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BFH Urteil vom 29.01.1991 - III R 55/89 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Verarbeitendes Gewerbe i. S. von § 19 BerlinFG

 

Leitsatz (NV)

Das verarbeitende Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe - ist von den übrigen Wirtschaftszweigen entsprechend der Einordnung nach dem systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes abzugrenzen. Dabei hat das FA in aller Regel die Einordnung durch das Statistische Landesamt zu übernehmen, es sei denn, daß diese konkrete Einordnung offensichtlich falsch ist (Bestätigung der Rechtsprechung vom 30. Juni 1989 III R 85/87, BFHE 157, 291, BStBl II 1989, 809 und vom 8. Juli 1988 III R 23/84, BFH/NV 1989, 392).

 

Normenkette

BerlinFG a.F. § 19 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 a. aa

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Sieb- und Bruchunternehmen. Sie gewinnt aus Boden, der mit Steinen, Betonbrocken und Holz durchsetzt ist, Bodengemische und Füllboden. Ferner gewinnt die Klägerin aus Grasnarbe, Strauchwerk, Laub und Ästen und Baumwurzeln unter Zusatz von Lehm und Sand Mutterboden sowie aus Beton, Stahlbeton, Schwarzdecken und Hartsteinen Tragschichten (Splitt) für den Straßen-, Wege- und Sportplatzbau.

Mit Schreiben vom Februar 1984 teilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) der Klägerin mit, daß das Statistische Landesamt ihrem Betrieb die Kennziffer 221 10 (Gewinnung von Natursteinen) zugeteilt habe. In einem späteren Schreiben vom September 1985 an die Klägerin führte das FA aus, das Statistische Landesamt habe dem Betrieb nunmehr die Gewerbekennziffer 222 90 (Verarbeitung von Schiefer sowie von Steinen und Erden) zugeteilt. Dies sei jedoch unzutreffend. Die Tätigkeit der Klägerin sei der Gewerbekennziffer 408 79 (Großhandel mit sonstigen Altmaterialien und Reststoffen) zuzuordnen.

Im Streitjahr erwarb die Klägerin eine Maschine im Wert von . . . DM. Dafür begehrte sie eine Investitionszulage von 25 v. H. der Anschaffungskosten. Das FA gewährte lediglich die 10 %ige Grundzulage und lehnte die erhöhte Zulage ab.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, sie betreibe als Recycling-Unternehmen einen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes. Unter Verwertung von Bauschutt und Zugabe von Düngetorf, Lehm, Sand usw. stelle sie Füllboden, Mutterboden und Splitt her. Diese Endprodukte seien als hochwertige Materialien Wirtschaftsgüter anderer Marktgängigkeit als der zuvor be- und verarbeitete Bauschutt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte zur Begründung aus: die Abgrenzung des verarbeitenden Gewerbes gegenüber den übrigen Wirtschaftszweigen sei entsprechend der Einordnung nach dem Systematischen Verzeichnis für Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts (Ausgabe 1979) - systematisches Verzeichnis - vorzunehmen. Ein Rückgriff auf die Einordnung nach dem systematischen Verzeichnis für das Investitionszulagenrecht verböte sich allerdings dann, wenn eine solche Einordnung im Einzelfall zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führe. So lägen die Verhältnisse im Streitfall. Der Betrieb der Klägerin sei unter die Gewerbekennziffer 408 79 (Großhandel mit sonstigen Altmaterialien und Reststoffen) und nicht in die Abteilung 2 (verarbeitendes Gewerbe) einzuordnen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe entschieden, daß die Abgrenzung des verarbeitenden Gewerbes von anderen Gewerbezweigen in engster Anlehnung an das systematische Verzeichnis zu erfolgen habe. Hiervon sei die Vorinstanz abgewichen, da es der Einordnung des Statistischen Landesamts nicht gefolgt sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das FG hat zu Unrecht die Gewährung einer erhöhten Investitionszulage abgelehnt; es hat den Betrieb der Klägerin unzutreffend nicht als Betrieb des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - i. S. des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a, aa des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) angesehen.

1. Die Abgrenzung des verarbeitenden Gewerbes gegenüber den übrigen Wirtschaftszweigen ist nach gefestigter Rechtsprechung des BFH entsprechend der Einordnung nach dem systematischen Verzeichnis vorzunehmen (s. Urteil vom 30. Juni 1989 III R 85/87, BFHE 157, 291 m. w. N., BStBl II 1989, 809, m. w. N.).

Zutreffend ist in diesem Zusammenhang allerdings die Auffassung, daß die Entscheidung darüber, ob ein Betrieb als verarbeitendes Gewerbe im Sinne des systematischen Verzeichnisses anzusehen ist, für den Bereich der Berlinzulage grundsätzlich das FA und nicht das Statistische Landesamt trifft. Dabei kommt aber der Zuordnung eines Unternehmens im konkreten Einzelfall durch das Statistische Landesamt eine starke Indizwirkung zu. Das bedeutet, daß von dem FA in aller Regel die Einordnung durch das Statistische Landesamt zu übernehmen ist (BFH-Urteil vom 2. Mai 1980 III R 130/78, BFHE 131, 261, BStBl II 1980, 732). Nur dann ist dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit Rechnung getragen, der die Rechtsprechung bewogen hat, die Entscheidung in engster Anlehnung an das systematische Verzeichnis zu treffen. Die Rechtssicherheit wird mehr gewährleistet durch die konkrete Einordnung eines Unternehmens durch das Statistische Landesamt als durch das Verzeichnis als solches. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen ist allerdings dann zu machen, wenn diese konkrete Einordnung offensichtlich falsch ist. Das ist jedoch nach Auffassung des Senats hier nicht der Fall.

2. a) Nach den Feststellungen des FG war der Betrieb der Klägerin im Streitjahr von dem Statistischen Landesamt der Gewerbekennziffer 222 90 zugeordnet. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des FA in der Revision, daß das Statistische Landesamt zwischenzeitlich der Klägerin die Gewerbekennziffer 408 79 zugeteilt hat. Diesen neuen Sachvortrag konnte der Senat nicht berücksichtigen, da das FA insoweit keine zulässige und begründete Verfahrensrüge erhoben hat (s. hierzu Gräber / Ruban, 2. Aufl., Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 118 Rdnr. 39 ff.).

b) Ob die Einordnung des Betriebs der Klägerin in die Abteilung 2 des systematischen Verzeichnisses durch das Statistische Landesamt sachgerecht war, kann dahinstehen; denn im Streitfall führt die Einordnung des Betriebs der Klägerin unter die Nr. 222 90 des systematischen Verzeichnisses (Verarbeitung von Schiefer sowie von Steinen und Erden) jedenfalls nicht - wie das FG angenommen hat - zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis.

Die Gewinnung von Füllboden, Bodengemischen und Tragschichten aus Bauschutt kann durchaus auch als Verarbeitung beurteilt werden, wenn man in den Füllboden, Bodengemischen und Tragschichten andere (neue) Produkte sieht. Daß die Tätigkeit der Klägerin auf die Herstellung anderer Produkte ausgerichtet sein kann, wird insbesondere bei der Gewinnung von Mutterboden deutlich. Diesen gewinnt die Klägerin nicht allein durch Verwertung von Altmaterialien (Grasnarbe, Strauchwerk, Laub usw.), sondern unter Zusatz von Lehm und Sand. In dieser verarbeitenden Tätigkeit ist auch nicht zwingend eine handelsübliche Verarbeitung zu sehen, die gemäß der Vorbemerkung zu Abteilung 4 des systematischen Verzeichnisses zur Einordnung in die Abteilung ,,Handel" führt. Die Klägerin bezieht Bauschutt und Altmaterialien und gewinnt hieraus Erzeugnisse, die veräußert werden. Es spricht vieles dafür, in diesem Gewinnungsprozeß einen Herstellungsvorgang und nicht nur eine handelsübliche Verarbeitung zu sehen. Die Ausgangsstoffe sind Altmaterialien und Reststoffe, die wertlos oder nahezu wertlos sind. Es ist daher nicht offensichtlich unzutreffend, wenn der Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin in der wertschöpfenden Herstellung bestimmter Böden und nicht in der Weiterveräußerung von Altmaterialien und Reststoffen gesehen wurde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417580

BFH/NV 1991, 559

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