Rz. 18

Für die Verteidigung gegen die Geldvollstreckung sind dem Schuldner zunächst die Rechtsmittel der Abgabenordnung eröffnet, sofern die Bundesfinanzverwaltung über die Hauptzollämter als Vollstreckungsbehörde handelt. Hierbei handelt es sich insbesondere um die §§ 256 bis 258 AO (Einstellung und Beschränkung der Zwangsvollstreckung). Bedient sich die Vollstreckungsbehörde eines Organes der Länder, so ist nach § 5 Abs. 2 VwVG insoweit das jeweilige Landesrecht maßgeblich, nach welchem das herangezogene Organ handelt.

 

Rz. 19

Soweit es sich bei Vollstreckungshandlungen um Entscheidungen, d. h. i. d. R. um Verwaltungsakte handelt, sind hiergegen Widerspruch (bzw. Einspruch) und Anfechtungsklage möglich. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Vollstreckungsanordnung als solche noch keinen Verwaltungsakt darstellt (Bürck, DAngVers 1990, 445 (453) m. w. N.). Soweit die Vollstreckung nach der AO erfolgt, sind grundsätzlich die Finanzgerichte zuständig, § 33 Abs. 2 Nr. 2 FGO. Allerdings wird mit guten Gründen vertreten, dass es sich bei der Auseinandersetzung um die Erfüllung (oder auch z. B. Verjährung) einer vor dem Sozialgericht titulierten Forderung ihrerseits um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. d. § 51 Abs. 1 handelt (siehe z. B. Hennig, SGG, § 200 Rn. 12). Sofern man hier nicht über § 198 Abs. 1 die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) vor den Sozialgerichten ohnehin für statthaft hält, rechtfertigt dies jedenfalls, die gebotene Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht zu führen. In diesem Rechtsstreit sind dann inzident die Rechts- und insbesondere die Präklusionsgrundsätze des § 767 ZPO zu berücksichtigen. Das BSG (Urteil v. 2.3.1973, 12/3 RK 2/71, BSGE 35, 236) modifiziert in diesem Zusammenhang augenscheinlich den Gegenstand der Anfechtungsklage, indem es ein weiteres gestaltendes Element hinzufügt. Nicht nur der konkrete Vollstreckungsverwaltungsakt wird auf die erfolgreiche Anfechtung hin aufgehoben, sondern es wird zugleich die Vollstreckung aus dem zugrunde liegenden bestandskräftigen Bescheid für unzulässig erklärt. Hiermit wird der Erwägung Rechnung getragen, dass dem Vollstreckungsschuldner die endgültige Beseitigung der Vollstreckbarkeit möglich sein muss. Ein solches Begehren sollte im Anfechtungsklageverfahren deutlich herausgestellt werden. Anstelle der im Verfahren nach § 767 ZPO möglichen einstweiligen Regelung des Prozessgerichts nach § 769 Abs. 1 ZPO kommt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung durch die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 in Betracht.

 

Rz. 20

Zu beachten ist, dass das BSG § 1629a BGB auf gegen Minderjährige gerichtete Erstattungsbescheide für anwendbar erklärt hat (Urteil v. 7.7.2011, B 14 AS 153/10 R, juris). Die Erstattungsforderung sei zunächst rechtmäßig. Nach Eintritt der Volljährigkeit und Vorliegen des Tatbestandes des § 1629a BGB bestehe aber ein Anspruch auf Abänderung des Bescheides nach 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X. Das BSG versteht die Vorschrift also nicht als bloßes Vollstreckungshindernis, sondern als materiell-rechtliche Veränderung des Anspruchs. Man wird diese Veränderung, noch bevor die Behörde nach § 48 Abs. 1 SGB X entschieden hat, der Vollstreckung nach den o. g. Grundsätzen der Vollstreckungsabwehr entgegenhalten können.

 

Rz. 21

Wendet man sich gegen die Art und Weise einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme, so spricht vieles dafür, ein Erinnerungsverfahren gemäß § 198 Abs. 1, § 766 ZPO vor den Sozialgerichten auch dann zuzulassen, wenn die Vollstreckungshandlung im Beitreibungsverfahren (§§ 1 bis 5 VwVG) durch eine Vollstreckungsbehörde vorgenommen wurde (siehe hierzu die ausführliche Darstellung von Wettlaufer, S. 293 ff., 298 f.). Dies hat insbesondere den Vorteil, dass eine einstweilige Regelung im Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 766 Abs. 1 Satz 2, 732 Abs. 2 ZPO möglich ist. Eine entsprechende Regelung kennt die Verwaltungsvollstreckung nämlich nicht. § 5 Abs. 1 VwVG verweist nicht auf § 361 AO (Aussetzung der Vollziehung) und die Parallelnorm des § 69 FGO setzt eine Entscheidung, nämlich durch Verwaltungsakt, voraus. Einen konstruktiv ähnlichen Weg wählt das SG Karlsruhe (Beschluss v. 11.6.2008, S 7 KR 2374/08 ER unter Bezug auf LSG Berlin, Beschluss v. 16.3.2004, L 9 B 165/03 KR ER, jeweils juris), indem es die Grundsätze des Verfahrens nach 766 ZPO im Rahmen eines Eilverfahrens nach § 86b Abs. 2 anwendet.

 

Rz. 22

Gegen die Erinnerungsentscheidung des Sozialgerichts nach § 766 ZPO ist dann die Beschwerde nach §§ 198 Abs. 3, 172 SGG zulässig.

 

Rz. 23

Soweit hingegen Zwangsvollstreckungsentscheidungen lediglich der Art und Weise wegen angegriffen werden sollen, so findet § 766 ZPO keine Anwendung, da sich dieser Rechtsbehelf nur gegen Maßnahmen richtet. Maßnahmen grenzen sich von Entscheidungen dadurch ab, dass Entscheidungen erst nach Anhörung der Gegenseite ergehen. Es verbleibt hier bei der Verteidigung im Wege des Widerspruchs (Einspruchs) und der Anfechtungsklage, in der R...

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