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BFH Urteil vom 26.02.1964 - I 139/62 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Körperschaftsteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ist eine Werksanlage durch Geröllmassen, die sich am Hang eines Berges ansammeln und bei denen die Gefahr besteht, daß sie von Zeit zu Zeit (alle 10 bis 12 Jahre) abrutschen, bedroht, so kann aus diesem Grunde eine gewinnmindernde "Rückstellung für Katastrophenwagnis" steuerlich nicht anerkannt werden.

 

Normenkette

KStG § 6; EStG §§ 5, 6/1/3

 

Tatbestand

Die Kraftwerksanlagen der steuerpflichtigen GmbH in den Werken K. und S. sind von Beschädigungen bedroht, weil sich am Hang eines Berges immer wieder Geröllmassen ansammeln, die von Zeit zu Zeit - durchschnittlich alle zehn bis zwölf Jahre - abrutschen. Aus diesem Anlaß bildete die Steuerpflichtige erstmals 1956 eine gewinnmindernde "Rückstellung für Katastrophenwagnis" in Höhe von 25 000 DM, die bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer 1956 nicht beanstandet wurde. Im Jahre 1957 und den folgenden Jahren wurden der Rückstellung jährlich weitere 45 000 DM zugeführt, deren Abzug aber vom Finanzamt nicht anerkannt wurde.

Die Bfin. ist der Meinung, der Eintritt des Schadens sei nach den bisherigen Erfahrungen gewiß. Der zukünftige Schaden stehe zwar in keinem Zusammenhang mit Betriebsvorgängen des abgelaufenen Jahres, aber in diesem sei ein weiteres Fortschreiten der zum Schaden führenden Verwitterung und Geröllbildung eingetreten. Aus den zu erwartenden Beschädigungen der Anlagen ergäben sich im übrigen Schadensersatzansprüche der Stromabnehmer bei ausfallender Stromversorgung. Wenn jedoch am Stichtag Dritten gegenüber eine Verpflichtung zur Instandhaltung bestehe, so seien Rückstellungen möglich. Es beständen Verpflichtungen der Steuerpflichtigen gegenüber ihren Stromabnehmern zur Lieferung des Stroms, die im Falle eines Katastropheneinbruchs und des damit verbundenen Stromausfalls finanzielle Belastungen hervorrufen würden. Wie die bisherigen Katastrophen gezeigt hätten, könne das Werk infolge Ausfalls eines großen Teiles der Stromerzeugung seinen Verpflichtungen nur durch Bezug von Fremdstrom nachkommen. Zwar hätten die Abnehmer vertraglich keinen unmittelbaren Anspruch etwa auf Wiederherstellung der Anlagen, wie es im Falle der unterbliebenen Instandhaltung denkbar sei. Dagegen sei aber ihr Anspruch auf die Lieferung von Strom gerichtet und dieser Anspruch verpflichte die Steuerpflichtige ihrerseits zu einem raschen Wiederaufbau der Anlagen sowie zur Beschaffung von Fremdstrom. Damit sei der unmittelbare Zusammenhang zwischen dem rückstellungsfähigen Ereignis und dem Lieferanspruch gegeben.

Einspruch und Berufung wurden als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht führt zur Begründung der Ablehnung einer Rückstellung aus, es fehle der Zusammenhang der den Stromerzeugungsanlagen drohenden Schäden mit der Tätigkeit des Unternehmens. Naturereignisse als Ursache bevorstehender Verbindlichkeiten könnten nicht zur Bildung von Rückstellungen führen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. kann - wenn auch aus anderen als den vom Finanzgericht genannten Gründen - keinen Erfolg haben. Rückstellungen können in einem Betrieb erforderlich werden, wenn Schuldverbindlichkeiten gegenüber Dritten vorliegen, die am Bilanzstichtag entweder in dieser Höhe oder in ihrer Geltendmachung durch den Gläubiger noch ungewiß sind (eine sittliche Verpflichtung genügt; Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 224/55 U vom 29. Mai 1956, BStBl 1956 III S. 212, Slg. Bd. 63 S. 40) oder bei Vorhandensein einer selbständig bewertungsfähigen Betriebslast (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 149/54 S vom 19. Juli 1955, BStBl 1955 III S. 266, Slg. Bd. 61 S. 174; IV 30/58 vom 20. April 1961, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 Nr. 152). Es ist der Bfin. zuzugeben, daß hiernach eine Rückstellung nicht nur möglich ist, wenn die Last durch die unternehmerische Betätigung des Steuerpflichtigen entstanden ist. Auch andere Ereignisse, wie z. B. Naturereignisse und Kriegszerstörungen können zu einer Rückstellung führen, wie das Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs III 11/49 vom 11. Mai 1949 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Bewertungsgesetz, § 62, Rechtsspruch 1) zeigt. Dieses ist zwar in einer Einheitswertsache ergangen, seine Grundsätze gelten aber auch für die Gewinnermittlung (Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 54/51 S vom 26. Juni 1951, BStBl 1951 III S. 211, Slg. Bd. 55 S. 517).

Gleichwohl ist der Vorentscheidung im Ergebnis zuzustimmen. Eine zu berücksichtigende Schuldverbindlichkeit gegenüber Dritten liegt hier nicht vor; denn eine solche könnte nur zu einer Rückstellung führen, wenn das die Schuld begründende Ereignis bereits eingetreten und dadurch das abgelaufene Jahr wirtschaftlich belastet ist (vgl. auch Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs I 1/47 vom 13. September 1947, StRK, Körperschaftsteuergesetz, § 6, S. 1 Allgemeines, Rechtsspruch 6). Von dem Bestehen einer solchen Schuldverbindlichkeit kann aber hier nicht gesprochen werden, da gegenüber den Stromabnehmern allenfalls dann Verpflichtungen entstehen können bzw. erst dann durch das Beziehen von Fremdstrom eine Belastung eintreten kann, wenn durch eine "Katastrophe" die eigene Stromerzeugung ausgefallen ist. Dies ist aber hier nicht der Fall.

Auch eine wirtschaftliche Last, die als Grundlage für eine Rückstellung geltend gemacht werden könnte, ist bei der Steuerpflichtigen nicht erkennbar. Die Rückstellung dient einer richtigen Erfolgsermittlung und Periodenabgrenzung. Ausgaben, die später gemacht werden, wirtschaftlich aber das abgelaufene Wirtschaftsjahr betreffen, sollen im Interesse einer zutreffenden Aufwandsverteilung das abgelaufene Wirtschaftsjahr belasten. Eine solche Last muß als passives Wirtschaftsgut feststellbar sein. Auch das ist hier nicht der Fall; es besteht wohl die Gefahr, daß irgendwann in der Zukunft eine Last eintreten wird. Allein die Gefahr, daß eine Last entstehen wird, kann mit der Last selbst nicht gleichgesetzt werden. Auch wenn dargetan wird, daß die Last mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit eintreten wird, kann dies nicht zum Anlaß einer Rückstellung führen. Es handelt sich hier um Ausgaben, die erst später anfallen, wobei ungewiß ist, wann sie anfallen, und nicht geschätzt werden kann, wie hoch sie sein werden. Diese Ausgaben haben auch ihren Grund nicht in irgendwelchen Umständen, die das vergangene oder ein vorangegangenes Wirtschaftsjahr betreffen.

Wenn sich die Bfin. zur Stützung ihrer Rechtsansicht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 115/59 U vom 4. Juni 1959 (BStBl 1959 III S. 325, Slg. Bd. 69 S. 167) berufen will, so lag gerade nach dem dort gegebenen Sachverhalt das schadensbegründende Ereignis (nämlich die Herausgabe eines Buches, das nicht absetzbar war) am Bilanzstichtag bereits vor. Auch die übrige zu diesem Problem ergangene Rechtsprechung läßt erkennen, daß die Ursache für die spätere Betriebsausgabe im Augenblick der Rückstellung bereits vorliegen muß. Zu der naheliegenden Frage der Rechnungsabgrenzungsposten sagt das Urteil des Bundesfinanzhofs I 54/54 U vom 15. Februar 1955 (BStBl 1955 III S. 172, Slg. Bd. 60 S. 448), daß sie nur dort gebildet werden können, wo bestimmte Voraussetzungen im Verhältnis zum Bilanzstichtag erfüllt sind, wie dies bei der vorausbezahlten oder nachzuzahlenden Miete der Fall ist. Mit diesen Fällen kann die Gefahr, daß alle zehn bis zwölf Jahre durch ein Naturereignis ein Schaden im Betrieb entstehe, nicht gleichgesetzt werden.

Bei dem hier in Rede stehenden Passivposten handelt es sich um eine Rücklage, die Teile des Gewinnes für eine spätere Erneuerung von Anlagen bindet, die aber den steuerlichen Gewinn nicht mindern darf. Auch eine Absetzung wegen außergewöhnlicher wirtschaftlicher Abnutzung kann auf Grund des vorliegenden Tatbestandes nicht zugelassen werden. Eine solche tritt nur ausnahmsweise in Abweichung von der technischen Abnutzung ein; Voraussetzung für eine Abschreibung ist aber, daß es sich um betriebswirtschaftlich klare, objektiv nachprüfbare Verhältnisse handelt, die erkennen lassen, daß bestimmte Wirtschaftsgüter in dem Betrieb nicht mehr nutzbringend verwendbar sind (vgl. Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 142-144/37 vom 28. April 1937, RStBl 1937 S. 956). Insbesondere muß auch hierfür die Minderung der Verwendungsmöglichkeit bereits eingetreten sein. Hieran fehlt es aber nach den vorstehenden Ausführungen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411157

BStBl III 1964, 333

BFHE 1964, 279

BFHE 79, 279

BB 1964, 674

DB 1964, 938

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