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BFH Urteil vom 14.11.1969 - VI R 72/68

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Leitsatz (amtlich)

1. Überläßt ein Steuerpflichtiger ganz oder teilweise unentgeltlich ein Einfamilienhaus an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person, so ist ihm der Nutzungswert der überlassenen Wohnung zuzurechnen.

2. Der Nutzungswert bestimmt sich in diesem Fall nicht nach der EinfHaus-VO, sondern nach dem unter Berücksichtigung der üblichen Mittelpreise des Verbrauchsorts anzusetzenden Wert (Abweichung von dem Urteil des BFH VI 42/64 S vom 15. Oktober 1965, BFH 84, 290, BStBl III 1966, 106).

Normenkette

EStG § 8 Abs. 2; EStG § 12 Nr. 2; EStG § 21 Abs. 2; EinfHausVO § 1; EinfHausVO § 2

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger sind Eheleute (künftig: Steuerpflichtige). Der steuerpflichtige Ehemann ist Eigentümer eines im Einheitswertverfahren als Einfamilienhaus bewerteten Gebäudegrundstücks. Im Streitjahr 1965 hat er das Einfamilienhaus seiner Tochter mit deren Familie zur Nutzung überlassen. Die Tochter zahlt dafür ein monatliches Entgelt von 350 DM.

Die Steuerpflichtigen begehren, bei der Bemessung ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hinsichtlich dieses Einfamilienhauses die EinfHaus-VO vom 26. Januar 1937 (RGBl I 1937, RStBl 1937, 161) anzuwenden. Bei der Einkommensteuerveranlagung schätzte das FA - Beklagter und Revisionsbeklagter - jedoch den Mietwert der Wohnung mit Garage auf monatlich 900 DM und legte diesen Betrag der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zugrunde. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG wies die Klage im wesentlichen aus folgenden Gründen ab: Der Nutzungswert der der Tochter überlassenen Wohnung sei den Steuerpflichtigen nach § 12 Nr. 2 EStG zuzurechnen, weil es sich bei der Zuwendungsempfängerin um eine den Gebern gegenüber nach § 1601 BGB unterhaltsberechtigte Person handele. Auch die vom FA angesetzte Höhe der Zurechnung sei nicht zu beanstanden. Würden die Steuerpflichtigen das Einfamilienhaus ausschließlich selbst bewohnen, so wäre ihnen nach § 21 Abs. 2 erste Alternative EStG der Nutzungswert zuzurechnen. Die Zurechnung müßte in gleicher Weise erfolgen, wenn die Steuerpflichtigen das Haus ihrer Tochter unentgeltlich zur Verfügung gestellt hätten. Tatsächlich hätten die Steuerpflichtigen ihrer Tochter das Haus jedoch nicht unentgeltlich, sondern gegen Zahlung von jährlich 4 200 DM überlassen. Die Zahlung der Tochter könne nicht mehr, wie die Steuerpflichtigen meinen, als reine Anerkennungsgebühr angesehen werden. Nach den Angaben der Steuerpflichtigen würden hieraus nämlich auf jeden Fall die durch die Unterhaltung des Hauses anfallenden Unkosten gedeckt werden. Die Zuwendungen, die die Steuerpflichtigen ihrer Tochter zukommen ließen, könnten demnach tatsächlich nur in dem Unterschiedsbetrag zwischen den effektiv geleisteten 4 200 DM und dem Mietzins bestehen, den die Tochter aufwenden müßte, wenn sie das gleiche Haus von einem ihr gegenüber nicht unterhaltsverpflichteten Hauseigentümer gemietet hätte. Der von den Finanzbehörden ermittelte Betrag von 900 DM monatlich für das der Tochter überlassene Haus entspreche dem echten Mietwert.

Mit der Revision rügen die Steuerpflichtigen die Verletzung materiellen Rechts. Sie tragen vor: Würden sie das Haus selbst nutzen oder vollkommen unentgeltlich einem Angehörigen überlassen, so wäre die EinfHaus-VO anwendbar. Das müsse auch hier gelten; denn nach § 12 Nr. 2 EStG seien Zuwendungen an gesetzlich Unterhaltsberechtigte steuerlich nicht abziehbar; sie würden beim Zuwendenden versteuert und nicht bei dem Empfänger. Daraus folge zwangsläufig, daß die Versteuerung beim Zuwendenden genauso stattzufinden habe, als habe er nichts zugewendet, sondern das Haus selbst genutzt. Hieran ändere sich nichts dadurch, daß sie von ihrer Tochter monatlich 350 DM erhalten hätten. Solange der Charakter der Unentgeltlichkeit überwiege, sei die teilweise unentgeltliche Zuwendung ebenso zu behandeln wie die vollkommen unentgeltliche. Erst wenn der Entgeltscharakter überwiege, könne etwas anderes gelten. Das sei hier aber nicht der Fall, weil das FG selbst den üblichen Mittelpreis mit monatlich 900 DM angesetzt habe. Nach Abschn. 123 Abs. 3 EStR gehöre zu den nicht abziehbaren Zuwendungen im Sinne von § 12 Nr. 2 EStG auch der Nutzungswert einer ganz oder teilweise unentgeltlich überlassenen Wohnung. Diesen Nutzungswert hätten sie zu versteuern. Dies könne logisch nur so geschehen, als ob die Zuwendung nicht vorhanden wäre, also mit dem Wert nach der EinfHaus-VO.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Mietwert des Einfamilienhauses den Steuerpflichtigen zuzurechnen ist. Nach § 21 Abs. 2 erste Alternative EStG gehört zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus, wenn der Eigentümer die Wohnung selbst bewohnt. Überläßt er sie ganz oder teilweise unentgeltlich einem fremden Dritten, dann hat zwar dieser (der Nutzende) den Nutzungswert als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu versteuern (§ 21 Abs. 2 zweite Alternative EStG). Handelt es sich aber bei dem unentgeltlich oder verbilligt Nutzenden um eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person, so sind die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bei dem Eigentümer (Überlassenden) zu versteuern, weil nach § 12 Nr. 2 EStG Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen nicht abziehbar sind. § 12 Nr. 2 EStG geht insoweit der Vorschrift des § 21 Abs. 2 zweite Alternative EStG vor (vgl. die Urteile des BFH VI 5/54 U vom 11. Januar 1957, BFH 64, 177, BStBl III 1957, 68; VI 252/63 vom 21. August 1964, HFR 1965, 20; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 12 EStG Anm. 8 E 796 7). Denn wirtschaftlich kommt es auf dasselbe hinaus, ob die Steuerpflichtigen ihre Tochter mit monatlich 900 DM unterstützen, damit sie ein ihrem Einfamilienhaus vergleichbares Gebäude mieten könne, oder ob sie ihr die Nutzungen des hier in Rede stehenden Einfamilienhauses überlassen. Würden die Steuerpflichtigen aber ihrer Tochter monatlich 900 DM zugewendet haben, so käme das Abzugsverbot des § 12 Nr. 2 EStG zweifellos zum Zuge. Die Steuerpflichtigen würden so behandelt werden, als hätten sie diesen Betrag für sich selbst verwandt.

Die Tochter der Steuerpflichtigen ist ihnen gegenüber nach § 1601 BGB unterhaltsberechtigt. Das genügt zur Feststellung des Bestehens einer gesetzlichen Unterhaltspflicht im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG. Denn für diese Vorschrift kommt es, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ausschließlich auf die potentielle, abstrakte gesetzliche Unterhaltspflicht an. Es ist nicht auch erforderlich, daß eine konkrete Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten und eine konkrete Leistungsfähigkeit des Verpflichteten vorliegen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. neuerdings das Urteil des Senats VI R 60/68 vom 31. Oktober 1969, BFH 97, 303).

2. Bei der Ermittlung der Höhe der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hat das FG zu Recht den Mietwert nicht nach der EinfHaus-VO berechnet. Die Anwendung dieser Verordnung setzt voraus, daß das Gebäudegrundstück im Einheitswertverfahren als Einfamilienhaus bewertet worden ist und daß der Eigentümer das Gebäude selbst zu Wohnzwecken nutzt (vgl. neuerdings das Urteil des Senats VI R 336/67 vom 12. September 1969, BFH 96, 527, BStBl II 1969, 727).

Vermietet ein Steuerpflichtiger ein Einfamilienhaus an einen fremden Dritten, dann sind bei ihm die tatsächlich erzielten Einnahmen nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu erfassen; die EinfHaus-VO ist in diesem Fall nicht anzuwenden (vgl. das Urteil des Senats VI 309/58 U vom 15. Januar 1960, BFH 70, 251, BStBl III 1960, 93). Vermietet der Steuerpflichtige das Einfamilienhaus zu einem wie unter Fremden ausgehandelten Mietpreis an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person, dann kann die EinfHaus-VO ebensowenig zum Zuge kommen. Die Überlassung der Wohnung beruht in diesem Fall nicht auf der Unterhaltspflicht des Steuerpflichtigen, sondern auf einem gegenseitigen Vertrag, wie er auch unter Fremden möglich wäre (vgl. das genannte Urteil des Senats VI R 60/68).

Überläßt ein Steuerpflichtiger ein Einfamilienhaus völlig unentgeltlich einem fremden Dritten, dann kann die EinfHaus-VO ebenfalls nicht angewendet werden. Der Nutzende hat in diesem Fall nach § 21 Abs. 2 zweite Alternative EStG zwar den Nutzungswert des Hauses zu versteuern. Die EinfHaus-VO ist aber nach ihren §§ 1 und 2 nur bei der Nutzung einer Wohnung im eigenen Einfamilienhaus, also nicht bei Nutzung durch einen fremden Dritten, anwendbar.

Die EinfHaus-VO kann aber auch dann nicht zum Zuge kommen, wenn nicht ein fremder Dritter, sondern ein dem Eigentümer gegenüber Unterhaltsberechtigter das Haus nutzt; denn auch in diesem Fall liegt, obwohl dem Eigentümer des Hauses der Nutzungswert zuzurechnen ist, eine tatsächliche Nutzung durch den Eigentümer, wie es die EinfHaus-VO verlangt, nicht vor. Zwar steht nach dem Urteil des Senats VI 42/64 S vom 15. Oktober 1965 (BFH 84, 290, BStBl III 1966, 106, 108 unter III. 2.) die unentgeltliche Überlassung von Wohnräumen an Familienangehörige der Anwendung der EinfHaus-VO auf das gesamte Gebäude nicht entgegen (ebenso wohl Fußnote 1 zum letzten Absatz "zu § 1" des Runderlasses des RdF vom 26. Januar 1937, RStBl 1937, 161). Der Senat, der an die vorgenannte Verwaltungsanordnung nicht gebunden ist, hält aber an dem Urteil VI 42/64 S nicht mehr fest, weil in Fällen der Überlassung eines Einfamilienhauses an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person der Steuerpflichtige die Wohnung in dem eigenen Einfamilienhaus nicht selbst nutzt.

Ist wie dargelegt die EinfHaus-VO weder bei einer völlig unentgeltlichen noch bei einer wie unter fremden Dritten entgeltlichen Überlassung eines Einfamilienhauses an einen Unterhaltsberechtigten anwendbar, dann kann sie folgerichtig auch nicht bei einer - wie im Streitfall - verbilligten Überlassung eines Einfamilienhauses an eine unterhaltsberechtigte Person zum Zuge kommen. Auch soweit man in diesem Fall nicht eine völlig unentgeltliche, sondern nur eine teilweise unentgeltliche Überlassung für gegeben hält, ist doch keine Nutzung durch den Überlassenden, den Eigentümer selbst, gegeben.

Die Auffassung der Steuerpflichtigen, daß die EinfHaus-VO hier anwendbar sei, wird nicht etwa durch das von ihnen genannte Schrifttum und auch nicht durch Abschn. 123 Abs. 3 EStR 1965 gestützt. Das genannte Schrifttum und die angeführte Verwaltungsanordnung besagen lediglich, ein Steuerpflichtiger habe auch den Nutzungswert einer einem Unterhaltsberechtigten ganz oder teilweise unentgeltlich überlassenen Wohnung zu versteuern. Es sind dort jeweils aber keine Angaben darüber zu finden, in welcher Höhe der Nutzungswert anzusetzen ist, insbesondere ob die EinfHaus-VO im Falle der Überlassung eines Einfamilienhauses anwendbar ist.

3. Kann die EinfHaus-VO nicht zum Zuge kommen, so ist der Nutzungswert des Einfamilienhauses nach § 8 Abs. 2 EStG unter Berücksichtigung der üblichen Mittelpreise des Verbrauchsorts anzusetzen (vgl. das Urteil des Senats VI R 336/67, a. a. O.). Das bedeutet, daß der Mietwert des Einfamilienhauses im Streitfall mit monatlich 900 DM bei den Steuerpflichtigen zu erfassen ist. Gegen die Höhe dieses vom FA angenommenen und vom FG bestätigten Ansatzes sind auch keine Bedenken vorgebracht worden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Steuerpflichtigen den monatlichen Nutzungswert von 900 DM deshalb der Besteuerung ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zugrunde zu legen haben, weil in Höhe dieses Gesamtbetrages eine Zuwendung an die Tochter vorliegt, oder ob sie, wie es das FG angenommen hat, nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG die tatsächlich zugeflossenen Beträge von monatlich 350 DM sowie nach § 21 Abs. 2 erste Alternative EStG i. V. mit § 12 Nr. 2 EStG die Wertdifferenz von 350 DM zu dem üblichen Mittelpreis (900 DM) in Höhe von 550 DM monatlich als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu versteuern haben. In jedem Fall ist bei den Steuerpflichtigen unter den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der monatliche Gesamtbetrag von 900 DM zu erfassen. Die Steuerpflichtigen werden folglich im Ergebnis so behandelt, wie wenn ihre Tochter ihnen monatlich für die Wohnung 900 DM hätte zahlen müssen (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und wie wenn sie dann auf diese Zahlung verzichtet hätten (§ 12 Nr. 2 EStG).

Fundstellen

  • Haufe-Index 68887
  • BStBl II 1970, 207
  • BFHE 1970, 537

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