[…] II.

[7] Die Vorlage ist gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG zulässig.

[8] 1. Die Vorlegungsfrage betrifft die Reichweite einer gerichtlichen Entbindungserklärung nach § 73 Abs. 2 OWiG und damit eine Rechtsfrage. Diese ist auch entscheidungserheblich. Das KG will eine Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er § 74 Abs. 2 OWiG infolge seiner erfolgten Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen als verletzt rügt, für nicht durchgreifend erachten und seine Rechtsbeschwerde verwerfen. Dabei will es in der Sache von tragenden Gründen der Entscheidung des OLG Bamberg vom 30.3.2016 zur Auslegung des § 73 Abs. 2 OWiG abweichen. Die dem vorgelagerte Annahme des KG, dass die Verfahrensrüge zulässig und deshalb insoweit eine Entscheidung in der Sache geboten sei, ist nicht willkürlich (vgl. hingegen zu den Vortragserfordernissen bei verweigerter Entbindung OLG Hamm, zfs 2015, 52; OLG Rostock, DAR 2008, 400, 401) und damit für den Senat im Vorlageverfahren bindend (vgl. BGH, Beschl. v. 16.3.2023 – 4 StR 84/22 Rn 8; Beschl. v. 9.10. – 4 StR 652/17, NStZ-RR 2019, 60, 61).

[9] 2. Die Vorlegungsfrage ist allerdings zu weit gefasst. In ihrer Formulierung durch das Kammergericht schließt sie hier nicht vorliegende Fallkonstellationen ein, in denen die Reichweite des Entbindungsbeschlusses jeweils besonderer Betrachtung bedürfen könnte. Dies steht etwa bei Entbindungsanträgen in Rede, die sich – ohne eine Terminsverlegung zu begehren – auf die Hauptverhandlung an einem bestimmten Tag beschränken. Eigener Beurteilung bedürfen womöglich auch Gerichtsbeschlüsse, die ungeachtet eines allgemein für "die Hauptverhandlung" gestellten Antrags den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen an einem mit Datum benannten Terminstag entbinden (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe, zfs 2018, 471, 472; König, DAR 2023, 232, 233 f.). Die zu der Vorlage führende Divergenz erfasst demgegenüber allein die gesetzliche Grundkonstellation eines allgemeinen Entbindungsantrags und eines antragsgemäß ergehenden Entbindungsbeschlusses.

[10] Der Senat fasst daher die Vorlegungsfrage wie folgt:

"Ist die antragsgemäß nicht auf einen konkreten Termin bezogene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG infolge der Verlegung des Hauptverhandlungstermins “verbraucht‘, so dass ein Entbindungsbeschluss des Gerichts für den neuen Termin gegebenenfalls erneut beantragt und erlassen werden muss?"

[11] III. Der Senat entscheidet die Vorlegungsfrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich. Die Fortwirkung des Entbindungsbeschlusses bei einer Verlegung des Hauptverhandlungstermins ergibt sich aus Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 73 Abs. 2 OWiG.

[12] 1. Der Wortlaut des Gesetzes stellt hinsichtlich der Entbindung des Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen auf die Hauptverhandlung, nicht auf anberaumte einzelne Termine ab.

[13] Die in § 73 Abs. 2 OWiG geregelte Entbindung von "dieser Verpflichtung" knüpft an § 73 Abs. 1 OWiG an, wonach der Betroffene "zum Erscheinen in der Hauptverhandlung" verpflichtet ist. Beide Regelungen betreffen mithin die ggf. aufzuhebende Erscheinenspflicht des Betroffenen für die gesamte Hauptverhandlung im Sinne von § 229 StPO (vgl. OLG Karlsruhe, zfs 2018, 471; OLG Bamberg, NStZ-RR 2017, 25; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2015, 258; Justenhoven, Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung, 2016, S. 188; KK-OWiG/Senge, § 73 Rn 15; König, DAR 2023, 232, 233; Meyer, NZV 2010, 496, 497; vgl. insoweit auch OLG Hamm, NStZ 1992, 498). Denn anders als etwa § 329 Abs. 1 Satz 1, § 330 Abs. 2 Satz 2 StPO verwendet das Gesetz nicht den Begriff des "Hauptverhandlungstermins" (s. auch §§ 141, 273 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zum persönlichen Erscheinen der Partei in einem Termin zur mündlichen Verhandlung).

[14] Der Gesetzeswortlaut legt damit nahe, dass die Entbindung gemäß § 73 Abs. 2 OWiG grundsätzlich terminübergreifend für die gesamte Hauptverhandlung gilt. Hiervon geht das KG bei deren Unterbrechung und Fortsetzung ebenfalls aus (vgl. Ziffer 2. des Vorlagebeschlusses). An "der Hauptverhandlung" als Bezugspunkt für die Entbindung ändert jedoch auch eine Verlegung des (ersten) Termins nichts.

[15] 2. Die Fortwirkung des Entbindungsbeschlusses bei Verlegung des Hauptverhandlungstermins entspricht dem Normzweck des § 73 Abs. 2 OWiG.

[16] a) Die Vorschrift begrenzt die in § 73 Abs. 1 OWiG normierte Anwesenheitspflicht des Betroffenen, die ihrerseits der Sachaufklärung dient (vgl. OLG Bamberg, NStZ-RR 2017, 25; KK-OWiG/Senge, § 73 Rn 28 ff.). Mit dieser Begrenzung geht die gesetzliche Anerkennung eines legitimen Interesses des Betroffenen im Ordnungswidrigkeitenverfahren einher, eine gerichtliche Überprüfung zu erreichen, ohne dieser selbst beiwohnen zu müssen. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird hierdurch gewahrt (vgl. BeckOKOWiG/Hettenbach, § 73 Rn 1). Ist sein persönliches Erscheinen zur Aufklärun...

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