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BSG Urteil vom 15.03.1995 - 6 RKa 42/93

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortsetzungsfeststellungsklage. Feststellungsinteresse. berechtigtes Interesse. Ermächtigung. Krankenhausarzt. Bedarf. Ermächtigungsbedarf. Versorgungslücke. Vorrang. Überweisung. Gebietsarzt. Fachkollege. Patient. Bedarfsplan. Bedarfsermittlung

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Entscheidung über einen Ermächtigungsantrag dürfen die Zulassungsinstanzen die notwendige Bedarfsprüfung nicht dadurch ersetzen, daß sie für den Fall einer etwaigen Versorgungslücke vorsorglich eine auf Facharztüberweisungen beschränkte Ermächtigung erteilen.

 

Normenkette

SGG § 131 Abs. 1 S. 3; SGB V § 116 S. 2; Ärzte-ZV § 31a

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 25.08.1993; Aktenzeichen L 11 Ka 163/92)

SG Duisburg (Entscheidung vom 29.10.1992; Aktenzeichen S 19 Ka 35/91)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. August 1993 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger ist seit Anfang 1991 ärztlicher Leiter der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des S. -J. -Stifts in D.. Auf seinen Antrag ermächtigten ihn der Zulassungsausschuß für Kassenärzte und die Beteiligungskommission für die Ersatzkassenpraxis befristet bis 31. Dezember 1993 zur Erbringung verschiedener mund-, kiefer- und gesichtschirurgischer Leistungen „auf Überweisung von Kassenärzten” (Bescheide vom 27. Februar 1991 und 5. März 1991). Der beklagte Berufungsausschuß und die Berufungskommission für die Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis schränkten auf den Widerspruch der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Nordrhein (Beigeladene zu 5) die Ermächtigung dahingehend ein, daß eine Behandlung durch den Kläger nur „auf Überweisung von Ärzten für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie Kinderärzten und Ärzten für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde” zugelassen wurde (Bescheide vom 23. Oktober 1991).

Die dagegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Urteil vom 25. August 1993 ausgeführt, der Beklagte habe die Ermächtigung, über deren gegenständlichen Umfang zwischen den Beteiligten kein Streit bestehe, in rechtlich zulässiger Weise auf Fälle der Überweisung durch bestimmte Gebietsärzte beschränkt. Es handele sich um eine sachgerechte Maßnahme zur Wahrung des Vorrangs der niedergelassenen Vertragsärzte, die einerseits die Möglichkeit der Überweisung an den Krankenhausarzt offenhalte, andererseits sicherstelle, daß dieser nur dann eingeschaltet werde, wenn das Leistungsangebot der auf Erkrankungen des Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereichs spezialisierten Vertragsärzte nicht ausreiche.

Nach Erlaß des Berufungsurteils ist der Kläger durch Bescheid des Zulassungsausschusses vom 20. Oktober 1993 für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 1995 erneut im bisherigen Umfang zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt worden.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt er sein Begehren im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage weiter. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Beigeladene zu 5) sei durch die Bescheide des Zulassungsausschusses und der Beteiligungskommission nicht beschwert gewesen, weil diese ihren im Verwaltungsverfahren gestellten Anträgen in vollem Umfang entsprochen hätten. Der Widerspruch sei deshalb unzulässig gewesen. Auch in der Sache seien die Bescheide des Beklagten und der früheren Berufungskommission rechtswidrig gewesen, denn für eine Ermächtigung, bei der die Überweisungsberechtigung bestimmten Gebietsärzten vorbehalten werde, biete das Gesetz keine Handhabe.

Der Kläger und die zu 1) beigeladene Ortskrankenkasse, die sich dem Revisionsvorbringen angeschlossen hat, beantragen,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. August 1993 und des Sozialgerichts Duisburg vom 29. Oktober 1992 aufzuheben und festzustellen, daß der Bescheid des Beklagten vom 23. Oktober 1991 rechtswidrig war,

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladenen zu 3), 4), 5) und 6) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Zu entscheiden ist nach dem Revisionsantrag allein über die Rechtmäßigkeit des Bescheides des beklagten Berufungsausschusses vom 23. Oktober 1991. Dieser ursprünglich mit der Anfechtungsklage angegriffene Verwaltungsakt hat sich durch Ablauf des Ermächtigungszeitraums am 31. Dezember 1993 erledigt. Die Fortsetzungsfeststellungsklage, auf die der Kläger sein Begehren umgestellt hat, ist zulässig. Das nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG notwendige Feststellungsinteresse ergibt sich aus der – durch den nachfolgenden Bescheid vom 20. Oktober 1993 genährten – Befürchtung, daß die Zulassungsinstanzen die Ermächtigung auf der Grundlage des durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) inhaltlich nicht veränderten § 116 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) auch in Zukunft in der von der Revision beanstandeten Weise regeln werden. Dieses Interesse ist auch nicht dadurch weggefallen, daß aufgrund der Neuregelung in § 115b SGB V idF des GSG Krankenhäuser seit dem 1. Januar 1993 im Fall einer entsprechenden Bereiterklärung auch ohne Ermächtigung zur Durchführung ambulanter Operationen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt sind. Da die streitige Ermächtigung neben operativen Behandlungen weitere Leistungen des gesichts-, mund- und kieferchirurgischen Fachgebietes, wie Untersuchungen zum Zwecke der Krankheitserkennung oder die konsiliarische Beratung des überweisenden Arztes, umfaßt, besteht schon aus diesem Grunde das Rechtsschutzbedürfnis fort.

Allerdings beschränkt sich das berechtigte Interesse iS des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG auf die Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung. Ob der streitbefangene Verwaltungsakt aus formellen Gründen – etwa wegen der von der Revision geltend gemachten Unzulässigkeit des Widerspruchs der Beigeladenen zu 5) gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses – rechtswidrig gewesen ist, ist im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage nicht mehr zu entscheiden, weil insoweit eine Wiederholungsgefahr weder behauptet noch ersichtlich ist.

Die Frage, ob der Bescheid in sachlich-rechtlicher Hinsicht Rechte des Klägers dadurch verletzt hat, daß er die Behandlungsbefugnis auf Fälle der Überweisung durch Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen sowie Kinderärzte und Ärzte für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde beschränkt hat, läßt sich auf der Grundlage der bisher getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht beantworten.

Nach § 116 Satz 2 SGB V (gleichlautend § 31 a Abs. 1 Satz 2 Ärzte-ZV) ist eine Ermächtigung zu erteilen, soweit und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten ohne die besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnisse von hierfür geeigneten Krankenhausärzten nicht sichergestellt wird. Eine Versorgungslücke, die durch eine Ermächtigung geschlossen werden muß, kann entweder in quantitativer Hinsicht (die Zahl der zugelassenen Vertragsärzte reicht nicht aus, um den Bedarf sicherzustellen) oder in qualitativer Hinsicht (bestimmte, für eine ausreichende Versorgung benötigte Leistungen werden von den zugelassenen Vertragsärzten nicht angeboten) bestehen. Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die ambulante vertragsärztliche Versorgung mit mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Leistungen im Raum D. in einer der genannten Richtungen Defizite aufweist, nicht abschließend geklärt. Es hat ausgeführt, eine Ermächtigungsnotwendigkeit liege angesichts der Zahl der in der Stadt D. und im näheren Umland niedergelassenen Gebietsärzte und des von diesen Ärzten angebotenen Leistungsspektrums jedenfalls nicht offen zutage; unter diesen Umständen sei es sachgerecht und ausreichend, daß der Beklagte zur Abdeckung eines etwaigen Restbedarfs eine eingeschränkte Ermächtigung mit der Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Klägers ausschließlich auf Überweisung durch die einschlägig tätigen Gebietsärzte vorgesehen habe. Dieser rechtlichen Bewertung kann nicht zugestimmt werden.

Der Senat hat in zwei Urteilen vom 22. Juni 1994 – 6 RKa 21/92 – (SozR 3-2500 § 116 Nr. 6) und 15. März 1995 – 6 RKa 27/94 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) seine bereits früher (BSGE 29, 65 = SozR Nr. 32 zu § 368a RVO) vertretene Auffassung bekräftigt, daß im Fall eines quantitativ oder qualitativ unzureichenden Leistungsangebots der niedergelassenen Vertragsärzte die Ermächtigung des Krankenhausarztes grundsätzlich nicht auf Fälle der Überweisung durch Fachkollegen beschränkt werden kann. Er hat gleichzeitig klargestellt, daß die Zulassungsinstanzen die Frage des Ermächtigungsbedarfs nicht offenlassen und die notwendigen Feststellungen dadurch ersetzen dürfen, daß sie für den Fall einer möglichen Versorgungslücke vorsorglich eine auf Facharztüberweisungen beschränkte Ermächtigung erteilen. Ein solches Vorgehen würde zwar den Vorrang der niedergelassenen Ärzte bei der ambulanten Krankenversorgung wahren, ginge aber zu Lasten der versicherten Patienten, die stets zunächst an den niedergelassenen Gebietsarzt überwiesen werden müßten, obwohl möglicherweise von vornherein feststünde, daß dieser die Behandlung nicht übernehmen oder die erforderlichen Leistungen nicht erbringen könnte. Für derartige Erschwernisse gibt es keinen sachlichen Grund, weil sich die Versorgungssituation in aller Regel vorab ausreichend klären läßt und den Interessen der niedergelassenen Gebietsärzte durch eine am festgestellten Bedarf ausgerichtete Beschränkung des Ermächtigungsumfangs Rechnung getragen werden kann. Nur wenn feststeht, daß das Leistungsangebot der zugelassenen Vertragsärzte weder unter quantitativen noch unter qualitativen Gesichtspunkten Defizite aufweist, und die Ermächtigung lediglich eine Einschaltung des Krankenhausarztes in besonderen Problemfällen ermöglichen soll, ist es zulässig und geboten, die Überweisungsbefugnis den entsprechend spezialisierten Gebietsärzten vorzubehalten. Ausgehend von diesen rechtlichen Erwägungen durfte die Frage nach einem etwaigen Fehlbedarf in der mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Versorgung nicht unbeantwortet bleiben.

Nach den Feststellungen des LSG besteht im Zuständigkeitsbereich der beigeladenen KÄV für die Gruppe der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen kein Bedarfsplan, anhand dessen sich die Zahl der für eine ausreichende und zweckmäßige vertragsärztliche Versorgung benötigten Gebietsärzte bestimmen läßt. Bei dieser Sachlage hätten sich die Zulassungsgremien nicht mit einer summarischen und ungesicherten Einschätzung allein auf der Grundlage der Zahl der im Raum D. praktizierenden Ärzte für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie begnügen dürfen, sondern bei diesen Ärzten und den betroffenen Krankenkassen Erhebungen zum Auslastungsgrad der vorhandenen Praxen, zu den Wartezeiten bei ambulanten Operationen und zum Bestehen etwaiger Engpässe anstellen müssen. Auch in qualitativer Hinsicht hätte die Versorgungssituation einer genaueren Überprüfung bedurft. Im Hinblick darauf, daß es sich um eine Erstermächtigung handelte und deshalb die sonst übliche und von der Rechtsprechung gebilligte Methode der Bedarfsermittlung durch einen Leistungsvergleich anhand der Abrechnungsstatistiken nicht möglich war, blieb im wesentlichen nur der Ausweg einer Befragung des Klägers und der im Einzugsbereich des Krankenhauses niedergelassenen Gebietsärzte zu ihrem jeweiligen Leistungsspektrum. Vom Beklagten sind zu diesem Punkt aber nur zwei der in D. und Umgebung praktizierenden sechs Gesichts-, Mund- und Kieferchirurgen gehört worden, und zwar gerade diejenigen, denen der Kläger schon im Verwaltungsverfahren eine Befangenheit wegen vorausgegangener Streitigkeiten mit der Krankenhausverwaltung unterstellt hatte. Nachdem weitere Ärzte als Informationsquelle zur Verfügung standen, kann auch dies nicht als genügende Sachaufklärung angesehen werden.

Da der Senat die erforderlichen Ermittlungen zur Bedarfslage nicht selbst durchführen kann, war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Zwar ist bei einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Ermächtigungssachen eine Zurückverweisung wegen des den Zulassungsgremien hinsichtlich der Bedarfsfeststellung zukommenden Beurteilungsspielraums in der Regel nicht sinnvoll, so daß in diesen Fällen lediglich der angefochtene Bescheid aufzuheben und dem Berufungsausschuß seinerseits aufzugeben ist, über den erhobenen Anspruch auf (umfassendere) Ermächtigung nach Klärung der erheblichen Tatsachen nochmals zu entscheiden. Für die Fortsetzungsfeststellungsklage gilt das jedoch nicht, weil hier nur über die Rechtmäßigkeit des früheren Bescheides und nicht über den Ermächtigungsanspruch selbst zu urteilen ist. Das LSG kann deshalb nach Zurückverweisung und Durchführung der notwendigen Ermittlungen selbst über die Sache abschließend entscheiden. Es wird bei dieser Gelegenheit auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu befinden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1049529

Breith. 1996, 185

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