Kommentar

Bei dem Verfahren ging es um die Frage der zeitlichen Wirkung des Vorsteuerabzugs. Streitig war, für welchen Besteuerungszeitraum der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden kann, wenn die Rechnung in einem späteren Besteuerungszeitraum eingeht, als die Leistung bewirkt wurde. Der BFH hatte den EuGH gefragt, ob ein Unternehmer das Recht auf Vorsteuerabzug nur mit Wirkung für das Kalenderjahr ausüben darf, in dem er gemäß Artikel 18 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Rechtlinie in den Besitz der Rechnung gelangt ist oder ob die Ausübung dieses Rechts schon für das Kalenderjahr - und somit ggf. auch rückwirkend - möglich ist, indem es gemäß Artikel 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie entsteht.

Im Vorlagefall hatte die Klägerin, die ihre Voranmeldungen monatlich abgibt, eine Leistung im Dezember 1999 erhalten. Die dazugehörenden Rechnungen wurden zwar noch im Dezember 1999 ausgestellt, gingen aber erst im Januar 2000 bei der Klägerin ein.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH entsteht der Anspruch auf Abzug der Vorsteuer in dem Voranmeldungszeitraum, in dem die Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG insgesamt vorliegen - § 16 Abs. 2 UStG (vgl. BFH vom 21.10.1994, V R 84/92, BStBl II 1995, 233 n.w.N.). Zu diesen Voraussetzungen gehört u.a. auch eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis (vgl. z.B. BFH vom 16.04.1997, XI R 63/93, BStBl II 1997, 582).

Der EuGH hat diese Rechtsprechung bestätigt. Nach dem Urteil ist zwischen der Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts nach Artikel 17 Abs. 1 und dem Nachweis seiner Ausübung im Sinne von Artikel 18 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie zu unterscheiden. Nach dem Urteil kann der Vorsteuerabzug erst dann geltend gemacht werden, wenn beide Voraussetzungen, der Bezug der Leistung und der Rechnungseingang, kumulativ vorliegen. Das Vorsteuerabzugsrecht kann also, wenn die Rechnung in einem späteren Voranmeldungszeitraum eingeht als die Leistung bezogen wird, erst für diesen späteren Voranmeldungszeitraum geltend gemacht werden.

Der EuGH begründet dies zum einen mit der Kontrollfunktion der Rechnung. Der Besitz einer Rechnung als Voraussetzung des Vorsteuerabzugs stehe mit den Zielen der 6. EG-Richtlinie in Einklang, die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung sicherzustellen.

Interessanter noch ist die zweite Erwägung des EuGH, dass der Vorsteuerabzug auch eine Steuerbelastung des Leistungsempfängers voraussetzt. Daraus folgt, so der Gerichtshof, dass die Unternehmer grundsätzlich keine Zahlungen vornehmen und daher keine Vorsteuer (an den leistenden Unternehmer) abführen, bevor sie eine Rechnung oder ein anderes als Rechnung zu betrachtendes Dokument erhalten haben und dass nicht von einer Belastung des Umsatzes mit der Mehrwertsteuer für den Leistungsempfänger ausgegangen werden könne, bevor er diese Umsatzsteuer an den leistenden Unternehmer abgeführt habe. Hier scheint der EuGH darauf abzustellen, dass der Vorsteuerabzug auch eine wirtschaftliche Belastung des Leistungsempfängers mit der ihm in Rechnung gestellten Umsatzsteuer voraussetzt. Dies bedeutet im Prinzip aber nichts anderes, als dass der EuGH eher das sog. Ist-Prinzip als das sog. Soll-Prinzip dem Mechanismus des Vorsteuerabzugs zugrunde legt. Zwar geht der EuGH nicht so weit, dass er die tatsächliche Zahlung der Umsatzsteuer an den leistenden Unternehmer als Voraussetzung des Vorsteuerabzugs normiert, immerhin muss aber der Leistungsempfänger über eine Rechnung verfügen, die ihn zur Zahlung auch der Umsatzsteuer an den leistenden Unternehmer zwingt. Dies legt jedenfalls nahe, dass der zurzeit diskutierte Übergang auf eine generelle Ist-Versteuerung den Grundprinzipien des Mehrwertsteuerrechts keineswegs widerspricht.

Meines Erachtens ergeben sich aus der Entscheidung keine Auswirkungen auf das deutsche Umsatzsteuerrecht. Die bisherige Verwaltungspraxis, dass der Vorsteuerabzug erst dann geltend gemacht werden kann, wenn sowohl die Leistung bezogen wurde als auch die Rechnung vorliegt, kann aufrechterhalten werden.

Kläger: Terra Baubedarf-Handel GmbH

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 29.04.2004, C-152/02

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