verbliebenen Aktien an der A-AG dergestalt auf die Klägerin und die GmbH, daß erstere künftig 49,995 v.H. und die GmbH 50,005 v.H. des Aktienkapitals besaßen. Für die damit verwirklichte teils mittelbare, teils unmittelbare Vereinigung aller Anteile an der A-AG in der Hand der Klägerin erfolgte keine Festsetzung von Grunderwerbsteuer.

Durch Vertrag vom 10.Dezember 1985 übernahm die Klägerin auch die bislang von der GmbH gehaltenen Aktien der A-AG. Sie ist seither Alleinaktionärin.

Am 31.Oktober 1989 erließ das beklagte Finanzamt (FA) einen Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin. Dieser war auf § 17 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 gestützt. Die Feststellung erfolgte für die Erwerbsvorgänge, die durch die Vereinigung aller Anteile an der A-AG aufgrund des Vertrags vom 10.Dezember 1985 verwirklicht worden waren. In einer Anlage zu diesem Bescheid, die Bestandteil des Bescheides war, wurden die Grundstücke angeführt, auf die sich der Vorgang bezog. Darüber hinaus wurde zu jedem Grundstück der Einheitswert, der Zuschlag von 40 v.H. und die sich daraus ergebende Besteuerungsgrundlage angegeben. Bezeichnet wurde jeweils auch das für die Grunderwerbsbesteuerung zuständige FA. Die bezeichneten Grundstücke gehörten im Dezember 1985 der A-AG. Insgesamt ergab sich eine Besteuerungsgrundlage in Höhe von 29 640 980 DM. Davon entfielen 7 962 540 DM auf Grundstücke, die zwischen dem 9.Dezember 1980 und dem 10.Dezember 1985 von der AG erworben worden waren.

Hiergegen richtete sich die Klage, mit der die Aufhebung des Feststellungsbescheids begehrt wurde. Die Klägerin war der Ansicht, daß der Tatbestand des § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG 1983 bzw. der Vorgängervorschrift bereits mit dem Erwerb der Aktien von S im Dezember 1980 erfüllt worden sei. Der zusätzliche Erwerb der bis dahin von der GmbH gehaltenen Aktien im Dezember 1985 habe den Tatbestand nicht ein zweites Mal erfüllen können. Es sei deshalb auch unerheblich, daß ein Teil der Grundstücke von der A-AG erst in der Zwischenzeit erworben worden sei.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Feststellungsbescheid und die diesen bestätigende Einspruchsentscheidung aufgehoben. Der Erwerb der restlichen Anteile löse keine Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG 1983 aus, weil die Klägerin schon vorher sämtliche Anteile an der AG in ihrer Hand vereinigt habe.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Mit dieser wird sinngemäß Verletzung materiellen Rechts geltend gemacht.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß durch den Vertrag vom 10.Dezember 1985 keine der Grunderwerbsteuer unterliegende Vereinigung aller Anteile an der AG verwirklicht wurde.

1. Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung alle Anteile der Gesellschaft u.a. in der Hand des Erwerbers allein vereinigt würden (§ 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG 1983). Ist der Vereinigung der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft kein schuldrechtliches Geschäft vorausgegangen, so unterliegt die Vereinigung aller Anteile an ihr der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs.3 Nr.2 GrEStG 1983).

Diese Tatbestände knüpfen zwar an den Anspruch auf Übertragung bzw. die Vereinigung von Gesellschaftsanteilen an, erfassen aber die infolge der Vereinigung der Anteile der Gesellschaft mit Grundbesitz in einer Hand spezifisch grunderwerbsteuerrechtlich veränderte Zuordnung von Grundstücken (vgl. dazu Senatsurteil vom 31.März 1982 II R 92/81, BFHE 135, 556, BStBl II 1982, 424). § 1 Abs.3 GrEStG 1983 behandelt den Inhaber aller Anteile so, als gehörten ihm zufolge der Vereinigung dieser Anteile in seiner Hand die Grundstücke, die dieser Gesellschaft grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen sind. Aus dieser Fiktion folgt zugleich, daß in bezug auf die Anteilsvereinigung diejenigen Anteile an einer Gesellschaft, die eine andere Gesellschaft hält, an der eine Person zu 100 v.H. beteiligt ist, dieser wie eigene Anteile zuzurechnen sind. Eine Vereinigung aller Anteile in einer Hand i.S. von § 1 Abs.3 Nrn.1 und 2 GrEStG liegt demgemäß auch dann vor, wenn der Anteilserwerber die Anteile einer Gesellschaft mit Grundbesitz teils selbst (unmittelbar), teils (mittelbar) über eine andere Gesellschaft hält, an der er zu 100 v.H. beteiligt ist (vgl. Senatsurteile vom 11.Juni 1975 II R 38/69, BFHE 116, 406, BStBl II 1975, 834, und vom 30.März 1988 II R 76/87, BFHE 153, 63, BStBl II 1988, 550).

In diesem Sinne ist durch die am 9.Dezember 1980 erfolgte Übertragung der dem S verbliebenen Aktien von diesem auf die Klägerin und die GmbH, an der die Klägerin nach wie vor zu 100 v.H. beteiligt ist, der Tatbestand der Anteilsvereinigung entsprechend dem damals maßgeblichen vergleichbaren Landesrecht erfüllt worden, und zwar in bezug auf alle diejenigen Grundstücke, die zu diesem Zeitpunkt der AG grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen waren (vgl. Senatsurteil vom 28.Juni 1972 II 77/64, BFHE 106, 138, BStBl II 1972, 719). Diese damalige Tatbestandserfüllung ist nicht Gegenstand des angefochtenen Verwaltungsaktes, der sich allein auf den Vertrag vom 10.Dezember 1985 bezieht.

2. Sind die Anteile an einer Gesellschaft mit Grundbesitz in dieser Weise teils unmittelbar, teils mittelbar in einer Hand vereinigt, so löst die Veränderung der zivilrechtlichen Rechtszuständigkeit dadurch, daß die dem Alleingesellschafter grunderwerbsteuerrechtlich bereits zugerechneten Anteile auf ihn übertragen werden, sich also unmittelbar in seiner Hand vereinigen, bei im übrigen unveränderten Beteiligungsverhältnissen keine Grunderwerbsteuer aus.

Zwar könnten § 1 Abs.3 Nrn.1 und 2 GrEStG 1983 vom bloßen Wortlaut her auch dahin verstanden werden, daß die zivilrechtliche (unmittelbare) Vereinigung aller Anteile der Gesellschaft mit Grundbesitz in der Hand des Alleingesellschafters der zu 100 v.H. beherrschten anderen Gesellschaft den Tatbestand erfüllen. Einem derartigen Verständnis der Vorschrift steht aber entgegen, daß grunderwerbsteuerrechtlich die von einer zu 100 v.H. beherrschten Gesellschaft gehaltenen Anteile an der Gesellschaft mit Grundbesitz für die Anteilsvereinigung dem Alleingesellschafter (als ihm gehörend) zugerechnet, die Anteile somit als in seiner Hand allein vereinigt angesehen werden. Aus diesem Grund bewirkt die zivilrechtliche (unmittelbare) Vereinigung aller Anteile der grundbesitzenden Gesellschaft --wie hier in der Hand der Klägerin-- keine grunderwerbsteuerrechtlich erhebliche "Verstärkung" seiner Position in bezug auf diese Gesellschaft. Das gilt nicht nur hinsichtlich derjenigen Grundstücke, die der Gesellschaft bereits in dem Zeitpunkt grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen waren, in dem die teils unmittelbare, teils durch die zu 100 v.H. beherrschte Gesellschaft vermittelte Anteilsvereinigung eintrat, sondern auch bezüglich weiterer in der Zwischenzeit erworbener Grundstücke. Denn wenn sich alle Anteile einer Gesellschaft in der Hand eines Erwerbers vereinigt haben, so löst die nachfolgende Erfüllung der Tatbestände des § 1 Abs.1 bis 3 GrEStG durch die Gesellschaft, deren Anteile vereinigt wurden, als Erwerberin zwar bei dieser Grunderwerbsteuer aus, nicht aber bei demjenigen, in dessen Hand ihre Anteile vereinigt sind. An der im Urteil des Senats vom 8.November 1978 II R 82/73 (BFHE 126, 332, BStBl II 1979, 153) vertretenen Rechtsauffassung wird nicht mehr festgehalten.

3. Der Senat läßt offen, wie die unmittelbare Anteilsvereinigung in der Hand einer Person zu beurteilen ist, der diese Anteile aufgrund eines Treuhandverhältnisses bereits zuzurechnen waren (vgl. Senatsurteile in BFHE 126, 332, BStBl II 1979, 153, und in BFHE 106, 138, BStBl II 1972, 719). Er läßt darüber hinaus offen, wie sich Anteilsvereinigungen auswirken, nachdem bereits eine Vereinigung in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen oder abhängigen Personen stattgefunden hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64862

BFHE 172, 538

BFHE 1994, 538

BB 1994, 417

BB 1994, 417-418 (LT)

BB 1994, 59

DB 1994, 1018 (L)

DStR 1994, 203 (KT)

HFR 1994, 223-224 (LT)

StE 1994, 10 (K)

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