Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellung nach dem ArbWeitBiG NW - Jedermannzugänglichkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Wenn eine Bildungsveranstaltung wie ein Aufbaukurs Teil einer Veranstaltungsreihe ist und der Träger den Besuch des Aufbaukursus von der erfolgreichen Teilnahme der vorangehenden Kurse abhängig macht, ist die Jedermannzugänglichkeit nach § 9 ArbWeitBiG NW, § 2 Abs 4 WeitBiG NW nur gewährleistet, wenn auch die vorangehenden Veranstaltungen für jedermann zugänglich waren. Dafür hat der die Freistellung beanspruchende Arbeitnehmer die Darlegungslast.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 02.10.1991; Aktenzeichen 3 Sa 1506/87)

ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 03.07.1987; Aktenzeichen 1 Ca 773/87)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).

Die Klägerin ist seit 1976 bei der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt und seit 1981 Mitglied des Betriebsrats. Sie beantragte 1986 bei der Beklagten Freistellung für die Teilnahme an dem vom Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen genehmigten "Aufbauseminar I/2" des Bildungswerks der IG Druck und Papier e. V. in Heidenrod-Springen vom 11. Januar bis 31. Januar 1987 und erklärte, dafür ihre Freistellungsansprüche aus den Jahren 1986 und 1987 zu verwenden. Der Themenplan des Seminars lautete:

"Aufbauseminar Stufe I/2

vom 11.01. bis 31.01.1987

MO 11.01. Probleme des Arbeitskampfes für die Be-

triebsratsarbeit:

bis - Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft

- Rechtsprechung des BAG

FR 16.01. Recht und Arbeitsrecht an exemplari-

vorm. schen Beispielen

FR 16.01. Veränderung beruflicher Qualifikationen

nachm. und Berufsbildung

bis

SA 17.01.

vorm.

MO 19.01. Die Funktionsweise unseres Wirtschafts-

bis systems: Ziele und Probleme der Produk-

tion - Preis - Markt - Konzentration

MI 21.01. usw.

DO 22.01. Die technologische Entwicklung der

bis nächsten zwei Jahrzehnte und daraus

SA 24.01. sich ergebende Probleme

vorm.

MO 26.01. Schwerpunkte der Tarifverträge im Gel-

bis tungsbereich der Druckindustrie und Pa-

DI 27.01. pierverarbeitung für die Arbeit der Be-

triebsräte

MI 28.01. Bundespolitische Gesetze und Gesetzes-

bis vorhaben und ihre Auswirkungen auf die

FR 30.01. Betriebsratsarbeit: Beschäftigungsför-

vorm. derungsgesetz, Änderung des BetrVG etc.

FR 30.01. Abschlußgespräch und Vorschau auf das

nachm. Aufbauseminar Stufe II

SA 31.01. Abreise

Abendveranstaltungen sind Unterrichtsbestandteil,

ebenso eine schriftliche Ausarbeitung."

Das Programmheft des Veranstaltungsträgers lag vor der Veranstaltung in mindestens 20 Exemplaren in einem Aufenthaltsraum des Betriebes aus, der von jedermann betreten werden konnte. Außerdem war mit einem in dem Aufenthaltsraum ausgehängten Plakat für das Bildungsprogramm geworben worden. Im Programmheft wird darauf hingewiesen, daß das Bildungsangebot auch Unorganisierten offen stehe. Dieser Personenkreis müsse alle anfallenden Kosten selbst tragen. Interessenten, die nicht Mitglied der IG Druck und Papier seien, sollten sich direkt beim Bildungswerk in Springen anmelden.

Das Aufbauseminar I/2 war Teil einer Seminarreihe. Dazu heißt es in dem Programmheft u.a.:

"3. Aufbau des Kursprogramms

A) Die Seminarreihe

Bevor das zentrale Grundseminar besucht

werden kann, muß der Bewerber geeignete

Bildungsmaßnahmen besucht haben. Als solche

sind grundsätzlich anzusehen:

Wochenendschulungen und/oder Wochenschulungen

unserer Bezirke und Landesbezirke zum Thema:

"Betrieb - Wirtschaft - Gesellschaft".

Die Grundseminare (zwei Wochen)

sind die erste zentrale Maßnahme. Wenn die

Bewerber(innen) in den vorerwähnten Schu-

lungen bewiesen haben, daß ihnen an einer

Weiterbildung liegt, bewerben sie sich über

ihren Ortsverein zur Teilnahme an einem

Grundseminar. Nach einer Stellungnahme durch

den Landesbezirksvorstand geht die Bewerbung

an den Hauptvorstand weiter. Nach

Absolvierung des Grundseminars steht dem

Besuch an einem

Aufbauseminar I (drei Wochen)

nichts mehr im Wege. Auch hierzu melden sich

die Kolleginnen oder der Kollege beim

Ortsverein an, der die Bewerbung über den

Landesbezirk an den Hauptvorstand weiter-

reicht, der seinerseits die angenommenen

Teilnehmer der Kurse rechtzeitig benach-

richtigt. Nach Absolvierung des Aufbausemi-

nars I steht dem Besuch des Aufbauseminars II

(zwei Wochen)

nichts im Wege..."

Die Beklagte lehnte die Freistellung nach dem AWbG mit Schreiben vom 8. September 1986 ab. Am 14. November 1986 vereinbarten die Parteien, daß die Klägerin vorbehaltlich der rechtlichen Klärung der Fragen bezüglich des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen in dem betreffenden Zeitraum unbezahlten Urlaub in Anspruch nehme. Daraufhin nahm die Klägerin an der Veranstaltung teil und legte anschließend eine schriftliche Teilnahmebestätigung vor. Die Beklagte weigerte sich, für die Zeit der Teilnahme an dem Seminar den Lohn fortzuzahlen.

Daraufhin erhob zunächst die damalige IG Druck und Papier, der die Klägerin ihre Forderung von 1.047,22 DM brutto gegen Zahlung eines Betrages von 549,48 DM abgetreten hatte, Klage auf Zahlung des Lohns für die Zeit vom 12. Januar bis 23. Januar 1987. Nachdem die Beklagte auf ein arbeitsvertragliches Abtretungsverbot hingewiesen hatte, änderten die Parteien einvernehmlich das Aktivrubrum. Seitdem verfolgt die Klägerin ihren Lohnanspruch selbst.

Sie hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.047,22 DM

brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem sich daraus

ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision, die die Verletzung der §§ 1 und 9 AWbG und des § 2 Abs. 4 WbG rügt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach § 7 AWbG noch nach der Vereinbarung der Parteien vom 14. November 1986. Denn nach dem Vortrag der Klägerin kann nicht festgestellt werden, daß das von ihr besuchte Aufbauseminar I/2 jedermann zugänglich war und damit nach den Bestimmungen des Weiterbildungsgesetzes durchgeführt wurde, § 9 AWbG, § 2 Abs. 4 WbG.

I. Der Senat läßt dahingestellt, ob die Klage nicht bereits deswegen abgewiesen werden müßte, weil die Klägerin nicht oder nur zu einem Teilbetrag Inhaberin der beanspruchten Forderung ist. Es ist bereits fraglich, ob das vertragliche Abtretungsverbot nach § 399 BGB gegenüber der IG Druck und Papier, die der Klägerin einen Teil der Forderungen ausgeglichen und für den weiteren Betrag eine Zahlungszusage gegeben hatte, unwirksam ist, wie die Vorinstanzen angenommen haben (vgl. dazu BAG Urteil vom 2. Juni 1966 - 2 AZR 322/65 - AP Nr. 8 zu § 399 BGB; BAGE 64, 6, 10, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BGH und des BAG). Wenn diese Auffassung zutreffend sein sollte, bleibt dennoch ungeklärt, wie die Klägerin (wieder) Inhaberin der Forderung geworden ist. Eine Rückabtretung ist weder vorgetragen noch vom Landesarbeitsgericht festgestellt.

II. Die Klage kann aber auch dann keinen Erfolg haben, wenn die Klägerin wieder Inhaberin des Entgeltfortzahlungsanspruchs sein sollte.

1. Der Anspruch folgt nicht aus § 7 AWbG i.V. mit § 1 Abs. 1 AWbG. Denn diese Vorschriften setzen voraus, daß die Beklagte die Klägerin von der Arbeit zum Zweck der beruflichen oder politischen Weiterbildung nach dem AWbG freigestellt hat. Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen gewährt den Arbeitnehmern einen gesetzlich bedingten Freistellungsanspruch. Der Lohnfortzahlungsanspruch kann nur entstehen, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Freistellung nachgekommen ist. Weigert sich der Arbeitgeber, die Erfüllungshandlung vorzunehmen, d.h. die Freistellungserklärung abzugeben, hat der Arbeitnehmer nicht das Recht, der Arbeit fernzubleiben und für die Zeit Entgelt zu verlangen. Er kann allenfalls versuchen, den Freistellungsanspruch gerichtlich durchzusetzen.

Nach den von den Parteien nicht gerügten Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die Freistellung nach dem AWbG verweigert.

2. Der Anspruch folgt auch nicht aus der Vereinbarung der Parteien vom 14. November 1986. Als sie in einer mündlichen Unterredung verabredeten, die Klägerin solle vorbehaltlich der rechtlichen Klärung der Fragen bezüglich des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes NRW in dem betreffenden Zeitraum zunächst unbezahlten Urlaub in Anspruch nehmen, schlossen die Parteien zwar eine besondere Vereinbarung, nach deren durch Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB ermittelten Inhalt sich ein Anspruch ergeben könnte. Denn danach gewährte die Beklagte der Klägerin Freistellung außerhalb des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes zur Teilnahme an der Bildungsveranstaltung. Sie verpflichtete sich, das Arbeitsentgelt nachzuentrichten, wenn gerichtlich festgestellt würde, die Klägerin habe einen Anspruch nach dem AWbG gehabt. Der zu diesem Zeitpunkt fortbestehende Freistellungsanspruch nach dem AWbG sollte dann nachträglich mit der gewährten Freistellung nach dem Vertrag verrechnet werden (vgl. zu ähnlichen Vereinbarungen die Senatsurteile vom 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90 - und vom 24. August 1993 - 9 AZR 240/90 - jeweils zur Veröffentlichung bestimmt).

3. Da die Klägerin aber nach dem AWbG keinen Anspruch hatte, an dem Aufbauseminar I/2 teilzunehmen, erfüllt sie nicht die Voraussetzungen der Sondervereinbarung mit der Beklagten. Ein Zahlungsanspruch entfällt.

a) Zu Recht rügt die Revision die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, das von der Klägerin besuchte Aufbauseminar sei für jedermann zugänglich gewesen, § 9 Satz 1 AWbG, § 2 Abs. 4 Satz 1 WbG. Nach diesen Bestimmungen ist eine Bildungsveranstaltung für jedermann zugänglich, wenn sie mindestens dem in § 2 AWbG genannten Personenkreis (Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlichen Personen) offensteht. Wendet sich die Veranstaltung nur an Gewerkschaftsmitglieder, ist sie nicht für jedermann zugänglich (BAGE 62, 280 = EzA § 9 AWbG NW Nr. 3). Zur Begründung der Jedermannzugänglichkeit genügt nicht der Hinweis im Bildungsprogramm des Trägers, daß die Veranstaltung auch anderen Personen als Gewerkschaftsmitgliedern offensteht. Er muß außerdem so verlautbart sein, daß auch nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer davon Kenntnis nehmen können (BAGE 65, 352).

b) Diese Voraussetzungen sind für das Aufbauseminar I/2 gegeben. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme festgestellt, daß das Programmheft des Bildungswerks in mindestens 20 Exemplaren in einem Aufenthaltsraum des Betriebes, den jedermann betreten konnte, auf einer Programmbank zeitlich vor der Schulung ausgelegt und durch ein Plakat an einer in dem Aufenthaltsraum befindlichen Pin-Wand geworben worden ist. Diese Feststellungen hat die Beklagte nicht gerügt. Sie binden den Senat, § 561 ZPO.

c) Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht übersehen, daß der Besuch des Aufbauseminars I/2 den erfolgreichen Besuch einer Wochenendschulung und/oder einer Wochenschulung mit dem Thema "Betrieb-Wirtschaft-Gesellschaft" und eines zweiwöchigen Grundseminars bedingte. Zu Recht rügt die Revision allerdings, daß das Landesarbeitsgericht die Einbindung des Aufbauseminars nur unter dem Gesichtspunkt bewertet hat, ob pädagogisch begründete Zugangsvoraussetzungen statthaft sind. Das Landesarbeitsgericht hat aber versäumt, die damit auch verbundene Frage nach der Jedermannzugänglichkeit zu würdigen. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin.

Wenn eine Bildungsveranstaltung so in eine Veranstaltungsreihe eingestellt wird, daß an ihr nur nach dem Besuch vorangegangener Veranstaltungen teilgenommen werden kann, ist sie nur dann jedermann zugänglich i.S. des § 2 Abs. 4 WbG, wenn auch die vorangegangenen, aufbauenden Kurse von jedermann besucht werden konnten. Die Tatsachen, aus denen die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 9 AWbG, § 2 Abs. 4 WbG folgen, hat derjenige darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, der den Anspruch geltend macht (BAGE 65, 352). Das gilt auch für denjenigen, der aus einer Sondervereinbarung mit dem oben beschriebenen Inhalt Ansprüche herleitet.

Dieser Darlegungslast ist die Klägerin trotz entsprechender Rügen der Beklagten nicht nachgekommen. Sie hat in der Revisionsinstanz auch keine Aufklärungsrüge nach § 139 ZPO erhoben, die den Senat hätte veranlassen können, den Rechtsstreit zur Sachaufklärung zurückzuverweisen. Sie hat vielmehr nur daraufhingewiesen, es sei weder vorgetragen noch festgestellt, daß die vorangehenden Veranstaltungen nicht jedermann zugänglich gewesen seien. Damit hat die Klägerin ihre Darlegungslast verkannt. Die Klage erweist sich daher im Ergebnis als unschlüssig.

III. Angesichts dessen kann dahingestellt bleiben, ob die Tatbestandsvoraussetzung der Jedermannzugänglichkeit deswegen zu verneinen ist, weil die nicht der Gewerkschaft angehörenden Teilnehmer einen Tagungsbeitrag entrichten müssen, während Gewerkschaftsmitglieder davon befreit sind. Es kann weiter dahingestellt bleiben, ob ein Seminar, das vorrangig Themen behandelt, die für Betriebsratsmitglieder geeignet oder gar erforderlich sind, den Begriff der politischen Weiterbildung i.S. des § 1 Abs. 1 AWbG erfüllt oder nicht.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Dr. Leinemann Düwell Dörner

Schodde Brückmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 441834

BAGE 00, 00

BAGE, 58

BB 1994, 641

BB 1994, 641-642 (LT1)

DB 1994, 736-737 (LT1)

NZA 1994, 448

NZA 1994, 448-450 (LT1)

AP § 9 BildungsurlaubsG NRW (LT1), Nr 8

AR-Blattei, ES 130 Nr 21 (LT1)

EzA § 9 AWbG NW, Nr 4 (LT1-2)

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