Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwenrente. hinkende Scheidung. Heirat nach türkischem Recht

 

Orientierungssatz

Zum Anspruch auf eine Witwenrente nach § 46 SGB 6 bei einer nach türkischem Recht geschlossenen Ehe, die in Deutschland geschieden wurde, die aber nach türkischem Recht nicht aufgehoben wurde.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.02.2013; Aktenzeichen B 5 R 24/12 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.07.2010 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 31.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2009 verurteilt, der Klägerin ab dem 09.02.2008 große Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist (große) Witwenrente.

Die 1951 in der Türkei geborene Klägerin schloss dort am 00.00.1973 mit dem 1950 in der Türkei geborenen und am 00.00.2008 in C verstorbenen I H (im Folgenden: Versicherter) nach türkischem Recht die Ehe. Die Eheleute kamen 1975 in die Bundesrepublik Deutschland, und lebten fortan in C. Aus der Ehe gingen der Sohn H1 (geboren 1982, verstorben 1992) und drei Töchter (geboren 1984, 1987 und 1989) hervor. Auf Antrag der Klägerin wurde die Ehe in Deutschland nach türkischem Recht geschieden (Urteil des Amtsgerichts C vom 19.5.1995).

Anfang 1997 beschlossen die Eheleute, ihre Ehe fortzuführen, und reisten in die Türkei, um ihre Scheidung anerkennen zu lassen und danach dort erneut zu heiraten. Die zuständigen türkischen Behörden wiesen darauf hin, dass die deutsche Ehescheidung nach türkischem Recht nicht wirksam sei, solange keine förmliche Anerkennung vorliege. Sie seien daher nach türkischem Recht weiter rechtswirksam verheiratet. Das gewünschte Ergebnis einer wirksamen Ehe liege damit nach türkischem Recht bereits vor. Die türkischen Behörden bestätigten am 31.7.1997 das Fortbestehen der am 00.00.1973 geschlossenen Ehe, indem sie ein neues Familienbuch ausstellten und das Personenstandsregister entsprechend aktualisierten. In Deutschland lebten die Klägerin und der Versicherte fortan (wieder) als Eheleute zusammen und wurden von deutschen Behörden als Eheleute behandelt: Noch 1997 beantragten sie bei der Stadt C die Einbürgerung. Die Stadt C sagte ihnen nach Abschluss der Prüfung die Einbürgerung für den Fall zu, dass die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft nachgewiesen werde (an die "Eheleute I und I1 H" gerichtetes Schreiben vom 12.12.1997 mit Einbürgerungszusicherung vom gleichen Tag). Nachdem das türkische Innenministerium der Klägerin und dem Versicherten die Zustimmung zur Ausbürgerung aus der Türkei als "Verheiratete" erteilt hatte, beschied die Stadt C die "Eheleute I und I1 H" dahingehend, dass ihren Anträgen auf Einbürgerung entsprochen werde (Bescheid vom 19.11.1999). Die Steuerklasse des Versicherten wurde ab September 1997 von 1 (geschieden) auf 3 (verheiratet, nicht dauerhaft getrennt lebend) geändert; der Klägerin wurde später für ihre vom 1.8.2002 bis zum 31.12.2003 ausgeübte Beschäftigung die Steuerklasse 5 (verheiratet, nicht dauerhaft getrennt lebend) bescheinigt. Das Finanzamt C-Mitte veranlagte die Klägerin und den Versicherten als Eheleute (vorgelegte Bescheide über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für 2001 und 2003). Die Klägerin war nach Aufgabe ihrer Berufstätigkeit ab dem 1.5.2004 wieder bis zum 00.00.2008 über den Versicherten bei der BKK vor ORT gesetzlich gegen Krankheit familienversichert (zuvor bereits vom 8.10.1992 bis 19.5.1995). Nach dem Tod des Versicherten stellte das Amtsgericht C der Klägerin (als "Ehefrau") und den Töchtern einen gemeinschaftlichen Erbschein aus.

Der Versicherte verstarb am 00.00.2008, ohne zuvor eine Rente bezogen zu haben. Noch im gleichen Monat beantragte die Klägerin Witwenrente. Auf der beigefügten Sterbeurkunde des Standesbeamten der Stadt C war bescheinigt, dass sie mit dem Versicherten im Zeitpunkt des Todes verheiratet war. Nach Hinweis der Beklagten auf die erfolgte Scheidung trug die Klägerin vor, der Versicherte und sie hätten darauf vertraut, dass die Auskünfte der türkischen Behörden zum Fortbestand der Ehe zutreffen. Sie hätten im Jahr 1997 vor dem türkischen Standesbeamten erneut die Erklärung abgegeben, die Ehe miteinander eingehen zu wollen; diese Erklärung sei in das neu ausgestellte türkische Familienbuch eingetragen worden. Anschließend habe man über zehn Jahre bis zum Tod des Versicherten als Ehepaar zusammengelebt. Ihr Vertrauen auf den Fortbestand der Ehe sei durch die deutschen Behörden bestätigt worden. Eine etwaige Formunwirksamkeit der Ehe sei jedenfalls nach deutschem Recht geheilt.

Die Beklagte bat das Standesamt der Stadt C unter Hinweis auf die Scheidung um Berichtigung der Sterbeurkunde. Das Standesamt berichtigte im Rahmen einer handschriftlichen "Folgebeurkundung" am 22.1.2009 auf der Sterbeurkunde den Familienstand des Versicherten in "geschieden".

Die Beklagte lehnte ab, Wit...

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