Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Anordnung (Vollstreckungseinstellung) bei Angebot von Ratenzahlungen

 

Leitsatz (NV)

Bei Anerbieten von Ratenzahlungen kann die Vollstreckung i. S. des § 258 AO 1977 unbillig sein. Das gilt aber nur dann, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, daß der Vollstreckungsschuldner seine Zusage einhalten wird, und wenn angesichts der Höhe der angebotenen Raten mit einer kurzfristigen Tilgung der Schuld gerechnet werden kann.

 

Normenkette

AO 1977 § 258; FGO § 114; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) betreibt ein . . .-Unternehmen. Sie schuldet Steuern in Höhe von . . . DM sowie Säumniszuschläge in Höhe von . . . DM. Der als Arbeitnehmer bei der Antragstellerin beschäftigte Ehemann hat ebenfalls erhebliche eigene Steuerschulden. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) lehnte Stundungsanträge der Antragstellerin sowie einen Antrag auf Vollstreckungsaufschub - verbunden mit dem Anerbieten, neben den anfallenden laufenden Steuern monatlich weitere . . . DM auf die Rückstände zu zahlen - ab. Die hiergegen gerichteten Beschwerden hatten keinen Erfolg. Seitdem der Versuch einer einvernehmlichen Regelung über die Tilgung der Steuerschulden in dem Erörterungstermin bei der OFD fehlgeschlagen war, leistete die Antragstellerin weder Zahlungen auf ihre Steuerrückstände noch auf die laufend fällig werdenden Lohnsteuern und Umsatzsteuern.

Die Antragstellerin beantragte beim Finanzgericht (FG) den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der dem FA bei monatlicher Ratenzahlung von . . . DM sowie pünktlicher Erfüllung der laufenden Steuerverpflichtungen Vollstreckungsmaßnahmen bis zur Rechtskraft der eingelegten Beschwerden in der Stundungs- und Vollstreckungsaufschubsache untersagt werden sollten. Das FG lehnte den Antrag mit folgender Begründung ab:

Es fehle an der Darlegung und Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs auf einstweilige Hinausschiebung von Vollstreckungsmaßnahmen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin könne nicht davon ausgegangen werden, daß das FA die Anträge auf Stundung und Vollstreckungsaufschub rechtsfehlerhaft abgelehnt habe. Diese Würdigung folge ohne weiteres aus der mangelnden Zahlungsmoral der Antragstellerin im Gesamtjahr . . . , insbesondere aber während des Laufs des gerichtlichen Antragsverfahrens. Die Antragstellerin habe selbst vorgetragen, es seien ihr neben der Begleichung der jeweiligen laufenden Lohn- und Umsatzsteuern monatliche Zahlungen in Höhe von . . . DM auf die Rückstände möglich. Zumindest in diesem Rahmen hätte sie ihren steuerlichen Verpflichtungen auch tatsächlich nachkommen müssen. Sie habe aber die jeweiligen monatlichen Ratenzahlungen in der ersten Hälfte des Jahres . . . nur unvollständig und mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen geleistet. Die neu entstandenen laufenden Lohn- und Umsatzsteuern seien nur teilweise beglichen worden, obwohl das FA in Aussicht gestellt hätte, bei pünktlichem Zahlungseingang zunächst von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen. Das zeige, daß die Antragstellerin auch bei entsprechendem Entgegenkommen des FA nicht gewillt sei, korrekt Zahlungen zu leisten. Die mangelnde steuerliche Zuverlässigkeit der Antragstellerin folge aber besonders aus dem Umstand, daß sie sogar während des Laufs des Gerichtsverfahrens auf einstweilige Anordnung ihre selbst angegebenen Zahlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft und seit . . . ihre Zahlungen fast gänzlich eingestellt habe. Angesichts dieses Verhaltens könne von einer steuerlichen Zuverlässigkeit der Antragstellerin im Falle einer Stundungsgewährung oder eines Vollstreckungsaufschubs nicht gesprochen werden. Die Steueransprüche erschienen vielmehr in hohem Maße gefährdet. Das gelte um so mehr, als - nach den Angaben der Antragstellerin - die Stundung oder der Vollstreckungsaufschub über mehrere Jahre erfolgen sollten.

Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, das FG habe bei seinen Ausführungen über ihre angebliche mangelnde Zahlungsmoral unberücksichtigt gelassen, daß die Finanzverwaltung bis zu der Besprechung am . . . - ungeachtet ihrer bis dahin an den Tag gelegten Zahlungsmoral - bereit gewesen sei, auf ihr Zahlungsangebot einzugehen und zwischenzeitlich von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen. Der Grund für die schließlich getroffene negative Entscheidung der OFD sei nicht ihre mangelnde Zahlungsmoral, sondern der Umfang der Steuerschulden ihres Ehemannes gewesen. Die Ablehnung des Vollstreckungsaufschubs durch die OFD sei somit von sachfremden Erwägungen - den Verhältnissen eines Dritten - bestimmt worden und deshalb ermessenswidrig. Sie (die Antragstellerin) habe aber einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensbetätigung. Ihr Zahlungsangebot sei auch heute noch erfüllbar. Es könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie nicht einseitig die Voraussetzungen einer Vereinbarung erfüllt habe, die die Finanzverwaltung aus sachfremden Gründen nicht mehr zu treffen bereit gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung - hier zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (§ 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) - setzt voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Wird im Verwaltungsvollstreckungsverfahren nach der Abgabenordnung (AO 1977) als vorläufiger Rechtsschutz durch ein FG die Verpflichtung der Behörde zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung oder Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme verlangt, so kommt als Rechtsgrundlage für den Anordnungsanspruch die nach § 258 AO 1977 in das Ermessen der Behörde gestellte Befugnis zur Gewährung einer vorläufigen Vollstreckungsaussetzung in Betracht (Beschluß des Senats vom 4. November 1986 VII B 108/86, BFH/NV 1987, 555, 556 m. w. N.). Unter welchen Voraussetzungen dieser vorläufige Rechtsschutz durch ein Gericht erlangt werden kann, ist, da der Anordnungsanspruch eine behördliche Ermessensentscheidung betrifft, umstritten (vgl. Beschluß des Senats vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587). Auch unter Berücksichtigung der für die Antragstellerin günstigsten Auffassung, daß das Gericht befugt sei, die einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen Ermessens (Interimsermessen) zu treffen, ist die einstweilige Anordnung im Streitfall zu versagen. Denn in Anwendung dieses Ermessens ist das FG zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß die beantragte Anordnung nicht gerechtfertigt ist, weil es bereits an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs fehlt.

2. a) Soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist, kann sie nach § 258 AO 1977 ,,einstweilen" eingestellt oder beschränkt werden. Der Vollstreckungsschutz nach dieser Vorschrift zielt demnach nur auf vorläufige Maßnahmen ab, die die Entrichtung (Beitreibung) der rückständigen Steuern auf Dauer nicht behindern oder gefährden. Eine Unbilligkeit im Sinne dieser Bestimmung ist nur anzunehmen, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (vgl. Abschn. 7 Abs. 2 der Vollstreckungsanweisung i. d. F. vom 19. März 1987, BStBl I 1987, 370). Ist es schlechthin unbillig, den Anspruch geltend zu machen, so ist der Erlaß nach § 227 AO 1977 geboten (Klein /Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 258 Anm. 1 m. w. N.). Bei Anerbieten von Ratenzahlungen - wie im Streitfall - kann die Vollstreckung zwar unbillig i. S. des § 258 AO 1977 sein. Das gilt aber nur dann, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, daß der Vollstreckungsschuldner seine Zusage einhalten wird, und wenn nach der Höhe der angebotenen Raten mit einer zügigen, kurzfristigen Tilgung der Schuld gerechnet werden kann (Klein / Orlopp, a. a. O., § 258 Anm. 3). Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze hat das FG bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung zutreffend entschieden, daß die Antragstellerin die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung unter den von ihr angebotenen Zahlungsmodalitäten nicht verlangen kann.

b) Gegen eine Einstellung der Vollstreckung bis zu dem von der Antragstellerin begehrten Zeitpunkt (Rechtskraft der Beschwerdeentscheidungen in der Stundungs- und Vollstreckungsaufschubsache) sprechen bereits die zuungunsten der Antragstellerin ergangenen Beschwerdeentscheidungen der OFD. Es ist bei summarischer Beurteilung der Sach- und Rechtslage davon auszugehen, daß die Ermessensentscheidung der Verwaltung hinsichtlich der Anträge auf Stundung (§ 222 AO 1977) und Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO 1977) aus den von der OFD angeführten Gründen auch im Klageverfahren Bestand haben werden. Das FG ist ferner zu Recht davon ausgegangen, daß die Ansprüche auf die rückständigen Steuern angesichts der von der Antragstellerin angebotenen geringen monatlichen Ratenzahlung von . . . DM, die eine Tilgung erst nach mehreren Jahren erwarten ließen, bei einem Vollstreckungsaufschub in hohem Maße gefährdet wären. Ein Anspruch auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO 1977 ist nach den von der Antragstellerin angebotenen Zahlungsmodalitäten nicht gegeben, weil das FA in diesem Falle nicht nur durch kurzfristiges Zuwarten an der Realisierung seiner Steueransprüche gehindert wäre.

Schließlich hat das FG mit Recht seine ablehnende Entscheidung im wesentlichen mit der mangelhaften Zahlungsmoral begründet, die die Antragstellerin seit ihrem Zahlungsangebot an das FA und während des gerichtlichen Anordnungsverfahrens an den Tag gelegt hat. Wenn die Antragstellerin selbst davon ausgeht, daß eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung nur gegen monatliche Ratenzahlung und gleichzeitige Begleichung der laufend fällig werdenden Steuern in Betracht kommt, so hätte sie dafür sorgen müssen, daß die von ihr angebotenen Raten und die laufenden Steuerverpflichtungen auch tatsächlich bezahlt wurden, zumal sie nach ihrem Vorbringen im Beschwerdeverfahren hierzu in der Lage war und ist. Wie das FG im einzelnen ausgeführt hat, sind die laufenden Verpflichtungen und die angebotenen monatlichen Raten von . . . DM zunächst nur unvollständig und mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen bezahlt worden; seit . . . hat die Antragstellerin ihre Zahlungen fast völlig eingestellt, so daß die Steuerschulden weiter angestiegen sind. Im Hinblick auf diese erwiesene steuerliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin ist die Fortführung der Zwangsvollstreckung nicht unbillig, denn es könnte auch künftig nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, daß die Antragstellerin ihre Zahlungszusagen einhalten werde.

3. Die mit der Beschwerde vorgetragenen Einwendungen gegen die Vorentscheidung greifen nicht durch.

Es ist unerheblich, ob sich die OFD in der Besprechung vom . . . bei der Ablehnung der von der Antragstellerin angestrebten Tilgungs- und Vollstreckungsvereinbarung von sachfremden Erwägungen - nach dem Vorbringen der Antragstellerin der Höhe der Steuerschulden ihres Ehemannes - hat leiten lassen. Soweit die Antragstellerin hierin einen Ermessensfehlgebrauch sieht, kann sie diesen im Rahmen ihrer Klage gegen die Ablehnung des Antrags auf Vollstreckungsaufschub durch die Verwaltung (Hauptverfahren) geltend machen. Der Senat hat im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht die Verwaltungsentscheidung, sondern die Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnung durch das FG zu überprüfen. Das FG hat aber - wie oben ausgeführt - in seine Erwägungen die Steuerschulden des Ehemannes der Antragstellerin nicht einbezogen.

Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, es könne ihr nicht der Vorwurf gemacht werden, daß sie ihr Zahlungsangebot nicht eingehalten habe, nachdem die Verwaltung von der zunächst in Aussicht gestellten einvernehmlichen Regelung Abstand genommen habe. Ein Steuerschuldner ist verpflichtet, jedenfalls im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten, die in Höhe des Zahlungsangebots von der Antragstellerin nicht bestritten werden, die laufenden und die rückständigen Steuerschulden zu begleichen, auch wenn die Finanzbehörde die Gewährung sonstiger Vergünstigungen, die mit der Steuerzahlung angestrebt werden - hier die Einstellung der Zwangsvollstreckung -, ablehnt. Auch wenn der Antragstellerin eine Vollstreckungsvereinbarung von der Verwaltung in Aussicht gestellt und dann nicht eingehalten worden sein sollte, kann die Zahlung fälliger Steuerschulden nicht als eine einseitige Vorleistung der Steuerschuldnerin angesehen werden. Die Antragstellerin muß sich deshalb im Rahmen ihres Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO i. V. m. § 258 AO 1977 entgegenhalten lassen, daß sie Steuerzahlungen, zu denen sie nach eigenem Bekunden in der Lage gewesen wäre, nicht erbracht hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418025

BFH/NV 1992, 503

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge