Soweit das Weisungsrecht weder durch gesetzliche noch durch tarifliche oder einzelvertragliche Regelungen begrenzt wird, hat der Arbeitgeber lediglich die Schranke des billigen Ermessens zu beachten, d. h., dass die Entscheidung unter Abwägung der Interessen des Beschäftigten einerseits und der betrieblichen Interessen andererseits erfolgen muss.[1]

 

Hinweis

Die Pflicht des Arbeitgebers zur Abwägung der gegenseitigen Interessen soll vor allem den Beschäftigten vor Willkürentscheidungen schützen. Hat der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an der Weisung, darf die Abwägung mit den gegensätzlichen Interessen des Beschäftigten nicht unverhältnismäßig sein.

Es muss für jeden Einzelfall entschieden werden, ob eine Weisung des Arbeitgebers der Billigkeit i. S. d. § 315 BGB entspricht oder nicht.[2]

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht, trägt der Arbeitgeber.[3] Im Einzelfall kann auch eine gestufte Ermessensprüfung erforderlich sein, wie etwa bei der vorübergehenden Übertragung höherwertiger Tätigkeiten.[4] Zunächst muss geprüft werden, ob es billigem Ermessen entspricht, dem Beschäftigten die höher bewertete Tätigkeit überhaupt zu übertragen. Weiterhin muss aber auch die vorübergehende Übertragung dem billigen Ermessen entsprechen. Abzuwägen ist einerseits das Interesse des Arbeitgebers an einer nur vorübergehenden Übertragung und andererseits das Interesse des Beschäftigten an der Beibehaltung der höherwertigen Tätigkeit und ggf. einer höheren Vergütung.[5] Entsprechendes gilt bei Entzug solcher Tätigkeiten.[6]

 

Beispiel

Bei mehreren Übertragungen höherwertiger Tätigkeit an ein und denselben Beschäftigten kann eine beliebige, nicht durch billiges Ermessen gedeckte Anordnung dazu führen, dass der Beschäftigte dauerhaft höhergruppiert ist. Dabei ist es unerheblich, ob etwa nachfolgende Übertragungsverfügungen einer Billigkeitskontrolle standhalten würden (siehe Punkt 3.5).[7]

Nach dem BAG sind die wechselseitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Angemessenheit, aber auch der Verkehrssitte und Zumutbarkeit abzuwägen.[8] Hierbei sind auch Fragen der Risikoverteilung im Arbeitsrecht, Vermögens-, Einkommensverhältnisse sowie soziale und persönliche Lebensverhältnisse einzubeziehen.[9] Ist etwa ein Beschäftigter arbeitsunfähig erkrankt, hat der Arbeitgeber bei der Ausübung der ihm verbleibenden Weisungsrechte wegen der latenten Gefahr einer Beeinträchtigung des Genesungsprozesses die Erteilung von Weisungen auf dringende betriebliche Anlässe zu beschränken und sich bzgl. der Art und Weise, der Häufigkeit und der Dauer der Inanspruchnahme (z. B. für Personalgespräche) am wohlverstandenen Interesse des Beschäftigten zu orientieren.[10] Besteht demgegenüber jedoch ein ebenso berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, etwa im Zusammenhang mit einer außerordentlichen Kündigung, so muss er den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und zwischen den widerstreitenden Interessen abwägen.

Bei der Beurteilung einer Leistungsunfähigkeit und sich einer daraus ergebenden Einschränkung des Weisungsrechts sind die Arbeitsvertragsparteien auf Fachleute angewiesen. Haben im Streitfall Arbeitgeber und Beschäftigte ihrer jeweiligen Darlegungslast zur Leistungsunfähigkeit bzw. Leistungsfähigkeit i. S. d. § 297 BGB genügt, müssen letztendlich die Tatsachengerichte durch Erhebung der angebotenen Beweise klären, ob der Arbeitnehmer im Annahmeverzugszeitraum objektiv leistungsunfähig war.[11]

 
Praxis-Beispiel

Aufgrund des Vorfalls, der der Vertraulichkeit unterliegen sollte, war die Beschäftigte arbeitsunfähig erkrankt, in psychologischer Behandlung und konnte sich erst im Verlauf der ärztlichen Behandlung dazu entschließen, die Vorfälle öffentlich zu machen. Allerdings kann ein Arbeitgeber, der sich die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung offenhalten will, auch im Fall der Erkrankung des Beschäftigten, mit dem aus berechtigtem Interesse zunächst eine Vertraulichkeit vereinbart wurde, nicht beliebig lang zuwarten, bis dieser sich zu einer Entbindung von der Vertraulichkeit entschließt und die Grundlage für die außerordentliche Kündigung bereitet.[12]

Während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ist eine Kontaktaufnahme mit dem Beschäftigten aus Gründen der Rücksichtnahme auf dessen Genesungsprozesses nur begrenzt zulässig. Der Arbeitgeber muss wegen seiner sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden Pflicht auf die Erkrankung des Beschäftigten Rücksicht nehmen und alles unterlassen, was dem Genesungsprozess abträglich war oder ggf. sogar eine Verschlechterung des Zustands herbeiführen konnte.[13]

Hierzu zählen ebenfalls rechtlich geschützte Positionen des Beschäftigten, die nicht in der Person begründet sind. Dazu gehört auch die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsbetätigungsfreiheit des Beschäftigten. Der Arbeitgeber hat bei der Ausgestaltung von Arbeitszeitplänen den Wunsch ein...

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