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BFH Urteil vom 08.02.2000 - II R 51/98

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt der Verwirklichung eines Erwerbsvorgangs, der der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wurde die für einen im Jahr 1996 abgeschlossenen Kaufvertrag erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erst im Jahr 1997 erteilt, so unterliegt der Kaufvertrag dem erhöhten Grunderwerbsteuersatz von 3,5 v.H., weil bis zur wirksamen Erteilung der Genehmigung der Erwerbsvorgang i.S. von § 23 GrEStG 1983 noch nicht verwirklicht worden ist (Bestätigung des BFH-Urteils vom 18. Mai 1999 II R 16/98, BFHE 188, 453, BStBl II 1999, 606).

2. Ein Erwerbsvorgang, der der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, ist auch dann nicht vor deren Erteilung verwirklicht, wenn die Vertragsbeteiligten den beurkundenden Notar beauftragen und ermächtigen, die Genehmigung für den Vormund (gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen) entgegenzunehmen und den anderen Vertragsbeteiligten mitzuteilen sowie zugleich diese Mitteilung für die anderen Vertragsbeteiligten zu empfangen (sog. Doppelermächtigung).

 

Normenkette

GrEStG 1983 § 11 Abs. 1, § 23; BGB §§ 1629, 1643 Abs. 1, §§ 1821, 1828, 1829 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg (Dok.-Nr. 0550133; EFG 1999, 141)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 28.11.2000; Aktenzeichen 1 BvR 1702/00)

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 28.11.2000; Aktenzeichen 1 BvR 1702/00)

 

Tatbestand

Herr M (Vater) und seine (damals) minderjährige Tochter waren Miteigentümer je zur Hälfte eines Grundstücks. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 18. November 1996 verkauften sie das Grundstück an den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) und dessen Ehefrau wiederum zu Miteigentum je zur Hälfte. Der Kaufpreis betrug … DM. Beim Abschluss des Kaufvertrags wurde die Minderjährige durch ihren Vater als alleiniger gesetzlicher Vertreter vertreten. Der Abschluss des Vertrags erfolgte vorbehaltlich der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. In der notariellen Urkunde beantragten die Vertragsbeteiligten die Erteilung der Genehmigung und ermächtigten den Notar, sie einzuholen und entgegenzunehmen. Eine uneingeschränkte Genehmigung sollte dem Notar unmittelbar zugestellt werden. Der Notar wurde darüber hinaus ermächtigt, die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung ohne nochmalige Anhörung des Vaters für diesen den übrigen Vertragsbeteiligten mitzuteilen. Die übrigen Vertragsbeteiligten bevollmächtigten ihrerseits den Notar, die Mitteilung über die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für sie in Empfang zu nehmen. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung wurde am 15. Januar 1997 erteilt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) setzte gegen den Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von … DM fest. Das FA ging dabei von einer anteiligen Gegenleistung in Höhe von … DM aus und wandte darauf den Steuersatz von 3,5 v.H. an.

Mit der dagegen gerichteten Klage wurde geltend gemacht, dass die Grunderwerbsteuer nach einem Steuersatz von 2 v.H. zu berechnen sei, da der Erwerbsvorgang bereits im Jahre 1996 verwirklicht worden sei.

Das Finanzgericht (FG) hat mit seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 141 veröffentlichten Entscheidung der Klage stattgegeben.

Mit der Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Entgegen der Auffassung des FG ist auf den Erwerbsvorgang im Streitfall § 11 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 in der ab 1. Januar 1997 geltenden Fassung des Art. 7 Nr. 6 des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20. Dezember 1996 (BGBl I, 2049) anzuwenden. Danach unterliegt der Erwerbsvorgang einem Steuersatz von 3,5 v.H., weil die gemäß § 23 Abs. 4 GrEStG 1983 für die Anwendung des Steuersatzes maßgebende Verwirklichung des Erwerbsvorganges erst nach dem 31. Dezember 1996 erfolgt ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein Erwerbsvorgang i.S. von § 23 GrEStG 1983 dann verwirklicht, wenn das auf einen Erwerbsvorgang abzielende Wollen in rechtsgeschäftliche Erklärungen umgesetzt worden ist, wenn also die Beteiligten im Verhältnis zueinander gebunden sind (BFH-Urteile vom 18. Mai 1999 II R 16/98, BFHE 188, 453, BStBl II 1999, 606; vom 20. Dezember 1989 II R 31/88, BFHE 159, 260, BStBl II 1990, 234, und vom 17. September 1986 II R 136/84, BFHE 147, 538, BStBl II 1987, 35, m.w.N.).

Die Verwirklichung eines Erwerbsvorgangs setzt somit stets rechtsgeschäftlich wirksame Willenserklärungen der Vertragschließenden voraus, durch die eine Bindung der Beteiligten an das vorgenommene Rechtsgeschäft eingetreten ist. Bei einem unbedingten bzw. keiner Genehmigung bedürftigen Rechtsgeschäft ist eine solche Bindung regelmäßig mit dem Vertragsabschluss gegeben. Diese Voraussetzungen können aber auch bei einem Rechtsgeschäft vorliegen, dessen Rechtswirkungen (z.B. Entstehung eines Eigentumsverschaffungsanspruchs) von dem Eintritt einer Bedingung oder der Erteilung einer Genehmigung abhängen. Auch das bedingte oder genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft ist tatbestandlich vollendet und voll gültig, nur seine Rechtswirkungen befinden sich bis zum Eintritt der Bedingung oder der Erteilung der Genehmigung in der Schwebe (vgl. Palandt/ Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Aufl., Einführung vor § 158 Anm. 8). Die Parteien eines genehmigungsbedürftigen oder bedingten Rechtsgeschäfts sind im Regelfall durch den (vorausgesetzt wirksamen) Vertragsabschluss gebunden und können die Vertragsbeziehungen nicht mehr einseitig lösen, vielmehr sind sie im Hinblick auf den aufschiebend bedingten Rechtserwerb (Anwartschaftsrecht) zur gegenseitigen Treupflicht und zur Beachtung der Schutzvorschriften der §§ 160 f. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verpflichtet. Erzeugt das genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft während der Schwebezeit keine derartige Bindung, so ist der Erwerbsvorgang noch nicht verwirklicht. Das ist der Fall, wenn ein Erwerbsvorgang der nachlassgerichtlichen Genehmigung bedarf (BFH-Urteil in BFHE 188, 453, BStBl II 1999, 606). Entsprechendes gilt für die im Streitfall zu beurteilende vormundschaftsgerichtliche Genehmigung.

Der die minderjährige Miteigentümerin gemäß § 1629 BGB vertretende Vater bedurfte für den Abschluss des Kaufvertrages der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§ 1643 Abs. 1 i.V.m. § 1821 BGB). Bis zu ihrer Erteilung erzeugte die im Namen der Minderjährigen abgegebene Willenserklärung des gesetzlichen Vertreters noch keine Rechtsbindungen in Bezug auf das vorgenommene Rechtsgeschäft (§ 1643 Abs. 3 i.V.m. § 1829 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Minderjährige bzw. ihr gesetzlicher Vertreter waren frei von Bindungen und Haftungsfolgen; sie waren weder verpflichtet, die Genehmigung des Nachlassgerichts einzuholen noch die erteilte Genehmigung durch Mitteilung an den Kläger und seine Ehefrau wirksam werden zu lassen. Eine Lösung der von ihm vertretenen Minderjährigen aus dem Vertragsverhältnis konnte der gesetzliche Vertreter selbst dann herbeiführen, wenn ―wie im Streitfall― der Vertreter zugleich im eigenen Namen auf derselben Vertragsseite wie der Minderjährige gehandelt hatte (vgl. zu alledem Schwab in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., § 1829 Rdnrn. 5, 9, m.w.N.). Bis zur Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung konnte sich die als Miteigentümerin mitveräußernde Minderjährige von dem Vertragsverhältnis einseitig wieder lösen. Diese Möglichkeit bestand auch für den als Miteigentümer mitveräußernden Vater selbst, denn die Verfügung über den gemeinschaftlichen Gegenstand ist schwebend unwirksam, wenn die Mitwirkung eines Teils (schwebend) unwirksam ist (vgl. § 747 Satz 2 BGB). Die zur Verwirklichung des Erwerbsvorgangs erforderliche Bindung aller Vertragsbeteiligten entstand daher im Streitfall nicht bereits durch den notariell beurkundeten Abschluss des Grundstückskaufvertrags am 18. November 1996.

Ein anderes Ergebnis folgt ―entgegen der Auffassung des FG― auch nicht aus der sog. Doppelermächtigung des Notars in der Weise, dass dieser vom Vater der Verkäuferin als deren gesetzlicher Vertreter zur Einholung und zur Entgegennahme der Genehmigung nach § 1828 BGB und zum Gebrauchmachen der Genehmigung durch Mitteilung an die Käufer gemäß § 1829 Abs. 1 Satz 2 BGB bevollmächtigt worden und ihm von den Käufern gestattet worden ist, die Mitteilung für sie entgegen zu nehmen. Dies ist zwar zulässig (Schwab, a.a.O., § 1829 Rdnr. 18, 18 a; Holzhauer in Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 9. Aufl., § 1829 Rdnr. 6) mit der Folge, dass der Grundstückskaufvertrag allein durch die Erteilung der Genehmigung gegenüber dem Notar wirksam wurde, ohne dass der Vater als gesetzlicher Vertreter nochmals mit der Sache befasst werden musste. Diese Gestaltung führte jedoch nicht zu einer den Erwerbsvorgang i.S. des § 23 GrEStG 1983 verwirklichenden Bindung der Vertragsparteien, denn die Bevollmächtigung des Notars, den Käufern die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts mitzuteilen, war jederzeit widerruflich und ließ dem Vater als dem gesetzlichen Vertreter weiterhin die volle Entscheidungsfreiheit darüber, ob er den Vertrag wirksam werden lassen wollte (Beschluss des Reichsgerichts vom 13. April 1928 IV B 11/28, RGZ 121, 30; Urteil des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Zivilsachen ―OGH― vom 30. September 1948 II ZS 9/48, OGHZ 1, 198; Schwab, a.a.O., § 1829 Rdnr. 18). Vor dem Wirksamwerden der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung (§ 1829 Abs. 1 Satz 2 BGB) war daher eine Rechtsbindung der auf der Veräußererseite auftretenden Minderjährigen nicht gegeben. Daran ändert nichts, dass im Streitfall die gemäß § 1829 Abs. 1 Satz 2 BGB für die Wirksamkeit des Vertrages erforderliche Mitteilung der Genehmigung an die Käufer entfallen konnte, weil der Notar die Genehmigung zugleich mit Wirkung für die Käufer entgegennehmen konnte.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass zivilrechtlich die Rechtsfolgen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurückwirken. Die für den Bereich des Zivilrechts vorgesehene Rückwirkung der Rechtsfolgen der Genehmigung ist grunderwerbsteuerrechtlich nicht zu berücksichtigen. Aus § 14 Nr. 2 GrEStG 1983 ergibt sich, dass für die Frage des Zeitpunkts der Entstehung der Steuer derartigen zivilrechtlichen Rückwirkungen grunderwerbsteuerrechtlich keine Bedeutung zugemessen wird. Damit ist das Gesetz dem allgemeinen Grundsatz gefolgt, dass eine Verkehrsteuer, welche an einen einzelnen Rechtsvorgang anknüpft, nicht rückwirkend entstehen kann (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 1981 II R 51/80, BFHE 134, 459, BStBl II 1982, 168). Es verbietet sich, bei der Frage des Zeitpunkts der Verwirklichung eines Erwerbsvorgangs eine andere Beurteilung vorzunehmen (BFH in BFHE 188, 453, BStBl II 1999, 606).

Die Sache ist spruchreif. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung wurde erst nach dem 31. Dezember 1996 wirksam und mithin der Erwerbsvorgang im Streitfall erst nach diesem Zeitpunkt verwirklicht. Damit ist auf den Grundstückskaufvertrag nach § 11 Abs. 1 GrEStG 1983 n.F. der Steuersatz von 3,5 v.H. anwendbar; die Steuer ist vom FA zutreffend berechnet worden. Die gegen den Steuerbescheid gerichtete Klage ist abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424682

BFH/NV 2000, 929

BStBl II 2000, 318

BFHE 191, 411

BFHE 2001, 411

BB 2000, 968

DB 2000, 1060

DStR 2000, 775

DStRE 2000, 542

HFR 2000, 512

StE 2000, 295

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