Entscheidungsstichwort (Thema)

Hinterbliebenenrentenanspruch. rechtsgültige Heirat. Türkei. Iman- bzw Moschee-Ehe. Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Witwe oder Witwer iS von § 46 Abs 1 SGB 6 ist nur, wer mit der oder dem Versicherten rechtsgültig verheiratet war.

2. Eine religiöse Ehe nach islamischem Recht (sog Iman- oder Moschee-Ehe) genügt auch nach türkischem Eherecht nicht den Anforderungen an eine rechtsgültige Heirat.

3. Weder Art 6 Abs 1 GG, der nur die rechtsgültig geschlossene Ehe schützt, noch der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG noch die durch Art 2 Abs 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit gebieten die Gleichstellung hinterbliebener Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften mit Witwen und Witwern (Anschluß an BSG vom 30.3.1994 - 4 RA 18/93).

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte (auch) der Klägerin Witwenrente aus der Rentenversicherung des 1943 geborenen H T zu gewähren hat.

Der genannte Versicherte hatte am 08.11.1961 in seiner türkischen Heimat vor dem dortigen Standesbeamten die ebenfalls aus der Türkei stammende Beigeladene geheiratet. Diese Ehe bestand auch noch zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten am 07.02.1990. Seit dem 01.03.1990 erhält die Beigeladene Witwenrente aus der Versicherung ihres Ehemanns.

Auch die Klägerin ist türkische Staatsangehörige. In Ihrem Paß ist als Familienstand "ledig" und als Religion "Islam" eingetragen. Sie beantragte am 18.10.1996 bei der Beklagten die Bewilligung von Witwenrente aus der Versicherung des H T und machte geltend, den Versicherten 1973 in der Türkei kirchlich geheiratet und seitdem mit ihm zusammengelebt zu haben. Aus ihrer -- der Klägerin -- Ehe mit dem Versicherten seien die Kinder Y, H und H hervorgegangen. Zwar seien auch diese 3 Kinder -- wie die weiteren 4 älteren Kinder des Versicherten -- im türkischen Personenstandsregister zunächst als die gemeinsamen Kinder des Versicherten und der Beigeladenen eingetragen worden. Sie habe aber jetzt ein Urteil erwirkt, wonach sie -- die Klägerin -- die Mutter von Y, H und H sei.

In dem genannten Urteil des Amtsgerichts I vom 16.03.1992 heißt es, der Versicherte habe die Beigeladene standesamtlich und die Klägerin kirchlich geheiratet. Die Klägerin werde im Personenstandsregister als ledig geführt. Der Versicherte sei von seinen Kindern und der Beigeladenen beerbt worden. Die Beigeladene habe im Verlaufe des Verfahrens eingeräumt, daß nicht -- wie im Personenstandsregister eingetragen -- sie, sondern die Klägerin die Mutter von Y, H und H sei. Da die vom Gericht gehörten Zeugen dies bestätigt hätten, sei das Personenstandsregister -- so die Entscheidung des Amtsgerichts Izmir -- entsprechend zu berichtigen.

Mit Bescheid vom 22.11.1996 und Widerspruchsbescheid vom 03.03.1997 lehnte die Beklagte den Rentenantrag vom 18.10.1996 mit der Begründung ab, die Klägerin sei mit dem Versicherten nicht rechtsgültig verheiratet gewesen. Die (allein) kirchliche Trauung stelle auch nach den Rechtsvorschriften der Türkei keine nach staatlichem Recht wirksame Eheschließung dar.

Mit der am 09.04.1997 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat erklärt, mit dem Versicherten "natürlich" nicht rechtsgültig verheiratet gewesen zu sein. Sie sei aber die "zweite Ehefrau" des Versicherten gewesen und habe mit ihm etwa 20 Jahre lang zusammengelebt. Aus dieser Verbindung seien drei gemeinsame Kinder hervorgegangen. Nach deutschem Recht -- so hat die Klägerin geltend gemacht -- erwerbe eine Frau, die mit einem Mann 10 Jahre zusammengelebt habe, dieselben Rechte wie eine Ehefrau.

Durch Gerichtsbescheid vom 12.09.1997 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei -- wie sie selbst einräume, mit dem Versicherten nicht rechtsgültig verheiratet gewesen. Der Umstand, daß sie mit ihm bis zu dessen Tod in einer eheähnlichen Gemeinschaft zusammengelebt habe und aus dieser Verbindung drei Kinder hervorgegangen seien, begründe den geltend gemachten Anspruch auf Witwenrente nicht.

Gegen den ihr am 29.09.1997 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 21.10.1997 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt. Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 12.09.1997 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.11.1996 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 03.03.1997 zu verurteilen, ihr auf ihren Antrag vom 18.10.1996 Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie meint, der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch sei nicht begründet.

Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung und bezüglich des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die Prozeßakte und die Rentenakte der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte oh...

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