Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschwindigkeit, Unfall, Unfallgeschehen, Rechtsfahrgebot, Sicherheitsabstand, Fahrer, Kollision, Verletzung, Beweisaufnahme, Fahrspur, Anspruch, Verkehrsteilnehmer, Haftungsverteilung, Verschulden

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Urteil vom 01.12.2020; Aktenzeichen 41 O 2129/19)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin vom 29.12.2020 wird das Endurteil des LG Landshut vom 01.12.2020 (Az. 41 O 2129/20) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.651,33 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.04.2019 sowie weitere 480,20 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.08.2019 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 4% und die Beklagten samtverbindlich 96%; von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 10% und die Beklagten samtverbindlich 90%.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 2.072,29 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.

I. 1. Das Landgericht ist zu Unrecht von einer Mithaftung der Klägerin an dem Verkehrsunfallgeschehen am 21.02.2019 in E. an der Kreuzung Se. /Sp Straße infolge eines Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot nach § 2 II StVO ausgegangen.

Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten dem Grunde nach ein umfassender Anspruch auf Ersatz des Schadens aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfallgeschehen nach §§ 7 I, 17, 18 StVG, 823 I, II, 249 BGB i. V. m. § 115 VVG zu.

Da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind und die Ersatzpflicht weder wegen Vorliegens höherer Gewalt nach § 7 II StVG ausgeschlossen ist, noch ein unabwendbares Ereignis für einen der beiden Fahrzeugführer nach § 17 III StVG vorliegt, hängt die Schadensersatzpflicht nach §§ 17 I, 18 III StVG im Verhältnis der beiden Fahrzeugführer von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

a) Das Landgericht kommt nach der durchgeführten Beweisaufnahme zunächst zutreffend zu dem Ergebnis, dass das Unfallgeschehen für den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs sicher vermeidbar gewesen wäre, wenn dieser mit einer Geschwindigkeit nach rechts abgebogen wäre, die es ihm ermöglicht hätte, rechts orientiert auf die rechte Fahrspur einzubiegen (vgl. Seite 7 des EU = Bl. 153 Band I d. A.).

b) Soweit das Landgericht aber einen Verursachungsbeitrag der Klägerin am streitgegenständlichen Verkehrsunfall darin sehen will, dass dieser auf seiner Fahrbahnhälfte nicht deutlich rechts orientiert gefahren sei und andernfalls der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs nicht gezwungen gewesen wäre, sein Fahrzeug so stark nach rechts zu lenken, dass er kippte (vgl. Seite 7 des EU = Bl. 153 Band I d. A.), kann dem nicht gefolgt werden.

Ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 2 II StVO liegt nicht vor. Es ist bereits der Schutzbereich des § 2 II StVO nicht eröffnet. Das Rechtsfahrgebot gilt dem Schutz des Längsverkehrs und soll eine möglichst gefahrlose Begegnung der Fahrzeuge ermöglichen und ein Überholen gewährleisten (vgl. Müther in: Freymann/Weller, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 2 StVO (Stand: 04.05.2020), Rn. 35; Geigel/Freymann, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 27 Rn. 59). Nicht vom Schutzbereich umfasst ist dagegen der Querverkehr (vgl. Geigel/Freymann, a.a.O.; BGH NJW 1981, 2301; SaarlOLG ZfS 2018, 620; LG Hamburg NZV 2018, 333) oder der Kraftfahrer, der in eine Straße einfahren oder einbiegen will (Geigel/Freymann, a.a.O.; BGH NJW 1981, a.a.O.; SaarlOLG ZfS 2018 a.a.O.; LG Hamburg, NZV 2018, a.a.O.), auch wenn letztlich jeder Verkehrsteilnehmer mit der Einhaltung des Rechtsfahrgebots rechnet (Geigel/Freymann, a.a.O.).

Im Übrigen weist die Klägerin auch zutreffend darauf hin (vgl. Seite 4 der Berufungsbegründung = Bl. 15 Band II d. A.), dass das Gebot, möglichst weit rechts zu fahren, nicht bedeutet, dass am äußersten rechten Fahrbahnrand zu fahren ist (vgl. Geigel/Freymann, a.a.O., Rn. 60; OLG Zweibrücken NZV 1988, 22). Vielmehr ist ein angemessener Sicherheitsabstand zum Fahrbahnrand einzuhalten (vgl. Geigel/Freymann, a.a.O.; BayObLG DAR 1981, 23), der in der Regel - auch im Stadtverkehr (SaarlOLG VM 1975 Nr. 113) - zwischen 0,5 bis 1 m betragen sollte (vgl. Geigel/Freymann, a.a.O.; OLG Düsseldorf NZV 1992, 232; OLG Celle Urt. v. 6. 11. 2018 - 14 U 61/18). Nachdem der gerichtliche Sachverständige festgestellt hat, dass sich das Klägerfahrzeug mit den...

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